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Stimmen des Ostens

Meinhard Durnwalder (SVP) und Cornelia Brugger (LeU) wollen in den Senat. Worum geht es in Rom? Streitgespräch über Europa, Kompetenzen, Wahlpakteleien, Herzensanliegen.
Durnwalder - Brugger
Foto: Nicola Arrigoni

“Brugger fordert Durnwalder im Rennen um den Senatssitz im Pustertal heraus.”
Welch Schlagzeile wäre das einst gewesen! Peter Brugger, sein Sohn Siegfried Brugger und Luis Durnwalder waren und sind bis heute treue SVPler – unvorstellbar, dass sie sich um einen Parlamentssessel streiten könnten.
Die Bruggers schafften es schließlich beide konkurrenzlos in den Senat. Durnwalder blieb den heimischen Gefilden treu.
2018 sorgt die neue Generation für das Duell der bedeutungsschweren Nachnamen – im Senatswahlkreis Ost, Brixen-Pustertal. Cornelia Brugger tritt für Liberi e Uguali – ihr Großvater, Cousin von Peter Brugger. Meinhard Durnwalder hingegen ist ein Neffe von Luis und will für die SVP nach Rom ziehen.

salto.bz: Um bei den Nachnamen zu bleiben: Herr Durnwalder, ist der Ihre Fluch oder Segen?

Meinhard Durnwalder: Ich bin mit dem Nachnamen aufgewachsen. Für mich war es immer selbstverständlich, dass der Luis Landeshauptmann war und ich habe sowohl das Positive als auch das Negative miterlebt. Luis Durnwalder bleibt eine Vertrauensperson mit ungeheuerlicher politischer Erfahrung und wertvollen Tipps. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss, auf persönlicher, beruflicher und politischer Ebene. Den habe ich gefunden. Ich bin bin seit 13 Jahren Rechtsanwalt, seit 2014 SVP-Bezirksobmann im Pustertal und jetzt Senats-Kandidat. Aber natürlich ist der Nachname immer präsent. Doch man muss sich heute nicht schämen, wenn man Durnwalder heißt, oder?

Reicht allein der Name für einen Sitz im Senat? Meinhard Durnwalder ist der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt und betreibt keine offensive Wahlkampagne. Anders als Cornelia Brugger. Sie ist sehr aktiv auf Facebook – einer für viele Politiker unverzichtbare Kommunikations- und Diskussionsplattform.

Durnwalder: Bei Facebook habe ich tatsächlich noch Nachholbedarf. Ich suche eher das Gespräch, so wie heute, und weniger die mediale Aufmerksamkeit. Ich bevorzuge es, unter Leuten zu sein. Aber das neue politische Amt, die Kandidatur für den Senat, bedingt natürlich, dass ich mich mehr in der Öffentlichkeit bewegen werden muss.

Cornelia Brugger: Dazu muss gesagt werden, dass wir beide unter völlig unterschiedlichen Voraussetzungen starten. Liberi e Uguali müssen erst einen Weg finden, die SVP hat sich von vornherein damit gebrüstet, dass es schon klar ist, wer aufgestellt wird und wer nach Rom kommt. Meinhard hat sicher viel weniger Druck als ich. Entsprechend ist der Einsatz nicht derselbe. Zudem gehe auch ich sehr gerne unter die Leute und genieße den Kontakt. Das ist das Um und Auf in der Politik. Wenn man den Puls spüren und wissen will, was die Menschen bewegt, muss man mit ihnen reden. Als Gewerkschafterin habe ich das im Blut.

Durnwalder: Erstens: Die Wiese ist noch nicht gemäht, wie hier unterstellt wird. Die Wahl muss erst einmal geschlagen werden. In unserem Wahlbezirk treten neun Kandidaten an. Wer am meisten Stimmen bekommt, kriegt die Möglichkeit, nach Rom zu gehen. Zweitens: Ich weiß nicht, ob Cornelia mitbekommen hat, wie viel ich unterwegs bin. Und das seit zwei, drei Monaten. Sagen, dass ihr Einsatz größer wäre, nur weil ich nicht auf Facebook bin, ist ein bisschen weit her geholt.

Brugger: Das habe ich auch gar nicht gesagt. Und die gemähte Wiese ist unbestreitbar da! Aber natürlich spreche ich dir deinen Einsatz nicht ab, ich kann mir vorstellen, dass du mit Ernsthaftigkeit an die Geschichte herangehst. Nie im Leben würde ich dir das Gegenteil unterstellen.

Frau Brugger, noch Ende 2017 zitiert Sie die ff mit der Aussage, Sie hätten sich von der Politik “distanziert”. Wenige Wochen später werden Sie als Senats-Kandidatin für Liberi e Uguali (LeU) präsentiert. Wie kam’s?

