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Sympathie für den Bösewicht

Aus der Reihe Wiedergelesen: Am 19. Januar wäre Patricia Highsmith 100 Jahre alt geworden. Mit ihrer Literatur bewegte sie sich in allen Genres. Glückwunsch!
Patricia Highsmith 2
Foto: Wikipedia

Krimis drehen sich meist um Kommissare oder Privatdetektive, die Verbrecher dingfest machen und der „guten“ Sache zu ihrem Recht verhelfen. Verkauft sich die Story, kann der Autor oder die Autorin eine Serie daraus machen. Nur wenige Krimis schildern die Handlung aus der Sicht des Übeltäters. Das kommt beim Publikum erstens nicht so gut an, zweitens ist die Idee mit den Fortsetzungen problematisch - zumal die meisten Leser möchten, dass der Kriminelle seine „gerechte“ Strafe erhält. 
Eine Ausnahme von diesem Muster erlaubte sich Patricia Highsmith. Die US-Schriftstellerin erfand eine Figur, die auf den ersten Blick abstoßend wirkt: Tom Ripley begeht einen Mord aus niedrigen Beweggründen. Um dessen Vermögen an sich zu reißen, bringt er den Erben einer Reederdynastie um. Vorher hat er das Vertrauen des Gleichaltrigen erschlichen. Der Mord wird nie aufgeklärt. Um weitere Ermittlungen zu verhindern, tötet Ripley ein zweites Mal. Wieder kommt er ungeschoren davon. Die Geschichte, in Italien angesiedelt (in Venedig und dem fiktiven Mongibello, in Wirklichkeit das malerische Positano an der Amalfiküste), spannend geschrieben, nicht ohne Mitgefühl für den Protagonisten erzählt, findet Akzeptanz auf dem Buchmarkt. 


Patricia Highsmith lässt dem 1955 veröffentlichten The Talented Mr. Ripley vier Fortsetzungen folgen, die letzte 1991. In jeder wird weiter gemordet; allerdings macht der Anti-Held eine positive Veränderung durch. Er denkt nicht immer nur an sich selbst, interessiert sich, manchmal sogar uneigennützig, für andere Menschen und setzt sich auch für diese ein. Natürlich ist er weiterhin ein Verbrecher, doch von den kriminellen Akten abgesehen - Ripley begeht sie hauptsächlich zur Verdeckung der vergangenen Straftaten - ähnelt er mehr und mehr einem Musterbürger. Das Sonderbare an den Ripley-Krimis ist, dass der Leser eine gewisse Sympathie für den Bösewicht entwickelt. Das Ende hat die Autorin offen gelassen, die Idee für  einen sechsten Ripley hat nie die Schublade verlassen. Doch ist der Hauptdarsteller auch am Schluss des fünften und letzten Folge immer noch ein freier Mann.

Mit den Gesetzeshütern hatte es die Autorin nicht so.

Highsmith hat, neben zahlreichen Kurzgeschichten, 17 weitere Romane geschrieben. Einer davon, 1964 erschienen, ist The Two Faces of January (Die zwei Gesichter des Januars): Ein Mann beobachtet den anderen beim Versuch, eine Leiche verschwinden zu lassen. Was macht man in einem solchen Moment? Um Hilfe rufen? Vielleicht lieber Wegschauen? Oder doch zur Polizei gehen? Lösung Highsmith: dem Mann bei der Beseitigung helfen! Mit den Gesetzeshütern hatte es die Autorin nicht so. 
Vielleicht, weil sie selber nicht immer auf der Seite des Gesetzes stand? Dafür konnte Highsmith freilich wenig. Als sie mit dem Veröffentlichen von Romanen begann, im ersten Naschkriegsjahrzehnt, war die Gesellschaft der Vereinigten Staaten geprägt durch die Politik des ultrakonservativen und minderheitenfeindlichen Senators Joseph McCarthy. Im aus dessen Sicht promiskuitiven, auf jeden Fall liberalen New York konnte Highsmith einerseits ihren Neigungen nachgehen, musste andererseits jedoch ständig auf der Hut sein vor Denunzianten und allzu willfährigen Ordnungswahrern. 


Ein Ausweg für sie schien Europa. Zuerst lebte sie in England, später lange Zeit in Italien und Frankreich, schließlich siedelte sie im Schweizer Tessin. Außerhalb des Örtchens Tegna  lebte sie sehr zurückgezogen, umzingelt von Bergen, in einem Bungalow, der eher einem Bunker als einem Wohnhaus glich. Besuch bekam sie selten. Zufrieden war sie nur mit den Verkäufen ihrer Bücher. Allein in Europa hatte sie Anerkennung als „seriöse“ Schriftstellerin und viel Lob von Kollegen wie etwa dem Literaturnobelpreisträger Peter Handke erhalten. Daheim in den Staaten galt sie als Krimiautorin der literarischen Qualität einer, sagen wir mal (selbstverständlich ohne maliziöse Implikation), Elizabeth George oder später Donna Leon, die ebenfalls aus den USA in die Schweiz zog und sogar, was Highsmith nie tat, die eidgenössische Staatsbürgerschaft erwarb.
Am 4. Februar 1995 starb Patricia Highsmith in einem Krankenhaus in Locarno. Sie war 74 Jahre alt geworden.