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"Es braucht uns mehr denn je"

Aufdecker in Zeiten von Fake News: Stern-Journalist Hans-Martin Tillack zu Pressefreiheit, Meinungsvielfalt und dem einschneidensten Ereignis seines Berufslebens.
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Foto: UFO/Niedermair

 

Salto.bz: Fake News ist ein Begriff, der zur Zeit in aller Munde ist – sei es in Zusammenhang mit Wahlkampfbeeinflussung, Lügenpressevorwürfen oder Trollangriffen. Wie neu ist das Phänomen der Falschmeldungen tatsächlich?
Hans-Martin Tillack:
Neu ist das Phänomen nicht. Ich komme vom Magazin Stern und das hat bekanntlich bereits vor mehr als 30 Jahren die Hitler-Tagebücher veröffentlicht. Journalisten bemühen sich natürlich, Fakten zu überprüfen, bevor sie veröffentlicht werden. Wir haben beim Stern schon seit vielen Jahrzehnten eine eigene Abteilung für Fact Checking, eine so genannte Dokumentation, die alle Fakten von Artikeln überprüft, das hat in Deutschland in der Form kaum jemand außer uns und dem Spiegel. 

Internet und die sozialen Medien haben dazu geführt, dass traditionelle Medien ihr Monopol auf die Verbreitung von Information verloren haben. Das heißt, dass auch andere Menschen – mehr oder weniger fahrlässig - Behauptungen verbreiten können.
Sicherlich gibt es durch das Internet heute viel mehr Absender von Nachrichten und Meinungen, insofern hat sich die Pluralität erhöht. Und soziale Medien  transportieren zwar natürlich auch Falschmeldungen. Doch sie ermöglichen Bürgern auch eine Teilhabe an der Debatte, die es bisher nicht gab. Das sehe ich als klaren Vorteil.

Und dafür müssen wir auch in Kauf nehmen, dass in den Debatten auch Informationen verbreitet werden, die nicht stimmen?
Natürlich passiert das, schließlich fühlt sich nicht jeder Bürger an die Regeln der Faktenüberprüfung gebunden, die Journalisten normalerweise versuchen einzuhalten. Und wie gesagt: Selbst Journalisten sind dabei nicht perfekt. Doch ich würde davor warnen zu sagen, dass das jetzt einen extrem dominanten Einfluss hat.

„Das Schockierende für mich war, dass man versuchte, mich mit Korruptionsvorwürfen außer Gefecht zu setzen. Denn ich habe über Korruption und Betrug geschrieben und nun warf man mir selbst dieses Delikt vor.“

Bei der Wahl Donald Trumps wurde anderes behauptet. Zum Beispiel, dass von Russland aus gesteuerte Fake News über Hilary Clinton wesentlich zu seinem Sieg beigetragen hätten.
Erst vor ein paar Tagen wurde eine Studie der Columbia Journalism Review über den Wahlkampf in den USA veröffentlicht. Darin wird aufgezeigt, dass das, was von russischen Quellen als Fake News oder generell als Posts in den Sozialen Netzwerken verbreitet wurde, vom Umfang her einen deutlich kleineren Anteil hatte im Verhältnis zu dem, was traditionelle Medien an Nachrichten verbreiteten. Also es bleibt dabei, dass wir klassische Journalisten die größte Verantwortung haben.

Und auch den größten Einfluss, wer zum US-Präsidenten oder zur US-Präsidentin gewählt wird?
Genau. So zeigt die eben erwähnte Studie auch, dass sich vor den US-Wahlen ausgerechnet die New York Times sehr intensiv mit den Skandalen um Hilary Clinton beschäftigt hat. Also mindestens im gleichen Umfang wie mit denen von Donald Trump, obwohl es bei ihm viel mehr zu berichten gegeben hätte.

Welche Erklärung gibt es dafür?
Offenbar hat man angenommen, dass Clinton ohnehin gewinnt und sich als kritisches Medium in der Pflicht gefühlt, sich besonders mit der mutmaßlich künftigen Amtsinhaberin zu befassen. Das ist an sich auch sehr ehrenhaft. Natürlich spielte dabei die Wiederaufnahme der Ermittlungen zu Clintons Mailaffäre eine Rolle, die das FBI kurz vor den Wahlen betrieben hatte...

Auf so etwas müssen Medien klarerweise aufspringen.
Journalismus ist eben ereignisgetrieben. Wenn so etwas passiert, berichten wir darüber, auch wenn es vielleicht einen nicht wünschenswerten Einfluss hat. Doch Journalisten können nicht sagen: Wir wollen nicht, dass sich dann in Folge etwas als Meinung verbreitet und deshalb berichten wir zum Beispiel über eine solche Ermittlung nicht.