Brugger: Das muss aus dem Kontext gegriffen sein. Ich bin parteiunabhängige Gemeinderätin in Bruneck und war und bleibe politisch engagiert. Wer die Oppositionsarbeit kennt, weiß, dass man stets am Ball bleiben muss und sich nicht einfach zurücklehnen kann. An Liberi e Uguali fasziniert und überzeugt hat mich, dass sich die Linke in Südtirol zusammengeschlossen hat. Mit Sinistra Italiana - Die Linke und Articolo 1 - MDP (Movimento Democratico e Progressista, Anm.d.Red.) habe ich immer sympathisiert. Ausschlaggebend war schließlich, dass sich die Grünen entschieden haben, mit LeU anzutreten. Ein starker Rechtswind macht sich in Südtirol und italienweit bemerkbar und weht alles um, was nicht niet- und nagelfest ist. Da ist es wichtig, dass sich Kräfte und Ideale, die sich ähnlich sind, zusammenschließen, um dagegen aufzutreten. Ich bin eine sehr spontane Frau und wenn mich etwas überzeugt, mache ich es. Mein Credo: Ich habe nichts zu verlieren und gehe die Sache mit Freude an.

Warum kandidiert Meinhard Durnwalder für den Senat?

Durnwalder: Der SVP-Bezirk Pustertal hat die Ambition, auf parlamentarischer Ebene vertreten zu sein. Traditionell bewerben wir uns für den Senatssitz. Eine Tradition aus früheren Zeiten, mit Peter Brugger, Hans Rubner, Helga Thaler Ausserhofer, zuletzt Hans Berger. Der fällt unter die parteiinterne Mandatsbeschränkung und konnte nicht mehr antreten. Im Sinne dieser Kontinuität haben wir uns als Bezirk Pustertal um den Senatssitz bemüht. Die Ortsgruppen haben meine Kandidatur sehr stark vorangetragen, weil ich mich beruflich sehr viel mit der Materie des Verfassungs- und Autonomierechtes beschäftige. Ich durfte – ich muss wirklich sagen durfte – die Ausbildung zum Rechtsanwalt bei Professor Roland Riz machen. Er ist nach wie vor eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich habe dadurch eine gewisse Sympathie für die Materie entwickelt. Und so ist meine Kandidatur zustande gekommen.

Frau Brugger, Sie haben den Rechtswind angesprochen, in Italien und in Südtirol. Ist die SVP auch nach rechts gerückt?

Brugger: Die SVP ist eine Sammelpartei und hat viele Seelen in sich. Das ist nach wie vor spürbar. Ich denke zum Beispiel an die Bozner Gemeindepolitik und das Thema nicht deutschsprachiger Kinder im deutschen Kindergarten. Dort legt die SVP eine absolut rechte Gesinnung an den Tag, denn die linke Gesinnung würde sagen, alle sind willkommen, versuchen wir, das Beste daraus zu machen und voneinander zu lernen.

Durnwalder: Es ist ja wirklich interessant: Der SVP wird viel häufiger vorgeworfen, zu sehr links- als rechtslastig zu sein. Ich bin ganz bei Cornelia – die SVP hat viele Seelen in sich. Schöner könnte man es gar nicht sagen! Als Sammelpartei haben wir das Anliegen, alle Richtungen und Organisationen in unserer Partei zu vertreten. Natürlich gibt es Diskussionen zwischen dem linken Lager und jenen, die eher die heimatpolitische Linie vertreten.

Brugger: Als ich vom Rechtswind gesprochen habe, habe ich sicherlich nicht zuallererst an die SVP gedacht. In Bozen gibt es drei CasaPound-Gemeinderäte. Das ist einzigartig in Italien. Dem gilt es entgegenzutreten.
Wir sind mit goßen Herausforderungen konfrontiert, die den rechten Gesinnungen Aufwind verleihen. Die Kräfte der Linken und der Mitte haben nicht nur die Aufgabe, klare Grenzen zu ziehen. Es müssen klare Konzepte entwickelt werden, wie mit gewissen Phänomenen umzugehen ist. Das hat die Linke in letzter Zeit versäumt. Doch es gibt dringenden Handlungsbedarf.

Durnwalder: Natürlich muss die Politik Lösungen anbieten.
Gerade das Thema Flüchtlingsströme hat durch die Entwicklungen der vergangenen Monate und Jahre auf europäischer Ebene zusätzlich an Brisanz gewonnen. Die Europäische Union hat meiner Meinung nach nicht die beste Figur abgegeben. Man hat sich nicht auf eine gemeinsame Politik einigen können. Es ist zwar die Rede von den gemeinsamen Außengrenzen und Schengen, aber wenn es darauf ankommt, schaut doch jeder Nationalstaat darauf, seine eigenen Grenzen zu schützen. Italien ist dabei in einer sehr exponierten Lage – entsprechend die Zuwanderung. Das hat zu gewissen Tendenzen und dem Rechtsruck geführt. Aber es wird bereits an Lösungen und Regelungen gearbeitet, Stichwort Abkommen Italien-Libyen. Es wird zusätzliche Entwicklungshilfe brauchen. Aber das Problem insgesamt muss weit über Südtirol hinaus gedacht werden.

