Società | Mystische Orte

Am Fuße des Heiligkreuzkofels

Seit eh und je beflügelt die wild-romantische Landschaft am Fuße des Heiligkreuzkofels und ganz besonders das Kreuzkofelmassiv die Phantasie der Menschen.
La Crusc
Foto: Martin Ruepp

 

Auf den Spuren mystischer Orte - Teil 9

 

In diesen Felswänden verbergen sich pharaonisch-majestätische Gesichter, Helden, Zwerge, Tiere und Naturgeister. Sie blicken von hoch oben herab auf die Menschenwelt und lassen sie winzig klein und nichtig erscheinen.

Kaum ein anderes Ausflugsziel im Gadertal ist so beliebt wie die Wallfahrtskirche La Crusc / Heiligkreuz am Fuße des Heiligkreuzkofels. Neben dem Geburtshaus des tiefverehrten und heiliggesprochenen Pater Freinademetz, das nicht weit entfernt in San Linert liegt, stellt dieses Kleinod inmitten des Naturparks Fanes-Sennes-Prags das meistbesuchte religiöse Wallfahrtsziel Ladiniens dar. Dieser Ort wird von der Bevölkerung als außergewöhnlich, ja als heilig erlebt und dementsprechend verehrt.

Aus gleich vier Richtungen führen Stationenwege aus dem Tal zu der auf 2.045 Metern liegenden Kirche: von San Cassian (St. Kassian), von La Ila (Stern), von San Linert (Sankt Leonhard) und von La Val (Wengen), deren Stationen von Künstler_innen des Tales gestaltet wurden. Sie alle enden am Kalvarienberg hinter der Kirche, den eine Kreuzigungsgruppe krönt.

Diese Märchenlandschaft am Fuße der Fanes-Gruppe mit diesem so überwältigenden Panorama ist zu Recht einer der Gründe, weshalb dieser Ort eine dermaßen große Wertschätzung erfährt. Die Impressionen prägen sich wortwörtlich tief ein und an langen Wintertagen kann man noch lange von ihnen zehren und sich auf jene Zeit freuen, an der man dies alles wieder in vivo erleben kann.

Wandert man von der Heilig-Kreuz-Kirche westwärts hinab ins Tal, tritt man nach der Überquerung der Schutthalden zu Füßen des großen Berges schon bald auf sanfte Gefilde: auf die wundersamen Armentarawiesen. Hier breiten sich die herrlichsten Bergmähder aus, die man sich vorstellen kann. Sie bestehen vorwiegend aus Mager- und Lärchenwiesen, dazwischen gibt es prächtige Niedermoore mit bislang 197 nachgewiesenen Pflanzenarten.

Auf Menschen, die das erste Mal in dieser Landschaft stehen, wirkt diese Landschaft, als träumten sie mit offenen Augen oder als befänden sie sich in einem wundersamen Märchen, besonders im Sommer und im Herbst. Schon im Spätfrühling beeindruckt die Blütenfülle dieser Wiesen: Da gibt es neben Mehlprimeln, gelben Trollblumen und Schwefelanemonen sowie breit-blättrigen Enzianen auch seltene Orchideenarten zu bestaunen. Im Hochsommer sind die Wiesen über und über mit tiefrosaroten Kuckuckslichtnelken bedeckt, und rund um die Feuchtgebiete beginnt das Wollgras in zarten Büscheln zu blühen. Dazu gesellen sich, so weit das Auge reicht, Tausende von Arnikablumen, und dazwischen finden sich immer wieder leuchtend rote Feuerlilien.

Irgendwann geht jedes Wunder zu Ende, doch nach dem Abklingen der Sommerblüte erwacht hier noch ein zweites und nimmt einen mit in eine andere Zauberwelt: Gegen Ende September und im Laufe des Oktobers, wenn die Nächte kühler werden und die ersten Lärchen in der Höhe ihre Nadeln verfärben, beginnt das phantastische Schauspiel. Gold-, Orange- und Gelbtöne werden nun zu den dominierenden Farben und finden hier ihre Lieblingswohnstätte. Wohin das Auge blickt, wird es durch Farbintensität beschenkt und beglückt. Nirgendwo sonst lässt sich ein so spektakuläres Lichtbad im Banne der bleichen Dolomiten-Felswände genießen!

Die lichtdurchflutete Wiesenlandschaft, die von der Sonne aufleuchtenden Lärchen und dazu der dunkle Kontrast der Zirbelkiefern gesellt sich zum stahlblauen Himmel und den blau schimmernden Bergen auf der gegenüberliegenden Talseite und machen dieses Erlebnis zu etwas Einmaligem, zu einem Anblick, den man sein Leben lang nicht mehr vergessen wird – die Armentarawiesen werden erlebt als mystischer Ort der ersten Stunde.