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Nur noch kurz die Welt reparieren

Die Münchner Anstiftung erforscht und fördert eine neue Kultur des Selbermachens. Was die uns bringt, erzählt Geschäftsführerin Christa Müller dieser Tage in Südtirol*.
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Foto: Foto-Quirin-Leppert

Frau Müller, „Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis“ heißt das jüngste Buch Ihrer Stiftung. Heißt das, Sie haben Werkzeuge oder Ideen, um die Welt zu reparieren?
Christa Müller:
Wir selbst nicht, doch wir analysieren diese Werkzeuge und Aktivitäten, die derzeit insbesondere in den großen westeuropäischen Städten in Anschlag gebracht werden. Das reicht von der Versorgung von Flüchtlingen über die Möglichkeit, im öffentlichen Raum gärtnern zu können, bis hin zur post-fossilen Mobilität oder neuen Ideen für Energieproduktion wie zum Beispiel mobilen Solarkraftwerken. Da gibt es viele Beispiele einer solch postkapitalistischen Praxis, die wir in unserem neuen Buch beleuchten.

Der rote Faden, der sich durch die Forschungstätigkeit ihres Institutes zieht, ist die Kultur des Selbermachens, das „Do it yourself“. Warum entscheiden sich Menschen dafür, wenn ihnen der Markt das meiste doch günstiger anbieten würde, wenn vieles von dem, das sie selber machen, auch längst von Maschinen hergestellt werden könnte?
Selber zu machen verleiht die Möglichkeit, etwas mit den eigenen Händen zu machen, gestaltend einzugreifen und damit auch die Welt selbst mitzugestalten. Gerade für die so genannte Generation Y, die in einem digitalen Kontext aufgewachsen ist,  ist der Status als Konsument vielfach nicht mehr befriedigend. Sie wollen ihr Umfeld, ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten und dabei ihre Fähigkeiten wie eine hohe soziale Intelligenz oder Technologieaffinität einbringen können.

Gibt es eine Do-it-Yourself-Kultur die derzeit in Deutschland besonders boomt?
Da gibt es ganz viele. Was im Moment besonders ins Auge rückt sind Aktivitäten, bei denen selber Werkzeuge gebaut oder neue Technologien entwickelt werden, mit denen repariert werden kann oder Ersatzteile selber hergestellt werden können. Damit will man unabhängiger von den Vorstellungen der großen Industrie werden, die verschlossene Gegenstände in die Welt bringt, also nicht will, dass repariert, sondern neu gekauft wird.

Das heißt Menschen wie Sie und ich bauen Maschinen, mit denen Konsumgüter repariert werden können?
Ja, das sind zivilgesellschaftliche Akteure, die einerseits eine ökologische Motivation haben, also nicht mehr so viel Müll produzieren wollen. Gleichzeitig will man damit aber auch ein  Recht auf das Produkt zum Ausdruck zu bringen. Es gibt da diesen Spruch: Was du nicht reparieren kannst, gehört dir nicht, auch wenn du es gekauft hast.

Wir haben also auf der einen Seite Produzenten, die uns immer mehr verkaufen wollen, und auf der anderen Seite Konsumenten, die statt dessen das Bestehende reparieren wollen. Was macht das mit dem System? 
Noch ist es ein wenig zu früh, das zu sagen. Wenn diese Aktivitäten und Bewegungen tatsächlich beginnen, die Verhältnisse mit zu verändern,  würde man von transformativen Unternehmungen sprechen. Doch vorerst versuchen die Akteure selbst, sich die Weltzusammenhänge überhaupt zu verdeutlichen, über die Produkte, die sie selber produzieren oder Werkzeuge, die sie selber herstellen.

Wie kann man sich das vorstellen?
Beim Essen kann man das sehr deutlich nachvollziehen. Sobald man sich die Frage stellt, woher das Essen kommt, ist man sofort mit den Verwerfungen der globalisierten Ökonomie konfrontiert. Der Massentierhaltung, mit Futtermitteln aus der sogenannten dritten Welt, den Gründen, warum die Leute von dort fliehen müssen... Diese Zusammenhänge werden immer deutlicher. Doch die neuen Akteure wollen nicht nur kritisieren, wie das vorhergehende politische Bewegungen gemacht haben, sondern sie wollen gleich vor Ort Alternativen schaffen und ausprobieren, wie es anders geht. Es geht also um experimentelle Zugänge, wie es besser werden könnte.