Brugger: Völlig richtig, es ist kein Südtiroler Problem. Wir beide bewerben uns für einen Senatssitz. Im Parlament müssen wir uns um italienische Anliegen bemühen. Hier kritisiere ich die SVP ganz prinzipiell: Bei Dingen, die nicht nur Südtirol, sondern einen größeren Kontext – Italien, Europa – betreffen, macht sie immer nur sehr widerwillig mit. Wir sprechen gerade davon, dass es Regelungen für den Umgang mit Menschen braucht, die bei uns Zuflucht suchen. Das ius soli wäre eine Möglichkeit, klar zu definieren, wie wir mit den neuen Bürgern bzw. deren Kinder, die in Italien geboren werden, umgehen. Man hat sich aber nicht durchgerungen, das ius soli umzusetzen. Mein Eindruck von der SVP ist dieser: In Rom geht es nur darum, neue Kompetenzen zu erlangen. Wie auf einer Einkaufsliste gibt es Dinge, die es abzuhaken gilt. Wir leben in einem Staat, mit unserer Autonomie. Um die werden wir zwar beneidet, aber wir schaffen es immer wieder, uns bei den Kollegen im Parlament und den anderen Regionen unsympathisch zu machen. Eben weil wir nur auf unsere Dinge schauen. Das ist nicht in Ordnung.

Ob ich mich als “rottamatore” sehe? (überlegt und lacht)
(Meinhard Durnwalder)

Mit genau diesem Wahlversprechen tritt die SVP auch 2018 an: Autonomie sichern und ausbauen, sprich Kompetenzen zurückholen und weitere erhalten.

Durnwalder: Es ist die wesentlichste und grundlegende Aufgabe der Südtiroler Parlamentarier, die eigene Autonomie, die eigene Selbstverwaltung zu stärken. Alles, was wir an Kompetenzen erhalten, erlaubt uns, in unserem Land selbst gesetzgeberisch und verwaltungsrechtlich tätig zu werden und eigene Regelungen für unsere Besonderheiten zu schaffen.

Brugger: Meine Ethik ist eine andere: Man muss über den Tellerrand hinausschauen. Wir müssen uns fragen, was wir auslösen, wenn wir dies und jenes in Rom einfordern – und ob wir dazu stehen können. Das vermisse ich sehr stark. Andererseits gibt es sehr viele Dinge in Rom, die uns auch betreffen – ius soli, unioni civili, bigenitorialità –, wo wir uns aber sehr wenig einklinken. Nein, uns ist wichtig, dass wir Kompetenzen nach Südtirol holen.

Durnwalder: Selbstverständlich müssen wir über den Tellerrand hinausblicken. Das wurde über die Jahre auch gemacht. Bei großen gesamtstaatlichen Gesetzen – Sozialpolitik, Familienpolitik, Energiepolitik – ist es wichtig, dass wir unsere Vorstellungen einbringen. Aber es gilt zu berücksichtigen, dass wir hier von sechs, sieben, acht Leuten auf 945 sprechen. Meinen, dass wir mit unseren paar Parlamentariern die italienische und europäische Politik grundlegend bestimmen, ist etwas weit hergeholt.

Brugger: Auch als politische Minderheit hat man das Anliegen, etwas zu verändern. Diese Erfahrung habe ich als Oppositionelle im Gemeinderat gemacht. Es ist meine Aufgabe, mich für das stark zu machen, wofür mir die Menschen ihr Vertrauen geschenkt haben.

Durnwalder: Sagen, unser Anliegen sei nicht die Autonomie, sondern wir müssten als Südtiroler Weltpolitik betreiben…

Brugger: Italienpolitik würde mir schon reichen.

Durnwalder: Ob nun Welt- oder Italienpolitik – ich glaube nicht, dass das das primäre Ziel eines Südtiroler Parlamentariers ist. Alles, was wir im Land selbst regeln können, können wir auf die Situation und Menschen vor Ort anpassen. Daher glaube ich nicht, das das der falsche Weg ist. Der hat uns schließlich in den vergangenen Jahrzehnten ausgezeichnet und zum Wohlstand geführt, den wir heute haben.

Brugger: Es ist interessant, wie unterschiedlich die Auslegungen von Wohlstand sind. Das zeigt die jüngste Berechnung der Handelskammer, die eklatant von den Daten des ASTAT abweicht. Bozen ist nach wie vor die teuerste Stadt Italiens, Südtirol hat extrem hohe Lebenshaltungskosten. Was ich sagen will: Wir haben in Südtirol eine Situation, die wir im Auge behalten müssen. Wir müssen hinschauen und intervenieren. Auch hier kommen viele Menschen trotz eines Einkommens nicht bis ans Monatsende. Die Sozialpolitik ist in Südtirol nicht an erster Stelle, dort muss etwas passieren. Das sind Anliegen, die man auch in Rom voranbringen kann.

Sind wir da nicht wieder bei den Kompetenzen?

Brugger: Nein.

Durnwalder: Doch, genau darum geht es. Wir müssen versuchen, die entsprechenden Kompetenzen für Südtirol zu sichern, um in genau diesen Bereichen eingreifen zu können: Wohnbaupolitik…

Brugger: Moment! Die Mietpreise machen wir uns in hier oben selbst. Südtiroler Joghurt kostet in Apulien weniger als hier! Dafür sind wir verantwortlich, das können wir nicht auf die Kompetenzen schieben. Wir müssen schon genauer hinschauen.

