Cultura | Salto Afternoon

Wie wir richtig falsch informiert werden

Philosoph Andreas Oberprantacher spricht am Freitag im Kulturhaus von Kurtatsch über gezielte Unwahrheiten in den "alten" und "neuen" Medien. Ein "wahres" Vorgespräch.
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Foto: Salto.bz

Salto.bz: Sie referieren im Rahmen ihres Vortrages in Kurtatsch über das vielschichtige Phänomen „Fake News“. Welchen Einfluss hat es auf die Gesellschaft?

Andreas Oberprantacher: Dass nun schon seit einigen Jahren wieder intensiv von einer „Lügenpresse“ oder, in Trump'scher Diktion, von „Fake News“ gesprochen wird, kann einerseits als Indiz verstanden werden, dass es so etwas wie ein relativ weit verzweigtes Unbehagen im Umgang mit Medien im Allgemeinen und mit der Presse und Nachrichtenmeldungen im Besonderen gibt. Andererseits haben die Medien paradoxerweise selbst dazu beigetragen, das Phänomen bekanntzumachen, es öffentlichkeitswirksam zu diskutieren, sodass es gleichzeitig als Trend verstanden werden kann. Das Eine wie das Andere hängt jedenfalls zusammen.

Bestand eine wichtige Bedeutung von Medien für die bürgerliche Moderne darin, ein gewisses Vertrauen herzustellen und sich vom Obrigkeitsgehorsam zu emanzipieren, so scheint es, als würde mit „Fake News“ gegenwärtig Misstrauen gesät und stattdessen relative „Blasen“ geschaffen.

Immer wieder wird die Unabhängigkeit von Medienprodukten gepriesen. Die Realität schaut aber anders aus. Sind diese selbsternannten Lobpreisungen letztendlich nicht auch Fake News?

Bedenkt man die Geschichte der diversen Debatten rund um die Manipulation, Propaganda und Interessen von Medien, um ihre parteiische Vermittlung von Geschehen, so kann man sich effektiv wundern, wie es denn dazu kam, die „Unabhängigkeit“ als Markenzeichen erfolgreicher Medienagenturen zu vermarkten. Zugleich ist aber auch zu sagen, dass selbst wenn sich die Idee der Unabhängigkeit, genau genommen, als Fiktion erweist, es umgekehrt nicht so ist – und auch nicht so sein sollte –, dass Medien nichts anderes als „gelenkte“ Inhalte vermitteln. Es geht vielmehr um die vielen Rahmen und Winkel, die Teil (je)der Vermittlung sind, auf diese gilt es insbesondere zu achten.

Mit dem Streuen „falscher“ Informationen wird mitunter auch „falsche“ Politik gemacht. Welche Mitschuld hat die Politik selbst an diesem Dilemma?

Das Verhältnis von „Wahrheit und Politik“ ist, wie bereits Hannah Arendt mit ihrem gleichnamigen Buch argumentiert hat, seit jeher ein strittiges – und selbst in der Wissenschaft gilt der Begriff der „Tatsache“ als etwas, worüber nicht alle einer bzw. der selben Meinung sind. Aber was sich heute als extrem problematisch erweist, ist, wie durch politische Bewegungen, Parteien, „Bots“ oder Einzelpersonen eine Stimmung erzeugt wird, welche daran zweifeln lässt, dass es so etwas gibt, wie eine gemeinsam geteilte Welt, dass also durch eine strategisch verzerrte Informationspolitik extremes Misstrauen erzeugt wird, Vorurteile gefestigt und Menschengruppen systematisch dämonisiert werden – und das eben nicht unter totalitären Vorzeichen, sondern unter neo- oder vielleicht auch schon post-liberalen.

Ich denke, wir alle wären gut beraten, damit zu beginnen, die Forderungen von Journalist*innen und Reporter*innen nach besseren Arbeitsbedingungen zu unterstützen, um besser recherchieren und detaillierter berichten zu können…

Wie geht die Philosophie der Gegenwart mit dem Phänomen "Fake News" um?

Auch an dieser Stelle würde ich die historische Dimension nicht außer Acht lassen. Wenn wir bedenken, dass Immanuel Kant seine „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ im Jahr 1784 durch die Berlinischen Monatsschrift veröffentlicht hat, erkennen wir, dass sich die Organisation einer bürgerlichen Öffentlichkeit, so elitär und teils sexistisch sie auch gewesen sein mag, der gekonnten Nutzung von Zeitschriften und anderen Medienformaten verdankt bzw. durch diese vollzog. Mittlerweile haben wir, Jürgen Habermas folgend, nicht nur einen, sondern gleich mehrere „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ vollzogen. Für die gegenwärtigen philosophischen Debatten ist das insofern relevant, als nicht länger unkritisch vom Fortbestehen einer bürgerlichen Öffentlichkeit – aber auch nicht mehr von einer „Massengesellschaft“ – ausgegangen werden kann. Es geht häufig darum zu verstehen, wie sich insbesondere durch neue „soziale Medien“ soziale Verhältnisse entwickeln, die sich mit Begriffen wie „Netzwerke“, aber auch „Schwärme“ oder „Clouds“ umschreiben lassen. Bestand eine wichtige Bedeutung von Medien für die bürgerliche Moderne darin, ein gewisses Vertrauen herzustellen und sich vom Obrigkeitsgehorsam zu emanzipieren, so scheint es, als würde mit „Fake News“ gegenwärtig Misstrauen gesät und stattdessen relative „Blasen“ geschaffen. Hier versuchen philosophische Debatten ein detaillierteres Bild von diesen Prozessen und Umbrüchen zu zeichnen.

Immer wieder werden „Fake News“ mittels Satire entlarvt. Ist sie die letzte humorvolle Waffe gegen den bitteren „Wahrheitsanspruch“ eines angepassten Journalismus der Jetztzeit?

Es ist zweifellos amüsant zu verfolgen, wie beispielsweise vor wenigen Tagen das gefälschte Video eines Kaiserskorpions in einem Wiener Spielplatz rasant und ohne jegliche Recherche sowohl von der so genannten Boulevardpresse als auch von respektableren Tageszeitungen und Fernsehsendungen wiedergegeben wurde, bis es von Peter Klien als das bezeichnet wurde, was es war: Satire, und zwar eine politisch brisante. Satire selbst ist ja auch medial verfasst, sie kann in diesem Fall dazu beitragen, einige der problematischen Aspekte und Tendenzen des Journalismus sozusagen mit einem lachenden und einem weinenden Augen dem Publikum entgegenzuhalten – aber zugleich würden wir der Satire wohl nicht gerecht werden, erwarteten wir von ihr so etwas wie eine Alternative. Ich denke, wir alle wären gut beraten, damit zu beginnen, die Forderungen von Journalist*innen und Reporter*innen nach besseren Arbeitsbedingungen zu unterstützen, um besser recherchieren und detaillierter berichten zu können, oder Medienimperien zu entflechten und zugleich einen reflektierteren Umgang mit – analogen oder digitalen – Medien zu üben, sie nicht so gedankenlos zu konsumieren.