„Nur wenn wir freie Journalisten und freie Medien haben, ist auch eine Gesellschaft frei.“

Wenn man sich die Lügenpresse-Vorwürfe ansieht, die nicht nur vom US-Präsidenten, sondern auch in Deutschland stark verbreitet werden, gibt es auch dazu andere Meinungen.
In Deutschland wurde den traditionellen Medien ja vor allem vorgeworfen, in der Flüchtlingsdebatte zu regierungsfreundlich gewesen zu sein. Ich persönlich finde, dass Journalisten immer aufpassen müssen, nicht zu regierungsnah zu sein. Das ist eine ganz wichtige Sache. Dennoch: Auch jene Bürger, die sonst die große mediale Verschwörung heraufziehen sehen, posten dann sehr häufig Beiträge aus den klassischen Medien. Ich glaube deshalb, die Aufgabe der klassischen Medien ist heute wichtiger denn je. Und wenn wir in der Krise sind, dann nicht in erster Linie wegen Lügenpressevorwürfen, sondern wegen anderer Phänomene.

Wie zum Beispiel?
Dass wir Anzeigenanteile verlieren, weil vieles ins Internet abwandert. Oder weil sich das Nutzerverhalten seit Jahren wandelt und sich junge Menschen in der westlichen Welt kaum mehr Printzeitungen kaufen. Aber solchen Phänomen begegnen wir am besten, indem wir möglichst viel Qualität anbieten.

Auf den Punkt gebracht: Sie fürchten weder die Konkurrenz durch sogenannte Bürgerjournalisten oder Meinungsmacher in den Sozialen Netzwerken noch durch die gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung durch Lobbies oder russischer Trolle?
Ich bin spezialisiert auf intensive und langwierige  Recherchen, an denen ich Wochen und oft auch Monate arbeite. Da sehe ich bis heute niemand anderen, der das macht. Selbst bei großen Medien leisten sich das nur wenige. Ich finde es aber zum Beispiel gut, wenn wir Journalisten vorzeigen, wie wir arbeiten und welche Standards wir haben. In Berlin gibt es zum Beispiel neuerdings eine Initiative einer gemeinnützigen Organisation für Journalismus, die nennt sich Reporterfabrik. Dort können normale BürgerInnen lernen, wie Journalisten arbeiten. Natürlich wirkt so etwas nicht in die Breite, doch ich denke, es ist eine gute Art, unsere Arbeit gegenüber all jenen zu verteidigen, die meinen, dass traditioneller Journalismus keine Chance mehr hat.

Und wie verteidigt man sie gegenüber jenen, die der sogenannten vierten Macht im Staat durch manipulierte Information Konkurrenz machen – ob die Energielobby, die medial gezielt Zweifel an der menschengemachten Verursachung des Klimawandels streut oder russische Trolle, die die US-Präsidentenwahl beeinflussen wollen?
Es ist unsere Aufgabe als Journalisten, genau hinzuschauen und öffentlich zu machen, wenn es zu einer solchen Art von Manipulation aus wirtschaftlichen oder politischen Interessen kommt. Doch zumindest in Deutschland kann man nicht sagen, dass die Bemühungen bestimmter Lobbies, eine Energiewende zu verhindern, bislang großen Erfolg hatten. In den USA sieht es derzeit ein wenig anders aus, mit einem Präsidenten, der den Kampf gegen den Klimawandel abgesagt hat. Und was russische Trolle betrifft: Ich habe mir vor einiger Zeit einmal angesehen, was RT Deutsch bei uns so macht...

Also, der deutsche Ableger von Russia Today International....
Ja, das ist ein webbasiertes TV-Programm. Die versuchen natürlich, eine alternative Sicht auf die Welt zu präsentieren bzw. in dem Fall auf die deutsche Realität. Dort werden häufig Interviewpartner eingeladen, die verschwörungstheoretische Ansichten vertreten. RT Deutsch hat offenbar vor allem unter AfD-Wählern eine Anhängerschaft, aber ich würde nicht sagen, dass dieses Angebot in erster Linie alternative Fakten präsentieren würde. Vielmehr zeigen sie eine andere, in meinen Augen eher verzerrte, Sicht. Doch RT Deutsch produziert jetzt keine Scoops, die dafür sorgen, dass wir echten Grund haben, ganz neu auf die Realität zu schauen.