Durnwalder: Du widersprichst dir. Mit dem Ansatz, Kompetenzen für Südtirol zu sichern und auszubauen verfolgen wir ja das Ziel, genau hier für unsere Bedürfnisse Regelungen machen zu können, im Wohnbau, im Sozialen, in der Familien-, in der Gesundheitspolitik. Ob nun ein Landesgesetz anders zu gestalten wäre, weil es dieses oder jenes Problem gibt – das sind landespolitische und weniger römische Themen.
Ansonsten gebe ich dir in vielen Punkten recht. Wir haben ein bestimmtes Budget zur Verfügung. Insgesamt die Hälfte des Haushaltes geben wir für Gesundheit, Soziales und Bildung aus. Natürlich, genug wäre es nie und man kann hinzeigen, wo es noch hakt. Aber wenn wir über die Parlamentstätigkeit und die nationale Politik reden, finde ich die wichtigste Aufgabe, Zuständigkeiten zu halten, um selbstständig etwas tun zu können. Wir wollen die Selbstverwaltung, die eine große Errungenschaft ist, die die SVP maßgeblich mit betrieben hat.

Stimmen Sie dem zu, Frau Brugger?

Brugger: Die Autonomie ist nach wie vor absolut zu schätzen und Südtirol hat es vermocht, das Beste daraus zu machen. Aber wir hängen einfach in vielen Sachen drin, unabhängig von Kompetenzen oder nicht. Und es ist doch so, dass wir es auch trotz Kompetenzen nicht immer schaffen, es besser zu machen. Ich denke an La Buona Scuola. Im Bereich Schule haben wir gewisse Zuständigkeiten erreicht, aber zumindest auf italienischer Seite gibt es nun eine Matura nach vier und nicht mehr nach fünf Jahren – Wissen wird in immer kürzerer Zeit in die Köpfe hineingepresst. Dinge, von denen sich andere Länder längst schon wieder abgewandt haben, fordern wir wieder ein. Dabei wären die besten Kompetenzen, mit denen wir unsere jungen Menschen ausstatten können, die Sprachen. In diesem Bereich haben wir eine Autonomie, aber es nicht geschafft, uns durchzuringen, unsere Kinder in den Schulen wirklich mehrsprachig zu begleiten. Das kreide ich ganz fest an: Wir hätten die Kompetenz, fangen aber nichts damit an.

Durnwalder: Wobei wir wieder beim Thema wären – du kreidest Dinge an, die die Landespolitik betreffen. Du sagst, du bist mit den schulpolitischen Regelungen und Sprachregelungen nicht einverstanden.

Brugger: Ich will nicht auf die Landespolitik eingehen, dazu wird es in Zukunft vielleicht Gelegenheit geben. Wir reden davon, wie wichtig Kompetenzen für uns sind. Aber der nächste Schritt ist: Was fange ich damit an?

Durnwalder: Zuerst muss man die Kompetenz aber erst einmal haben. Und es geht nicht immer um neue, sondern ebenso um den Schutz bestehender Kompetenzen. Mit der Verfassungsreform von 2001 wurden die Zuständigkeiten von Staat und Regionen italienweit neu definiert. Seither gibt es immer wieder Kollisionen, weil sich die Zuständigkeiten des Staates zum Teil mit jenen überschneiden, die wir laut Autonomiestatut von 1972 haben. Es kommt zu Schwierigkeiten mit dem Verfassungsgerichtshof, der uns Kompetenzen streitig macht.

Die SVP und der Trentiner PATT haben ihren Pakt mit dem PD erneuert. Vor dem Hintergrund, dass es für die Volkspartei in Rom in erster Linie um Kompetenzen geht: Wie wichtig beziehungsweise wie vernachlässigbar ist der Ansprechpartner dort? Sollte der PD nicht an die Regierung kommen, wird man sich wohl oder übel umorientieren müssen?

Durnwalder: 2018 hat man beschlossen, kein gesamtstaatliches Abkommen wie 2013 mit dem PD einzugehen. Sondern ein lokales Abkommen für den Mehrheitswahlkreis Bozen-Unterland, wo die SVP von außen italienischsprachige Kandidaten unterstützt, die bewiesen haben, für die Autonomie einzustehen und autonomiepolitisch Nachweise geliefert haben. Es ist eine externe Unterstützung für den PD unsererseits – auch im Hinblick auf eine mögliche Zusammenarbeit danach in Rom, wo man schauen wird, Themen weiterzubringen.

Brugger: Mit dem PD wurde also keine Koalition, keine Allianz eingegangen? Mir war bekannt, dass aufgrund des neuen Wahlgesetzes auf nationaler Ebene sehr wohl eine Allianz eingegangen worden ist bzw. werden musste. So habe ich das im Kopf, vielleicht lasse ich mich jetzt aber auch eines Besseren belehren…

Durnwalder: Ich möchte daran erinnern, dass in unserem Wahlkreis, Cornelia, der PD gegen uns antritt. Mit Renate Prader hat der PD eine eigene Kandidatin und wir eine direkte Konkurrentin.

Brugger: PD-Kandidaten wie Renate Prader jetzt als Gegnerin hinzustellen, lässt mich schmunzeln. Nachdem es einen klaren Pakt gibt, wird sie vermutlich keine Gegnerin sein. So wie sämtliche PD-Kandidaten, die sich in den Wahlkreisen Ost und West haben aufstellen lassen.

Durnwalder: Es gibt einen lokalen Pakt für Bozen-Unterland, der nichts mit dem Rest Südtirols zu tun hat. Dort gibt es Gegenkandidaten des PD, gleich wie die der anderen Parteien. Und natürlich ist Renate Prader eine Gegenkandidatin, denn die Stimmen, die sie bekommt, fallen nicht mir zu, sondern dem PD.

