Società | Gastbeitrag

Es wird eng

Wenn dieser Planet fortbestehen soll, darf die Weltbevölkerung nicht mehr anwachsen, bestenfalls sogar schrumpfen. Darin sind sich viele einig. So ganz stimmt das nicht.
Menschen spiegeln sich im Wasser
Foto: MARIOLA GROBELSKA on Unsplash

Manch junger Mensch hadert heute mit dem Gedanken, ein Kind in diese Welt zu setzen. Aus Sorge um die Erde. Das geht schon so weit, dass sich extreme Formen dieser Haltung in einer Bewegung niederschlagen: The Voluntary Human Extinction Movement. Die Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit ruft dazu auf, keine Nachkommenschaft zu zeugen, um so das Aussterben des Homo Sapiens herbeizuführen – zur Rettung des Planeten.

 

Wie wir wachsen

 

Derzeit bevölkern 7,7 Milliarden Menschen die Erde, Tendenz steigend. Über Jahrtausende hinweg wuchs die Weltbevölkerung nur langsam, erst vor etwa 300 Jahren hat sich das deutlich geändert. Damals lebten etwa eine halbe Milliarde Menschen auf der Erde. Dann setzte ein fundamentaler Paradigmenwechsel ein: Aufgrund verbesserter Hygienestandards und des medizinischen Fortschritts stieg die Lebenserwartung deutlich an und exponentielles Wachstum ließ die Bevölkerung in einer vergleichsweise kurzen Zeit explodieren. Dieses Wachstum hält weiter an, weltweit betrachtet. In vielen Industrienationen, wie auch in Italien, ist die Geburtenrate derzeit allerdings so niedrig, dass die Bevölkerung rückläufig ist. Nicht aber die Bewegung für das freiwillige Aussterben der Menschheit ist dafür verantwortlich. Vielmehr gilt: Mehr Wohlstand führt zu weniger Nachwuchs.

Was Alarmisten zum Bevölkerungswachstum selten sagen, oder wissen: Das Wachstum nimmt seit 1968 kontinuierlich ab. In jenem Jahr hatte das weltweite Bevölkerungswachstum den historischen Höchststand von fünf Kindern pro Frau erreicht. Inzwischen ist es auf die Hälfte gesunken. Laut Prognosen der Vereinten Nationen wird dieser Trend andauern und bis zum Ende des Jahrhunderts ein beinaher Wachstumsstopp erwartet: Die Weltbevölkerung soll sich demnach bei etwa 11 Milliarden einpendeln. Voraussetzung dafür ist, dass in jenen Ländern, in denen das Bevölkerungswachstum noch hoch ist, der Wohlstand weiterhin ansteigt. Sind aber diese 11 Milliarden Menschen dann zu viele? Die Sorge ist berechtigt. Dafür gibt es zweierlei Gründe: Nutzbares Land ist endlich und die Erdatmosphäre kann nicht beliebig viel Treibhausgas aufnehmen.

 

Der Boden, der uns nährt

 

Die halbe Milliarde Menschen, die im 18. Jahrhundert die Erde bevölkerten, benötigte zum Überleben etwa 10 Prozent des nutzbaren Landes. Die Bevölkerung ist seitdem um das 15-fache angewachsen und braucht nun 51 Prozent der nutzbaren Erdoberfläche. Dabei wird allerdings nur ein Prozent von menschlicher Infrastruktur, also urbanem Gebiet, Dörfern, Siedlungen, Straßen bedeckt. Die Hälfte der nutzbaren Erdoberfläche wird für Landwirtschaft beansprucht und allein 77 Prozent davon für Viehzucht. Demgegenüber steht in starkem Kontrast die Ausbeute an Nährwerten: Tierische Produkte decken nur 18 Prozent des globalen Kalorienbedarfs. Dieser unverhältnismäßige Ressourcenaufwand wird betrieben, um den Hunger nach tierischen Produkten in industrialisierten Ländern zu stillen. Im Fleischkonsum sind beispielsweise die USA und Australien mit 120 Kilogramm pro Person und Jahr Spitzenreiter, aber auch in Europa essen Menschen im Schnitt 80 Kilo Fleisch jährlich.