Haben Sie dafür ein aktuelles Beispiel?
Ja, in München hat zum Beispiel gerade am vergangenen Wochenende eine neue Genossenschaft mit 1000 Mitgliedern einen Hof mit S-Bahn-Anschluss zur Großstadt gekauft. Ihr Ziel es, dort einen Ort für alle zu schaffen und auszuprobieren, wie eine Nahrungsmittelproduktion der Zukunft aussehen könnte. Da wird dann mit bio-veganem Anbau experimentiert, die Gärtnerinnen und Gärtner, die dort arbeiten, werden fair bezahlt...Kurzum: Es wird alles ausprobiert, wofür der Markt eigentlich kein Interesse zeigt oder wenig Kapazität zur Verfügung stellt und was auch vom Staat nicht gefördert wird.  

Und in solchen Nischen, in solchen Experimenten sehen Sie Potential unsere Welt zu retten?
Wir sprechen nicht davon sie zu retten, sondern bewusst vom Reparieren. Das ist weit konkreter. Hier geht es um Möglichkeiten, die ich vor mir habe, die ich in meine Hände nehmen und verändern kann, wo ich die Prozesse der Veränderung beobachten kann und mich in Verhältnis zu anderen setzen und stellen kann. Das ist etwas anderes als die Welt retten zu wollen, mit so einem großen globalem Zugang, der dann nur eine große Blase mit heißer Luft sein kann.

Und damit kann ich auch die Ohnmacht besser in den Griff bekommen, unter der viele Menschen angesichts all der negativen Entwicklungen leiden, auf die sie wenig Einfluss haben – wie zum Beispiel einen neuen US-Präsidenten....
Ja, denn ich gucke gar nicht zu Trump, ich gucke dahin, wo ich hier vor Ort etwas verändern kann. Gleichzeitig habe ich natürlich die globalen Verhältnisse im Blick. Das ist etwas, was bei der jungen Generation gar nicht mehr getrennt wahrgenommen wird. Das Lokale und Globale sind heute verflochten, man fühlt sich selbst als Teil der Welt. Und ganz wichtig: Diese neue Generation hat auch nicht mehr diesen kolonialen Zugang des weißen Mannes, der andere nur als Rohstofflieferanten wahrnimmt. Natürlich wissen wir, dass es auch andere Strömungen gibt. Doch die jungen Menschen dieser neuen politischen Umweltbewegung fühlen sich durch das Internet auf andere Weise mit der Welt verbunden. Das heißt, sie wollen weder die Natur noch andere Menschen beherrschen, sondern finden es wichtig, dass in Zukunft darauf geachtet wird, dass alle den gleichen Zugang haben.

Und dafür muss der Norden der Welt auch weniger konsumieren und stärker auf das zurückgreifen, das bereits vorhanden ist?
Ja genau. Es gibt da auch Bewegungen, die sich bewusst den Dingen zuwenden, die bereits vorhanden sind. Zum Beispiel werden viele urbane Gärten mit Restmaterialien wie Europaletten oder asiatischen Reissäcken gebaut, also alles Dingen, die sonst auf dem Müll landen würden.

Sie forschen vor allem in großen Städten. Beobachten Sie diese Trends in ländlichen Regionen wie in Südtirol noch weniger, wo ja eigentlich aufgrund der Naturnähe ein noch größeres Bewusstsein herrschen könnte?
Die Naturnähe würde ich mal in Frage stellen. Zumindest in Deutschland haben wir in den Städten heute eine größere Artenvielfalt als auf dem Land, weil dort aufgrund des intensiven Landbaus alles weggespritzt wird und es nur mehr Monokulturen gibt.  Doch es stimmt, dass wir uns fast nur mit großen Städten beschäftigen. Ich weiß, dass man sich aber beispielsweise in Südtirol der Thematik auch auf der Fakultät für Design oder dem Lehrstuhl für Gemeinwohlökonomie widmet.  Ich würde aber generell sagen, dass all diese Dichotomien, all diese dualen Gegenüberstellungen von Stadt und Land, von Natur und Kultur in diesen neuen Projekten ausgehebelt werden. Dort gewinnt man einen neuen Blick darauf und ich glaube, das ist auch das was wir für Zukunft brauchen werden.

*Christa Müller ist geschäftsführende Gesellschafterin der Münchner Anstiftung. Sie ist dieser Tage Gast bei Markus Lobis Veranstaltungsreihe "Quer denken"  - am heutigen Mittwoch um 20 Uhr in der Cusanus Akademie Brixen und am Donnerstag, ebenfalls um 20 Uhr, in der Urania Meran.