Kehren wir in den Wahlkreis Bozen-Unterland zurück.

Brugger: Wir haben ein großes Problem damit, wie diese zwei Kandidaten dort ermittelt wurden: auf nationaler Ebene, in einer Nacht- und Nebelaktion, vermutlich im Alleingang von Matteo Renzi, mit Zustimmung der SVP. Aus euren Parteistuben hat es von vornherein geheißen, Boschi passt für uns. Einige wenige haben dann Kritik nach außen getragen.

Wie erging es Ihnen, Herr Durnwalder als dann die Namen von Gianclaudio Bressa und Maria Elena Boschi auf dem Tisch lagen?

Durnwalder: In die Frage, wie die Kandidaten ermittelt werden, haben wir uns nie eingemischt. Das steht uns auch nicht zu. Fakt ist, dass die beiden Kandidaten, wegen der Schwäche des lokalen PD… (hält inne). Cornelia kann vielleicht mitreden, sie hat schließlich eine PD-Vergangenheit…

Brugger: Die habe ich hinter mir gelassen.

Durnwalder: Fakt ist jedenfalls, dass die beiden Kandidaten von Rom geschickt wurden. Uns wäre ein lokaler Kandidat lieber gewesen. Dass nun nationale Kandidaten bzw. mit Boschi eine nationale Kandidatin gekommen ist, hat bei allen Bauchweh ausgelöst.

Bei Ihnen auch?

Durnwalder: Bei mir auch Bauchweh, ja. Allerdings muss man sagen, dass die beiden in der Vergangenheit bewiesen haben, für die Südtiroler Autonomie und die Südtiroler Fragen offen zu sein. Boschi war – das können alle Parlamentarier bestätigen – die Ansprechperson für Durchführungsbestimmungen im Ministerrat. Daher haben wir beschlossen, ihre Kandidatur zu unterstützen.

Brugger: Ich muss jetzt schon etwas lachen. Das Mantra hören wir nun seit Wochen… Noch vor Kurzem hast du dich in der ff über dein großes Bauchweh über Boschi ausgelassen und gesagt, dass du diese Entscheidung nicht mitgetragen hast. Du hast auch Arno Kompatscher kritisiert – und jetzt überall dieses Mantra, “die haben ja alle so viel getan für uns”. Sogar der Schiefer ist beruhigt (worden) im Unterland.

Rot und Grün sind zwei Farben, die ohneeinander nicht können.
(Cornelia Brugger)

Die Entscheidung über die PD-Kandidaten lag aber nicht bei der SVP. Oder?

Brugger: Die Entscheidung wurde mitgetragen! Wären die Kandidaten der SVP ein wahres Anliegen gewesen, hätte man verhandeln, sein Veto einlegen können. Da ist wieder die Masche der SVP: Wo mir etwas gut geht, sage ich nicht viel. Aber bei Dingen, die mir am Herzen liegen, weiß ich, wie ich mich zu bewegen und zu kämpfen habe.

Durnwalder: Nochmal: Es steht uns nicht zu, den Italienern die Kandidaten vorzuschreiben. Das sind keine SVP-Kandidaten.

Brugger: Ihr könnt da mitreden und sagen, nein, die gehen für uns nicht gut. Ihr habt ja eine Koalition!

Durnwalder: Nein, wir haben keine Koalition! Wir haben ein Abkommen…

Brugger: Ihr habt die Vorschläge mit offenen Armen aufgenommen!

Durnwalder: Wir haben intern beschlossen, Kandidaten, die bewiesen haben, autonomiefreundliche Ansprechpartner zu sein, mitzutragen. Das war meiner Meinung nach die richtige Entscheidung. Auch, weil gemäß Autonomiestatut auch die Italiener eine entsprechende parlamentarische Vertretung haben sollen. Das ist für das Zusammenleben in Südtirol wichtig.

Brugger: Das muss man sich jetzt auf der Zunge zergehen lassen... Da kommt eine Kandidatin, die sich die Südtiroler Kultur insofern zueigen macht, indem sie die Faschingsumzüge, Weinkeller und Schnapsbrennereien besucht anstatt sich wirklich mit den Menschen auseinanderzusetzen. Sie ist sicherlich keine Vertreterin für Südtirol.
Wie fühlen sich denn die Italiener im Unterland und in Bozen damit? Es reicht nicht zu sagen, wir müssen schauen, dass die Italiener auch irgendwie vertreten sind. In unserem Land leben Italiener genauso wie Südtiroler – sie sind in der Minderheit, aber sie sind da! Wir haben ein Miteinander und da muss ich auf sie genauso schauen wie auf die anderen. Diese Entscheidung hat sicher viel, viel Missmut gebracht und wird die SVP im Unterland viele Stimmen kosten. Ich hoffe, zugunsten von Liberi e Uguali, vermute aber zugunsten der 5 Stelle.

Durnwalder: Ich wiederhole mich: Als Vertreter der deutschen Sprachgruppe sollten wir uns nicht in die Kandidatenfindung der Italiener einmischen. Das wäre, unabhängig von parteipolitischen Überlegungen, eine Katastrophe für das Zusammenleben.