 

Im Allgemeinen gilt: Je wohlhabender eine Gesellschaft, desto mehr Fleisch wird konsumiert. Aber auch Kultur und Tradition wirken sich auf die Ernährungsweise aus. Obwohl in Indien der Wohlstand in den letzten Dekaden schnell wuchs, hat sich der Pro-Kopf-Fleischkonsum kaum geändert und liegt bei vier Kilo pro Person und Jahr. Die Ernährung der Weltbevölkerung würde auch mit wesentlich weniger Flächennutzung gelingen, wenn ein Großteil der Ernährung pflanzenbasiert wäre. Wie vielfach nachgewiesen wurde, ist eine deutliche Verringerung des Konsums tierischer Produkte zudem gesünder. Das gilt auch für den Planeten, denn die Landwirtschaft nimmt auch bezüglich der Klimakrise eine zentrale Rolle ein: Zwischen einem Viertel und einem Drittel der Treibhausgasemissionen werden der industriellen Landwirtschaft zugerechnet. Auch für Südtirol ist dieser Industriezweig ein wichtiger Punkt beim Handeln gegen die Klimakrise: Die Emissionen die die Landwirtschaft verursacht, befördert sie in Südtirol auf Platz 3 der Treibhausgas-Emittenten, gleich nach Energie und Mobilität, laut Eurac. Trotzdem wird einer der größten Faktoren, die Milchindustrie, im Visionspapier der Landesregierung, das am vergangenen Montag nun auch im Landtag vorgestellt wurde, nicht erwähnt.

 

Schutzschild Atmosphäre

 

Der israelische Historiker Yuval Harari schreibt in seinem Buch “Eine kurze Geschichte der Menschheit” davon, dass die Erdbevölkerung zwischen 1500 und 2000 um das 14-fache angewachsen sei, der Energieverbrauch aber um das 115-fache und die Produktivität um das 240-fache. Der technologische Fortschritt hat demnach zwar zu einer effizienten Energieverwertung geführt, aber auch zu einem deutlich höheren Energieverbrauch. Das Problem: Aktuell sind fossile Energieträger mit einem Anteil von über 80 Prozent die primäre Energiequelle. Die Erdatmosphäre aber kann nicht unendlich viel Treibhausgas aufnehmen. Ohne dass gravierende Folgen drohen. Sie ist eine endliche Ressource.

Die Erderwärmung ist bereits bei knapp über 1 °C angelangt und darf 1,5 °C nicht überschreiten, wollen wir vermeiden, dass aus der Krise eine Katastrophe wird. Man rechnet damit, dass dies schaffbar ist, wenn jeder Mensch weniger als zwei Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr bis 2030 verursacht. Zum Vergleich: Zur Zeit verantwortet im Schnitt ein:e Südtiroler:in etwa 7,5 Tonnen pro Jahr. Laut CO2-Rechner der Agentur KlimaHaus ist ein Drittel davon nicht-essentiellem Konsum zuzuschreiben. Also Aktivitäten und Konsumationen, die eigentlich nicht unbedingt notwendig sind. Der einflussreiche Ökonom John Maynard Keynes prophezeite 1930er, dass aufgrund der Automatisierung die Menschen in den Industrienationen bis zum Ende des Jahrhunderts nur noch 15 Wochenstunden arbeiten würden. Hartnäckig entwickelte sich aber die Wirtschaft in Richtung Produktionssteigerung und Konsumsteigerung, anstatt mehr Freizeit zu generieren. Diese Produktivität scheint aber nur wenigen wirklich zu dienen: Ein Viertel des globalen Bruttosozialprodukts landet auf den Bankkonten der reichsten 1 Prozent. Und entsprechend gestaltet sich deren CO2-Fußabdruck. Tatsächlich verursachen die Superreichen ungleich mehr Treibhausgase aufgrund ihres Lebensstils. So rechnet zum Beispiel Oxfam vor, dass die Reichsten der Welt im Schnitt 75 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr verursachen, das 10-fache eines durchschnittlichen südtiroler Fußabdrucks also. Privatjets, Yachten und Penthäuser kosten vor allem eines: Energie. Vermögenssteuern, die die Treibhausgasbelastung mit einrechnen, könnten dieses Problem reduzieren, zur Bewältigung der Klimakrise benötigte Steuergelder beschaffen und gleichzeitig die soziale Gerechtigkeit erhöhen.

