Cultura | Salto Weekend

in fließenden übergängen

"in vasi comunicanti" - Eine sorgfältig edierte Auswahl von Gerhard Koflers Frühwerk zeigt ihn experimentierfreudig und kritisch.
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Foto: Foto: HaymonVerlag

Ein Gastbeitrag von Maria Piok & Christine Riccabona

Zur frühen Lyrik von Gerhard Kofler
Gerhard Koflers literarische Anfänge führen in die Zeit zurück, in der er Brixen, die Stadt seiner Kindheit und Jugend, bereits verlassen und mehrere Ortswechsel, zunächst nach Innsbruck und Salzburg, dann 1978 nach Wien vollzogen hatte. Seine ersten drei Gedichtbände publizierte Kofler in den 1980er Jahren im Verlag der österreichischen Zeitschrift Frischfeisch & Löwenmaul, der sich insbesondere für kritische Literatur engagierte. Diese ersten Lyrikbände enthalten Texte, die schon zu Zeiten seines Germanistikstudiums entstanden sind und sowohl in Deutsch wie auch in Italienisch und Südtiroler Mundart geschrieben waren. Kofler bezeichnete sie nachträglich als „Trilogie der Extravaganzen / Trilogia delle Stravaganze“  und sie bedeuten unter anderem eine symbolische Rückkehr nach Südtirol.  Thematisch beinhalten sie dementsprechend eine Hin- wendung zu den Vorbedingungen und Kontexten seines Schreibens. Die frühen Gedichte der „Trilogie“ enthalten mehr als seine späteren Texte Erinnerungen an Kindheit und Jugend sowie eine Auseinandersetzung mit sozialkritischen und politischen Themen insbesondere Südtirols. So scheint es folgerichtig, dass Kofler nur in diesen und in kei- nem seiner späteren Gedichte die Südtiroler Mundart verwendet hat, da sich mit ihr unübersetzbare Nuancen seiner Herkunftswelt, manchmal auch in ironischen Zwischentönen, benennen ließen.

„mei dialekt isch / koa sunntigsgi- wond / und koa maschkera / fir die litteraturgschichtln“

heißt es in einem Gedicht, in dem er augenzwinkernd jenen seit den 1970er Jahren inflationär gewordenen Begriff der ‚kritischen Dialektlyrik‘ andeutete. Für ihn schien in erster Linie die sprachliche Genauigkeit und das klangpoetische Potential der Mundart von Bedeutung gewesen sein. Dies mag erklären, dass er den Gedichten im Dialekt nur ein Glossar als Lesehilfe mitgegeben hat und sie nicht durch eine jeweils italienische bzw. deutsche Selbstübersetzung erweitert bzw. ergänzt hat.
Kofler gehörte zu jener Generation, die heute für jene Aufbruchszeit der Literatur in Südtirol am Ende der 1960er Jahre steht, in der sich Autorinnen und Autoren gegen den auf Wahrung von deutscher Sprache und Tradition ausgerichteten Kulturkonservativismus wandten und die Entwicklung einer modernen, insbesondere italienischsprachigen Literatur anstießen. Neben Norbert C. Kaser, Joseph Zoderer und Anita Pichler zählte auch Kofler zu diesen Wegbereitern einer neuen, überregional bedeutsamen Literatur Südtirols.
Kofler war indes von Anfang an in den wichtigsten Netzwerken des österreichischen Literaturbetriebs unterwegs, nicht nur als Literatur- und Theaterkritiker, sondern auch als Generalsekretär der Grazer Autorinnen Autorenversammlung sowie als Organisator von Veranstaltungen und Teilnehmer von internationalen Lesungen und Tagungen, auch vor allem zu Themen der Mehrsprachigkeit und Literatur der Grenzräume. Und nicht zuletzt war Kofer selbst literarischer Übersetzer von Umberto Saba, Aldo Palazzeschi ins Deutsche, von H. C. Artmann, Ernst Jandl und Friederike Mayröcker ins Italienische. In den 1990er Jahren begann zudem die differenzierte Beschäftigung mit dem Werk Kofers in den Beiträgen von Wendelin Schmidt- Dengler, Luigi Materazzi, Sieglinde Klettenhammer, Marie- Thérèse Kerschbaumer, Hans-Georg Grüning und anderen.

Vor dem Hintergrund der Welthaltigkeit des Autors, der in seinem späteren Lyrikwerk den Raum zu einer mehrsprachigen Poetik über Grenzen hinweg öffnet und ein Reisender nicht nur in Sprachen ist, sondern auch in viele Länder, ist es interessant, noch einmal einen Blick auf Koflers Herkunftsland Südtirol zu werfen. Längst schon ist die Literatur in Südtirol auch geprägt von einer mehrsprachigen Kulturszene, für die das hybride Ineinander mehrerer Sprachen, Sprachebenen und Kulturen ein Movens unterschiedlichster kreativer Prozesse ist. Koflers Frühwerk lässt sich als bewusste Antwort auf eine sprachlich und kulturell geschlossene, in den ausgehenden 1960er und 1970er  Jahren bestimmt als einengend erlebte Identitätspolitik lesen. Es zeigt, dass die ersten Experimente mehrsprachigen Schreibens, für die er nicht nur Deutsch, Südtiroler Mundart und Italienisch verwendet, sondern auch Spanisch (und viel später Englisch), Hand in Hand mit einer kritischen Auseinandersetzung mit überkommenen Heimatbegriffen und Identitätsentwürfen gehen. Diese Hinwendung zum Anderen, zunächst vor allem dem Aufrechen der Vorstellung einer in sich geschlossenen Kultur verpflichtet, wird bei Kofler mehr und mehr zu einem durchdachten poetischen Verfahren:

Das Vertraute fremd wirken zu lassen, ist ohnehin eines der anregendsten literarischen Verfahren. Die Umkehrung gehört jedoch mit zu den Voraussetzungen: Erst durch die Anregung des Anderen ist eine Bewegung im vorgegeben historischen, gesellschaftlichen und sprachlichen Bezirk möglich.

Zum 70. Geburtstag des 2005 verstorbenen Schriftstellers ist in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut Brenner-Archiv eine sorgfältig edierte Auswahl seines frühen dichterischen Schaffens erschienen. Neben vollständigen Zyklen aus lange vergriffenen Gedichtbänden finden sich in diesem Band auch unveröffentlichte Übersetzungen früher Gedichte Koflers aus seinem Nachlass.