Brugger: Es geht darum, dass die SVP diese Kandidaturen unterstützt. Ihr habt eine Mitverantwortung!

Durnwalder: Ich verstehe dich schon. Aber wenn die SVP ihre Unterstützung nicht gegeben hätte, wäre Boschi trotzdem in diesem Wahlkreis angetreten. Denn soweit ich informiert bin, lag zuletzt kein lokaler Name am Tisch. Daher haben wir beschlossen, Boschi zu unterstützen. Man kann über die Frage “Unterstützung Ja-Nein?” geteilter Meinung sein. Aber es war eine parteiinterne Mehrheitsentscheidung. Natürlich kann man die heute kritisieren – aber es hätte nichts geändert. Boschi wäre trotzdem angetreten.

Wenn sich die SVP nicht in die Diskussion um die Kandidatenfindung der Italiener einmischen will – hätte man das Bauchweh und die Polemik nicht vermeiden können, indem man sich öffnet und selbst italienischsprachige Kandidaten aufstellt?

Durnwalder: Das ist eine alte Diskussion. Wir sind die Vertretung der deutsch- und ladinischsprachigen Minderheit. Das ist unser Anspruch, unsere Aufgabe, die so im Parteistatut drin steht.

Wen vertreten Sie, Frau Brugger?

Brugger: Ich bin eine Vertreterin jener Menschen, denen die Punkte in unserem Programm wichtig sind. Ich mache keinen Unterschied zwischen Sprachgruppen, ich bin eine Vertreterin der Südtiroler. Und natürlich auch jener Menschen, die neu in unser Land gekommen sind, hier leben und arbeiten und sich vielleicht noch nicht als Südtiroler empfinden.

Stichwort Wahlprogramm. Welche drei Anliegen sind Ihnen besonders wichtig? Welche sind Ihre Herzensanliegen?

Brugger: Auf jeden Fall die Arbeit. Der Jobs Act hat riesengroße Schäden angerichtet. Es gibt zwar mehr Arbeit, aber zugleich haben sich ganz viele verschiedene prekäre Arbeitsverhältnisse aufgetan – was zu mehr Ungleichheit führt. Die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht immer weiter auseinander gehen, es braucht mehr Sicherheit. Ein weiteres Anliegen ist die Schule. La Buona Scuola hat nicht das gebracht, was sie versprochen hat. Außerdem ist die Situation auch in der Schule prekär. Aufgrund der unsicheren Arbeitsverhältnisse der Lehrer gibt es keine Kontinuität. Das wirkt sich auf die Kinder und deren Bildung aus. Es braucht eine Bildung, die Kinder und Jugendliche europafit macht. Und daneben eine Basis, damit junge Menschen, die ins Ausland gehen, wieder zurück kommen und hier Sicherheit und interessante Arbeitsbedingungen vorfinden.

Durnwalder: Unser Schwerpunkt liegt auf den autonomiepolitischen Themen – da waren wir ja schon: Verteidigung und Erlangung von Zuständigkeiten, vor allem im Bereich Umweltschutz, aber auch beim Personal, bei Arbeitssicherheit und -schutz. Ein wirkliches Herzensanliegen ist mir die Gemeindeordnung. Es braucht eine Regelung auf Provinzebene. Derzeit gibt es ein Einheitsgesetz auf regionaler Ebene, das für die beiden Provinzen gilt, obwohl es zwei völlig unterschiedliche Realitäten sind. Ein zweites Thema sind die Durchführungsbestimmungen, für eine Lösung etwa in der Toponomastik und bei Bär und Wolf. Das sind die großen autonomiepolitischen Themen, wo man abwarten muss, wie die Mehrheitsverhältnisse ausschauen und ob man Zugang zu den Entscheidungsträgern hat oder nicht. Der dritte Punkt ist das tagespolitische Geschäft, wo ich vieles teilen kann, was Cornelia angesprochen hat. Italien ist in vielen Bereichen reformbedürftig. Es wird zu schauen sein, dass man bei gesamtstaatlichen Reformgesetzen die Besonderheiten Südtirols berücksichtigen und absichern kann. Wir sind in bestimmten Bereichen anders als die anderen Regionen.

Was sich bei dem Reizthema Impfen zeigt. Ein staatliches Gesetz regelt die Impfpflicht neu. Wie stehen Sie dazu? Insbesondere Sie, Frau Brugger, die als Kindergärtnerin direkt mit Kindern und Eltern zu tun hat?

Brugger: Impfen hat etwas mit Gesundheit zu tun. Vor diesem Hintergrund denke ich, dass das Thema breiter gesehen werden muss. Viele Entscheidungen in der italienischen Gesundheitspolitik wurden und werden von den Menschen nicht mitgetragen. Gäbe es prinzipiell mehr Aufklärung, könnten Entscheidungen nachvollziehbar werden. Das neue Impfgesetz kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel, es wurde an den Menschen vorbei entschieden. Und das bei einem solch delikatem und emotionalem Thema. Daher das große Unverständnis und das Dagegen-Sein.
Man darf nicht vergessen, dass Impfungen Krankheiten ausgemerzt haben. Und es braucht einen gewissen Herdenschutz, absolut. Nicht richtig ist aber, Impfungen aufzudoktrinieren und Menschen, Familien in ihrer Entscheidungsfähigkeit zu beschneiden. Mit einer offenen Politik und Aufklärung würde man vermutlich ohne diese angedrohten Ausschlussverfahren dasselbe Ergebnis erreichen. Das Pferd wurde in diesem Fall von hinten aufgezäumt.