„Ich finde, dass das, was als vertretbare Meinung gilt, möglichst breit definiert werden sollte. Sonst kann es auch gefährlich werden.“

Sie selbst sind seit gut 30 Jahren als investigativer Journalist unterwegs. Was konkret hat das Aufkommen des Internets mit all seinen Folgen an Ihrer Arbeit verändert? 
Natürlich habe ich einen Twitter-Account und ein Facebook-Profil und bin oft auch dankbar, dass manche meiner Beiträge, die nicht von anderen Medien aufgegriffen werden, über die sozialen Medien Verbreitung finden. Ich habe auch schon früh die Möglichkeiten von stern.de genutzt, einem der zehn am meisten besuchten Nachrichtenportale in Deutschland. Man erreicht damit auch Menschen, die den gedruckten Stern nicht lesen und außerdem bleiben auch alte Artikel, die online veröffentlicht wurden, im Netz öffentlich zugänglich. Das hat mir bereits viele neue Hinweise zu Themen beschert, über die ich einmal geschrieben habe.

Von Informanten meinen Sie?
Ja. Da hat jemanden vielleicht eine Information über einen Geschäftsmann, über dessen korrupte Praktiken ich vor fünf Jahren geschrieben habe und stößt dann auf meinen Artikel, sobald er den Namen des Geschäftsmannes bei Google eingibt. Das ist oft sehr hilfreich. Natürlich ist das Internet uns Journalisten generell eine ungeheure Hilfe, wenn es darum geht überall auf der Welt an Informationen zu kommen, ob an ein Handelsregister irgendwo in Europa oder Gerichtsakten in den USA. Früher musste man da extra jemanden hinschicken, heute bekommen wir vieles mit einem Mausklick.

Wo hingegen lauern die größten Gefahren?
Traditionelle Medien müssen sicherlich aufpassen, dass ihre Basis nicht zu sehr erodiert. Sie müssen auch neue Wege finden, um selbst im Internet zu überleben und dort so viele Einnahmen zu generieren, dass sie sich wirkliche Recherche erlauben können. Das ist heute noch sehr schwer, bisher dominiert im Netz noch der schnelle Journalismus, der auf Klicks abzielt. Doch das allein reicht auf die Dauer nicht aus.

 

Gibt es in Ihren Augen Vorbilder, die zeigen, dass es anders geht?
Ja, zum Beispiel Mediapart in Frankreich, die mit Recherche und einem Abo-Modell Erfolg haben. Oder  Correctiv in Deutschland, eine gemeinnützige Rechercheplattform, mit der wir bei einzelnen Recherchen auch zusammenarbeiten. Die arbeiten vor allem mit Spenden und mit Förderern.

Sie haben europaweit Bekanntheit erreicht, als die belgische Polizei im Jahr 2004 Ihre Wohnung und das Brüsseler Stern-Büro, das sie damals als Korrespondent leiteten, durchsucht und umfangreiche Unterlagen beschlagnahmt hatten. „Massiver Anschlag auf die Pressefreiheit“, hieß es damals nicht nur von Seiten des Stern.  Wie einschneidend war dieser Vorfall für Sie?
Das war wahrscheinlich das einschneidendste Erlebnis meines bisherigen Berufslebens. Ich hätte es bis dahin nicht für möglich gehalten, dass man in einem westeuropäischen Staat von der Polizei behelligt wird, ohne etwas falsch gemacht zu haben.

Ihnen wurde damals Korruption unterstellt – nachdem sie wiederholt kritische Berichte über das EU-Betrugsbekämpfungsamt OLAF veröffentlicht hatten.
Genau. Es gab aber nie ein offizielles Ermittlungsverfahren gegen mich, immer nur gegen Unbekannt, weil sie genau wussten, dass sie nichts in der Hand haben. Sie hatten nur Gerüchte, die ein ehemaliger Beamter verbreitet hatte, der selber für die Betrugsbekämpfungsbehörde mitverantwortlich war, die damals mit Falschbehauptungen auf diese Razzia gedrängt hatte. Das Schockierende für mich war, dass man versuchte, mich mit Korruptionsvorwürfen außer Gefecht zu setzen. Denn ich habe über Korruption und Betrug geschrieben und nun warf man mir selbst dieses Delikt vor.

Um Ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben, also Sie mundtot zu machen?
Das war ganz klar ein Versuch, meine Arbeit zu beenden. Also wirklich sehr einschneidend. Doch es war damals gleichzeitig sehr befriedigend zu erleben, dass sich sehr viele Journalisten aus ganz Europa hinter mich gestellt haben, dass Kollegen in Brüssel, aber auch von Bulgarien oder Großbritannien bis hin zur Washington Post über den Fall berichteten. Damit wurde auch ein öffentlicher Druck ausgeübt und gezeigt: Journalisten steht zusammen, wenn so etwas passiert. Und wir haben ja dann auch durch alle Instanzen geklagt.

