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Watten sticht Virus

Seit Südtirol de facto unter Corona-Quarantäne steht, darf sich Stefan Peer in Zürich über Rekordzahlen freuen. Das Online-Watten boomt. Was sagt der Erfinder?
Wattkarten
Foto: Salto.bz

Als Stefan Peer ans Telefon geht, weiß er noch nicht, was in wenigen Stunde passieren wird. Am Montag Nachmittag wird in der Schweiz die “ausserordentliche Lage” ausgerufen. Seit Mitternacht sind das Land und seine Grenzen dicht. Bis 19. April. Ähnlich wie in Italien gibt es massive Einschränkungen des Alltags. Bis auf die grundlegenden Dienste ist alles stillgelegt. Die Armee ist mobilisiert – im Kampf gegen den unsichtbaren Feind, der die ganze Welt in Atem hält: das Coronavirus.

Hamsterkäufe hat Stefan Peer bereits in den vergangenen Tagen beobachtet. “Meine Freundin wollte Pizza machen und musste fünf verschiedene Orte abklappern, um Hefe zu finden.” Eigentlich stammt der 31-Jährige aus Tramin. Seit einem Jahr lebt und arbeitet er in Zürich. Er ist angestellt bei Puzzle ITC. Die Firma bietet IT-Lösungen an. Unter anderem für renommierte Kunden wie den Flughafen Zürich oder die Schweizerischen Bundesbahnen SBB. Angefangen hat Peer ganz früh – mit einer Erfindung, die in Zeiten von Corona einen unerwarteten Hype erfährt.

 

Es war das Jahr 2007. Für Stefan Peer stand die Matura an der Gewerbeoberschule “Max Valier” in Bozen an. Als Abschlussprojekt erstellte er eine Webseite, auf der gewattet werden kann. Unkompliziert und kostenlos.
In den Folgejahren entwickelte sich “watten.org” zum beliebten Watter-Treffpunkt. Dank technischer Verbesserungen und Aufrüstungen blieb die Seite bis heute den Anforderungen gewachsen. Dann kam das Coronavirus – und das erste Wochenende in Quasi-Quarantäne in Italien und damit auch in Südtirol.
Denn was machen Jung und Alt zum Zeitvertreib gerne? Einen Watter. Und wo machen sie den, wenn sie nicht aus dem Haus und soziale Kontakte meiden sollen? Im Netz.

Er sei von seinem Kollegen Lukas Weiss am Samstag kontaktiert worden, erinnert sich Stefan Peer. Mit Weiss betreibt er watten.org seit 2009. “Hast du die Zahlen gesehen?”

 

1.995 Besucher gleichzeitig und 4.194 zu Ende gespielte Partien konnte watten.org am Samstag verbuchen. Am Sonntag wurde schließlich ein neuer Rekord aufgestellt: “2.251 Besucher, 1.630 Spieler und 460 Tische gleichzeitig, dazu 5.380 fertig gespielte Spiele”, listet Peer auf. Solche Zahlen habe er “bei weitem noch nie” gesehen und auch niemals erwartet, gesteht er. Die virtuellen Kartenspiele aber haben den Server der Seite in die Knie gezwungen. “Der war dem Ansturm nicht gewachsen und musste umgestellt werden. Das ist am Sonntag Vormittag passiert”, erklärt Peer. Seither kann wieder ungehindert gekartet und ein bisschen Normalität in verunsichernden Zeiten getankt werden.

Von den Zuständen in seinem Heimatland hat Stefan Peer in Zürich mitbekommen. Auch weil es in Tramin einen Risikofall in seiner Familie gebe, sei er wegen der Corona-Krise etwas beunruhigt, gesteht er. Sensibilisiert für die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen sei er auch dank seiner Partnerin. Die arbeitet als Ärztin in einem Züricher Spital. Von Panikmache aber hält er nichts. Derzeit arbeitet Peer zum Teil im Home Office, zum Teil muss er die Kunden vor Ort betreuen. “Doch man ist dabei, Teleworking-Strategien aufzubauen.” Den Lockdown, wie ihn der Bundesrat am späten Montag Nachmittag verkündet, hat er sich erwartet – zumal einige Kantone bereits vorgelegt hatten. “Die Schweiz hinkt Italien etwa eine Woche hinterher”, so Peers Beobachtung. In Kürze wollte er eigentlich nach Tramin fahren. Neben Familie verbinden ihn Freundschaften und Vereine mit seinem Heimatort. “Doch aus dem Besuch wird nichts.”

Ein kleiner Trost für Stefan Peer darf die Gewissheit sein, dass zumindest sein Online-Watten dem Coronavirus trotzt – und viele Menschen verbindet. Den Beweis liefern die neuen Rekordzahlen, die schon am Montag Abend aufgestellt wurden – mit über 1.700 Spielern gleichzeitig.