Durnwalder: Ich finde nicht in Ordnung, dass hier zwei verfassungsrechtliche Werte – Schutz der Gesundheit und Recht auf Bildung – gegeneinander ausgespielt werden. Der Schutz der Gesundheit wurde in den Vordergrund gerückt, auf der anderen Seite wird der Besuch des Kindergartens verwehrt. Dabei sind beide Werte für die Gesellschaft gleichwertig. Ich finde bedenklich, dass sie gegeneinander ausgespielt werden. Der italienische Staat hat mit dieser Regelung über das Ziel hinaus geschossen. Man hätte vielleicht andere Wege beschreiten können. Fakt ist nun aber, das Gesetz wurde verabschiedet. Die Region Veneto hat versucht, es anzufechten, indem gesagt wurde, man habe regionale Zuständigkeiten in den beiden Bereichen. Das Verfassungsgericht hat den Rekurs abgelehnt. Sprich, das staatliche Gesetz ist in seiner heutigen Form derzeit in Kraft – und mittlerweile durch eine Rechtssprechung des Verfassungsgerichtshofes abgesichert.

Ich verstehe dich schon. Aber wenn die SVP ihre Unterstützung nicht gegeben hätte, wäre Boschi trotzdem in diesem Wahlkreis angetreten.
(Meinhard Durnwalder)

Die Region Veneto hat keine regionale Zuständigkeit in Sachen Impfen. Und Südtirol?

Durnwalder: Nein.

Tatsache ist, dass hierzulande eine Unterschriftenaktion für ein “Südtiroler Impfgesetz” gestartet wurde.

Durnwalder: Unabhängig von irgendwelchen populistischen Geschichten ist Fakt, dass der Gesundheitsschutz in Art. 9 des Autonomiestatuts und in Art. 117 Absatz 3 der Verfassung als konkurrierende Gesetzgebungskompetenz festgehalten ist. Das bedeutet, dass der Staat die Grundsätze festlegen kann und die Regionen bzw. die Autonomen Provinzen Bozen und Trient die Details regeln können. Der Verfassungsgerichtshof hat klipp und klar festgehalten, dass das neue Impfgesetz eine Grundregelung ist, die auf dem gesamten Staatsgebiet zu gelten hat und wo nicht jede Region eine separate Regelung erlassen kann. Daher ist in diesem Bereich keine autonome Regelung möglich.

So ganz will aber auch die Südtiroler Gesundheitslandesrätin nicht daran glauben. Sie sagt, es werden keine Kinder ausgeschlossen, die die Vorgaben nicht erfüllen.

Durnwalder: Es wird versucht, im laufenden Jahr niemanden aus dem Kindergarten auszuschließen. Was weitergehend passiert, muss man schauen. Es laufen Gespräche, aber die rechtliche Situation ist momentan eindeutig.

Rechtlich weniger eindeutig, aber dafür umso emotionaler verläuft eine anderen Diskussion: jene um die doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler.

(Schweigen, dann Lachen)

Brugger: Der Doppelpass ist eure Geschichte!

Durnwalder: Du hast recht, das ist ein Thema, das die SVP aufgeworfen und vorangetrieben hat.

Das Ganze artet aber langsam aus.

Durnwalder: Genau. Es gilt aufzupassen, dass das Thema nicht zu einer Spaltung in der Gesellschaft führt, dass es nicht darum geht, wer jetzt der “gute” und wer der “schlechte” Südtiroler ist. In unseren Augen war der Doppelpass immer eine Möglichkeit, die Verbundenheit mit Österreich zum Ausdruck zu bringen. Die österreichische Regierung hat diese Möglichkeit nun in ihr Regierungsprogramm aufgenommen. Damit ist das Thema auf dem Tisch und man wird schauen müssen, wie damit umzugehen ist.

Brugger: Für die SVP ist es im Moment ein absolut heißes Eisen: Die Landtagswahlen stehen vor der Tür und wir wissen, dass die deutschsprachigen Rechtsparteien ganz fest auf diesen Doppelpass pochen. Daher schiebt die SVP das Thema vor sich her. Aber ich bin fest überzeugt davon, dass auch im Kopf vom Meinhard und vieler SVP-Exponenten präsent ist, dass es unmachbar ist.

Durnwalder: Es gilt, viele Themen und Fragen zu klären, die mit der österreichischen Staatsbürgerschaft zusammenhängen: Militärdienst, aber auch die politische Vertretung Südtirols. Mit den Stimmen der Südtiroler könnte man eventuell einen Abgeordneten im Nationalrat stellen. Abgesehen davon müsste Österreich die Europarats-Konvention aufkündigen, mit der es sich gegen Doppelstaatsbürgerschaften ausgesprochen hat. Und wenn nur wenige Bürgerinnen und Bürger um den Doppelpass ansuchen, bleibt die Frage, ob das ein Schaden für die Minderheitenpolitik für die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit ist. Es gibt also viele Fragen, rechtlicher und politischer Art. Der politischen Diskussion muss man sich stellen und versuchen, einen Ausgleich zu finden.