Hartnäckig entwickelte sich aber die Wirtschaft in Richtung Produktionssteigerung und Konsumsteigerung, anstatt mehr Freizeit zu generieren

Gerade läuft eine Volksbefragung, die von der Linken/la Sinistra ins Leben gerufen wurde: unter dem Namen Next Generation Tax soll eine Steuer auf großes Vermögen in Italien eingeführt werden. Auch der respektierte französische Ökonom, Thomas Piketty, ist klarer Befürworter einer hohen Vermögenssteuer zur Bekämpfung der stetig anwachsenden sozialen Ungerechtigkeit. Ein Zitat des US Amerikanischen Top Investors Warren Buffet bringt es auf den Punkt: “Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen.“ Die soziale Ungerechtigkeit ließe sich unter anderem über eine Vermögenssteuer bedeutend korrigieren. Die zusätzliche Relevanz für das Klima wird weiter unterstrichen durch Dokumente, die Anfang August von der Gruppe Scientist Rebellion, dem akademischen Arm der internationalen Bewegung Extinction Rebellion, geleakt wurden. Es handelt sich um den Report des Weltklimarats, dessen Veröffentlichung im März 2022 geplant war. Dort ist zu lesen, dass die Wissenschaftler:innen des Weltklimarats zu einem ähnlichen Fazit wie Oxfam kommen: Die Superreichen verursachen den deutlich größeren CO2-Fußabdruck. Klimagerechtigkeit bekommt dadurch eine zusätzliche Dimension, es geht nicht nur um den globalen Norden und den globalen Süden, es geht auch um die ökonomischen Verhältnisse innerhalb dieser Regionen.

 

Bescheidener leben

 

Bis zu 60 Prozent der Energie könnte in Industrieländern eingespart werden, ohne einen angemessenen Lebensstandard einbüßen zu müssen, so rechnen wissenschaftliche Studien vor. Unter angemessenem Lebensstandard (engl. decent living standard) verstehen die Wissenschaftler:innen den Zugang zu Nahrungsmitteln, einer Wohnung mit regulierbarer Raumtemperatur, Warmwasser, Müllentsorgung, Mobilität, funktionierendem Gesundheitswesen und Bildung sowie Telekommunikation. Dieser Lebensstandard ist bis heute nur für einen Bruchteil der Weltbevölkerung Realität und trotzdem könnte er auf die gesamte Weltbevölkerung ausgedehnt werden, ohne dass das 1,5 °C-Ziel verfehlt werden würde. Verzichtet werden muss dabei auf zu große Häuser und Autos (sprich: SUVs), auf Fast Fashion und das immer neueste Elektrogerät, sowie natürlich auf zu viele Flugreisen (die Heinrich Böll Stiftung errechnet beispielsweise in ihrem Nachhaltigkeitsszenario eine Langstreckenflugreise alle 3 Jahre als ökologisch tragbar). Statussymbole würden dann nachhaltigem Konsum weichen und das Credo “repair, reuse, recycle” zur Norm gemacht. Wenn alle so viel Energie nutzten, wie sie tatsächlich bräuchten, wäre das Klimaproblem gelöst. Andererseits reichen wenige Menschen, um den Klimakollaps herbeizuführen: Oxfam rechnet vor, dass bei anhaltender Wirtschaftsweise allein die reichsten 10 Prozent der Erdbevölkerung bereits ein paar Jahre nach 2030 genug Treibhausgas emittiert haben würden, um die 1,5 °C-Grenze zu überschreiten. Sogar wenn die Emissionen der restlichen 90 Prozent auf Null fallen würden. Das eigentliche Problem bleibt also der Überkonsum eines kleinen Bevölkerungsteiles, nicht die vermeintliche Überbevölkerung.