Doch nicht gleich Recht bekommen...
Nein, in Belgien haben wir erst einmal verloren. Dort wurde erst nach dem Fall ein Gesetz zum Quellenschutz eingeführt, das mir einiges erspart hätte. Wir haben aber letztinstanzlich im Jahr 2007 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschrechte gewonnen. Ich bekam dann auch eine Entschädigung sowie alle Unterlagen wieder zurück, die sie beschlagnahmt hatten. Am Ende hat die Causa sicherlich dem Image jener geschadet, die das Ganze angestoßen hatten, also dem EU-Betrugsbekämpfungsamt. Deren Absicht war, meine Arbeit zu beenden, aber das ist ihnen zum Glück nicht gelungen.

"Traditionelle Medien müssen  neue Wege finden, um selbst im Internet zu überleben und dort so viele Einnahmen zu generieren, dass sie sich wirkliche Recherche erlauben können. Das ist heute noch sehr schwer, bisher dominiert im Netz noch der schnelle Journalismus, der auf Klicks abzielt. Doch das allein reicht auf die Dauer nicht aus."

War das ein absoluter Ausnahmefall oder wird versucht, die Pressefreiheit gerade für investigative Journalisten wie Sie immer noch von verschiedensten Seiten zu torpedieren?
Politiker sprechen in Sonntagsreden immer gerne von Pressefreiheit, im Alltag sind sie aber dann oft sehr verärgert über kritische Berichterstattung - genauso wie Wirtschaftsexponenten. Deshalb: Ja, es wird immer wieder versucht, die Pressefreiheit einzuschränken. Umso wichtiger ist es, dass Journalisten, aber auch Bürger dieses Recht verteidigen, das der gesamten Gesellschaft nutzt. Denn nur, wenn wir freie Journalisten und freie Medien haben, ist auch eine Gesellschaft frei. Die Polizei allein reicht zum Beispiel nicht aus, um Korruption zu bekämpfen, da braucht es freie Medien, die von den Mächtigen unabhängig sind. Deshalb ist es auch gut, dass es jetzt einen breiten Aufschrei gab, nachdem die maltesische Kollegin ermordet wurde.

Also die regierungskritische Bloggerin Daphne Caruana Galizia, die auch in Zusammenhang mit den Panama Papers recherchiert hatte, und im Oktober durch eine Autobombe getötet wurde ...
Bis dahin hat man immer gesagt, zumindest in Westeuropa müssen wir keine Sorge um unser Leben haben. Auch wenn es in Italien vor Jahren immer wieder Fälle gab, in denen Journalisten unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen. Gott sei Dank hat dieser Mord dazu geführt, dass Malta unter Druck gesetzt wird. Ob das reicht, die Schuldigen zu finden, wird man sehen. Aber es hat zumindest gezeigt, dass viele Menschen es nicht einfach hinnehmen, wenn Journalisten aus dem Weg geschafft werden.

Hat es in Sachen Pressefreiheit in den letzten 30 Jahren Entwicklungen zum Besseren oder eher zum Schlechteren gegeben?
Ich vergleiche die Pressefreiheit gerne mit einem  Damm, der an der Küste gegen Sturmfluten schützen soll. Der steht da und wird von Zeit zu Zeit auch verstärkt. Und immer wieder kommt dann auch eine Sturmflut, also jemand, der versucht, den Damm zu brechen. Zum Beispiel Politiker, die Gesetze durchzusetzen versuchen, mit denen auch Journalisten besser überwacht werden sollen, mit Vorratsdatenspeicherung und ähnlichem. Und dann muss man versuchen, dieses Loch im Damm wieder zu stopfen. Also Pressefreiheit ist nichts, das automatisch gegeben ist, wir müssen immer achtsam bleiben und dieses Recht bei Bedarf verteidigen.

Die Tatsache, dass heute jeder Informationen verbreiten kann, wie es ihr oder ihm beliebt, würden Sie aber nicht als Sturmflut definieren?
Ich würde eher sagen, wir müssen aufpassen, nicht wieder neue Zensurmaßnahmen einzuführen. In Deutschland gibt es zum Beispiel schon Gesetze, die bestimmte Sachen auf Facebook nicht mehr erlauben. Natürlich dürfen dort keine rassistische Hetze oder keine Mordaufrufe verbreitet werden. Doch man sollte  aufpassen, nicht voreilig Regelungen einzuführen, die verhindern, durchaus vertretbare Meinungen zu äußern. Also ich finde, dass das, was als vertretbare Meinung gilt, möglichst breit definiert werden sollte. Sonst kann es auch gefährlich werden.

Wir brauchen eine bunte Vielfalt an Meinungen?
Ja, genauso wie Redaktionen und Journalisten, die wissen, was zu beachten ist, bevor Informationen  verbreitet werden. Denn es ist wichtig, dass BürgerInnen Vertrauen in Medien haben können.