Brugger: Das Verbindende würde das Trennende niemals aufwiegen. Ich glaube nicht, dass ernsthafte Politik für so etwas die Verantwortung übernehmen kann. Südtirol bewegt sich immer noch auf sehr dünnem Eis was das Zusammenleben betrifft. Der Doppelpass würde eine Spaltung verursachen, über deren Konsequenzen wir uns nicht im Klaren sind.

Der Landeshauptmann meint, der Doppelpass könnte nur in einem “europäischen Geist” verstanden werden. Nun befindet sich Europa, konkret die EU, in einer Krise. Nationalstaatliche Alleingänge wurden anfangs schon angesprochen. Welche Rolle muss die EU in einer sich verändernden Welt einnehmen?

Durnwalder: Die Europäische Union wurde in den Nachkriegsjahren auch gegründet, um zu vermeiden, dass in Europa noch einmal ein Krieg ausbricht. Im Sinne dieses friedlichen Zusammenlebens hat sie ihre Verdienste und nach wie vor ihre Berechtigung.
Nun ist es so, dass jeder Staat Kompetenzen an die EU abgetreten hat. Meiner Meinung nach sollte man sich da auf die grundsätzlichen Fragen beziehen, auf die großen, gemeinsamen Themen: Schutz der Außengrenzen, eine gemeinsame Verteidigungspolitik, die gemeinsame Währung. Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der EU ist, die Größe von Zucchini vorzuschreiben.

Brugger: Du sprichst mir aus der Seele. Ich hatte gerade die Größe der Zucchini im Kopf.

Es war doch die Gurke…

(Lachen)

Durnwalder: Ach ja, Verzeihung.

Brugger: Die Krümmung der Gurke!

(Lachen)

Durnwalder: Die Gurke war’s. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, dass das die Aufgaben der Europäischen Union sind. Es sind vielmehr die gemeinsamen Fragen. In dieser Hinsicht ist sie zu überdenken, weil sie gerade bei diesen Themen – Schutz der Außengrenzen und offene Innengrenzen – teilweise, naja fast versagt hat. Wenn man an die Nationalismen denkt, die immer wieder aufbrechen.

Brugger: Die EU ist sicher weiterhin eine Chance. Man muss sich ums Wesentliche kümmern, so wie Meinhard gerade gesagt hat, und sich nicht bei Details aufhalten. Zugleich muss man sie aber auch potenzieren. Es geht nicht an, dass sich Staaten aus der gemeinsamen Verantwortung ziehen können. Grundlegende Richtlinien müssen für alle gleich gelten. Dazu kommt, dass der Weg, den die USA mit Donald Trump eingeschlagen hat, der EU sicher nicht zuträglich ist. Auch aus diesem Grund muss sie gestärkt werden – mit klaren Zielen, ohne sich zu verzetteln. Ohne EU geht es nicht.

Die gemähte Wiese ist unbestreitbar da! Aber natürlich spreche ich dir deinen Einsatz nicht ab, ich kann mir vorstellen, dass du mit Ernsthaftigkeit an die Geschichte herangehst. Nie im Leben würde ich dir das Gegenteil unterstellen.
(Cornelia Brugger)

Zum Schluss eine persönliche Frage. Herr Durnwalder, Sie haben eine gewisse Nähe zu Matteo Renzi: Der PD-Chef ist nur ein Jahr älter als Sie und als “rottamatore” nach Rom gezogen. Als “Verschrotter” wollte er mit der “alten” Politik und deren Stil aufräumen. Sehen Sie sich auch als “rottamatore”?

Durnwalder: Ich getraue mich schon zu sagen, dass ich einen eigenen Kopf, meine eigenen Einstellungen und Vorstellungen habe. Die werden von den Funktionären und Mandataren meiner Partei manchmal geteilt. Manchmal auch nicht, das muss ich zugeben. Rottamatore… (überlegt und lacht). Das wäre wohl doch etwas zu hoch gegriffen. Ich stehe für meine Überzeugungen gerade – was in einer Sammelpartei eine Befriedigung sein kann, wenn die eigene Position einen Mehrheitsposition ist. Manchmal kann es auch unbefriedigend sein, wenn man mit seiner Überzeugung in der Diskussion nicht weiterkommt. Ich bin aber auch jemand, der Mehrheitsentscheidungen, sind sie einmal getroffen, nach außen mitträgt. Ich bin nicht der, der trotzdem einen politischen Krieg anzettelt. Ich bin als kritisch bekannt, aber nicht gerade als “rottamatore” (lächelt).

Frau Brugger, als Ex-PDlerin und nun Kandidatin einer öko-linken Listenverbindung – sind Sie mehr Grün oder Rot?

Brugger: Rot und Grün gehen einher. Das sind zwei Farben, die einander nicht nur nicht ausschließen, sondern die ohneeinander nicht können. Es geht darum, die ethischen Werte in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Werte gibt es bei Grün ebenso wie bei Rot. Ich brauche eine gesunde Umwelt, um gesund arbeiten und gesund leben zu können. Ich brauche ein Miteinander, kein Gegeneinander und Hierarchie nur in einer Form, in der sie sich nicht auf die Würde des Menschen auswirkt. Das geht in Rot und Grün wunderbar einher.