Ein angemessener Lebensstandard könnte er auf die gesamte Weltbevölkerung ausgedehnt werden, ohne dass das 1,5 °C-Ziel verfehlt werden würde

Thesen und „Lösungsansätze“ für die Klimakrise, die etwa die Geburtenkontrolle auf dem afrikanischen Kontinent als ein Hauptziel beinhalten, erscheinen in Anbetracht dieser Tatsachen in einem anderen Licht. Den Bedenken hinsichtlich des Bevölkerungswachstums in Afrika liegen aber nicht immer naives Unwissen, sondern vermehrt auch Ideologien zugrunde. Überbevölkerungsthesen finden schnell Anklang am politisch rechten Rand der Gesellschaft. Die Tatsache, dass der wohlhabende, überwiegend weiße Westen einen Bevölkerungsrückgang aufweist, aber etliche benachteiligte Länder mit Schwarzer Bevölkerung ein Bevölkerungswachstum zeigen, reibt sich mit weißen Überlegenheitsgefühlen und nährt Überfremdungsängste. Dass die Länder auf deren Bevölkerungswachstum man zeigt, üblicherweise wesentlich weniger dicht bevölkert sind und nur einen Bruchteil an Emissionen im Vergleich zum europäischen Kontinent aufweisen, spielt in derlei Argumentation ideologiebedingt keine Rolle.

Um die Mammutaufgabe Klimakrise zu meistern, muss das Wirtschaftssystem neu gedacht werden. Dieser komplexen Herausforderung widmet sich die Postwachstumsökonomie. Wachstum soll dabei neu definiert werden: Das Ziel ist kein willkürliches Produktivitätswachstum, wie es durch das Bruttosozialprodukt gemessen wird und welches keinen Unterschied zwischen der Produktion von Waffen und jener von Medikamenten macht. Vielmehr wird ein Wachstum angestrebt, das gezielt sozial Sinnvolles fördert und sozial Unnötiges sowie ökologisch Zerstörerisches reduziert. Das kann dann zur Folge haben, dass dadurch das gesamte Bruttosozialprodukt einer Nation so lange schrumpft, bis sichergestellt ist, dass das Gemeinwohl steigt. Man spricht auch von einer Gemeinwohlökonomie. Ein undenkbares Szenario da der Imperativ der Wirtschaftspolitik stetiges Wachstum gemessen am BSP ist? Ja, und trozdem: Einige Staaten machen bereits erste Schritte und erklären die Steigerung des Bruttosozialprodukts nicht länger zur Maxime der staatlichen Wirtschaftspolitik. Das Königreich Bhutan orientiert sich schon länger am Bruttonationalglück. Auch Neuseeland, das in den letzten Jahren immer wieder durch fortschrittliche politische Maßnahmen aufhorchen ließ, ist dahingehend eine Vorreiter-Nation: Die Regierung von Jacinda Arden hat 2019 beschlossen, dass nicht länger das Bruttoinlandsprodukt maximiert wird, sondern das Gemeinwohl aller Bürger:innen das oberste Ziel der Wirtschaftspolitik sein soll. Derlei strukturelle Weichenstellungen sind der Anfang eines radikalen Umdenkens.

Das eigentliche Problem bleibt der Überkonsum eines kleinen Bevölkerungsteiles, nicht die vermeintliche Überbevölkerung

Leider enthält das Visionspaper der Landesregierung dahingehen wenig. Allemal die häufige Erwähnung der Kreislaufwirtschaft gibt etwas Hoffnung auf richtige Weichenstellung, aber die stete Ausrichtung der Maßnahmen auf wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und der Glauben, dass wirtschaftlicher Erfolg erst soziale und ökologische Maßnahmen ermöglicht, ohne zu hinterfragen welcher wirtschaftliche Erfolg, folgt weiterhin einem überholten Konzept von Nachhaltigkeit. Eine zukunftsweisende Logik dreht das Verhältnis um und stellt die Wirtschaft auf den Platz, der ihr gebührt: in den Dienst der Gesellschaft und den notwendigen Erhalt der Natur. Die Aufgabe, die der Menschheit bevorsteht, drängt und ist keine leichte. Die ökosoziale Transformation muss vielerorts, in lokalen Realitäten entschlossen umgesetzt werden, damit sie sich global entfalten kann. Viele Menschen arbeiten daran, ob individuell, in kleinen Unternehmen oder Kooperativen, durch Vereinsarbeit und Aktivismus – die Regierungen können diese Bemühungen durch wichtige Weichenstellungen unterstützen, wie das in Neuseeland und andernorts schon passiert. Sollte es gelingen, könnte die Gesellschaft der Zukunft eine für alle lebenswertere sein: mit Sinn für das Wesentliche, geringeren Arbeitszeiten, einer deutlich kleineren Kluft zwischen den sozialen Klassen und einem höheren Bildungsgrad weltweit.