Cultura | Salto Afternoon

"Ein sehr hartes Jahr für alle"

Der Kulturarbeiter Georg Malfertheiner lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Venedig. Wie er "seine" Kulturstadt seit einigen Monaten erlebt? Ein Gespräch.
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Foto: Salto.bz

salto.bz: Sie arbeiten seit einigen Jahren im Kulturbereich der Stadt Venedig. Wie ist für Sie die aktuelle Lage in der Lagunenstadt?

Georg Malfertheiner: Die letzten Monate waren eine harte Prüfung für die Stadt und so wie es aussieht, geht es noch eine Weile weiter. Die Stadt und ihre Einwohner hatten grosse Schwierigkeiten mit dem Hochwasser vom letzten November, viele Schäden sind noch nicht behoben und die aktuelle Notlage zu Covid-19 bedeutet eine neue Herausforderung für den Kulturbetrieb, der sehr stark vom internationalen und interregionalen Tourismus abhängig ist.

 

Sie arbeiten nun von zu Hause aus, machen Sie schon „smart working“?

Ja, Venedig’s Stadtmuseen bieten smart working seit Anfang März für einige  Mitarbeiter an, zuerst wegen der Probleme, die sich aus der Schließung der Schulen für Arbeiter mit Kindern ergeben haben, aber seit dieser Woche arbeiten natürlich viele Kollegen von zu Hause aus.

Wenn Sie gegenwärtig auf das Kulturjahr 2020 Ihrer Stadt blicken, was sehen Sie?

Das diesjährige Kulturjahr hat eher unauffällig begonnen, viele Strukturen sind mit der Behebung der Schäden des Hochwassers beschäftigt und so gab es beispielsweise weniger Ausstellungen in den Programmheften.
Nun ist es klar, dass praktisch sämtliche Kulturveranstaltungen, die für den Frühling geplant waren, entweder verschoben oder gestrichen werden. Der Kulturbereich der Stadt ist stark vom Tourismus abhängig, die Besucherzahlen der Stadt sind seit November stark gesunken und jetzt ist der Fremdenverkehr gänzlich blockiert. Es ist ein sehr hartes Jahr für alle.


Wann haben Sie erstmals gespürt, dass die Situation wegen des Corona-Virus auch in Venedig ernsthaft gefährlich zu werden scheint. Mit der Absage des Karnevalsveranstaltungen Ende Februar?

Zu Fasching war noch nicht klar, welche Ausmaße die Coronakrise haben würde. Man verfolgte die Ereignisse zwar und diskutierte, was man im Falle einer Verschlimmerung machen könnte, ob es beispielsweise Verzögerungen bei der Organisation der Veranstaltungen geben werde, aber erst Anfang der vergangenen Woche wurde klar, wie schlimm die Situation ist. Man realisiert die Ernsthaftigkeit der Lage eben erst, sobald man sie vor Augen hat. Dann findet man sich in einer leeren Stadt wieder und Projekte an denen man seit Monaten gearbeitet hat, müssen einfach von einem Tag auf den anderen abgesagt werden, weil es unmöglich ist, weiterzumachen.

Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Leute den Stolz für ihre Stadt verloren haben und nicht immer einer nachhaltigen Zukunft entgegenstreben.

Venedig als Tourismusmagnet war seit dem Hochwasser 2019 und den Diskussionen um die Kreuzfahrtschiffe immer wieder in den Medien. Spielen die beiden Phänomene im gegenwärtigen Alltag überhaupt noch eine Rolle?

Ja, es wird viel darüber diskutiert. Die Schäden des letzten Hochwassers haben gezeigt wie fragil die Stadt ist. Seit dem Hochwasser 1966, welches den Ausschlag für das Großprojekt zum Schutz der Stadt gegen Überschwemmungen gegeben hat, sind 53 Jahre vergangen, und als wir letzten November den damaligen Pegel um nur wenige cm verfehlt haben, war das Versagen des MOSE-Projektes augenscheinlich. Dasselbe gilt für die Passagierschiffe und die Diskussion um die Errichtung eines Hafens außerhalb der Lagune, sowie auch für Porto Marghera, das gigantische Industriegebiet in unmittelbarer Nähe der Lagunenstadt.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass viele Leute den Stolz fūr ihre Stadt verloren haben und nicht immer einer nachhaltigen Zukunft entgegenstreben. Ich hoffe dass Ereignisse wie “l’acqua granda” ein breiteres Bewusstsein der möglichen Alternativen schafft.

Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren vom Begriffspaar „Touristen-Maut“ gesprochen. Was hat es damit auf sich?

Das System zur Limitierung der Zahl der Touristen ist noch nicht aktiv, es wird noch daran gefeilt. Die Besucherzahlen sind mit geschätzten 28 Millionen jährlich, bereits weitaus mehr als es – will man diversen Studien glauben schenken – die Stadt vertragen kann. Es sind zu viele Touristen da: Menschen aus Asien, die in Asien produzierte Souvenirs kaufen, könnte man ironisierend vereinfachen. Nicht alle Touristen besuchen die Museen der Stadt, oder besichtigen die ca. 140 Kirchen. Es ist sehr wichtig die Zahl der Besucher zu reduzieren, und vielleicht gleichzeitig, die Qualität des Tourismus zu heben.

Jeder bietet sein Produkt an und hofft Absatz zu finden. Für Südtirol und Venedig ist dies vor allem der Tourismus.

Haben Sie die aktuelle Situation in Sachen Corona auch in Südtirol verfolgt?

Ja, natürlich. Ich hoffe dass es in Südtirol keine allzu hohe Dunkelziffer gibt, die vielen Urlauber bedeuten in dieser Hinsicht ein hohes Risiko.

Südtirol und Venedig sind wirtschaftlich stark vom Tourismus abhängig. Zu stark?

Wir sind Teil einer Gesellschaft, in der es sehr wichtig ist, zu konsumieren. Jeder bietet sein Produkt an und hofft Absatz zu finden. Für Südtirol und Venedig ist dies vor allem der Tourismus. Es ist deshalb sehr wichtig, dass das angebotene Gut vom Konsum nicht zerstört wird, damit wir es auch in Zukunft noch verkaufen können.