Società | Academia

Lehren und Lernen mit neuen Vorzeichen

Welche Veränderungen im Ausbildungsbereich bringt die - Corona bedingte - neue Situation? Ulrike Stadler-Altmann, Professorin für Allgemeine Didaktik über die Herausforderung in der Hochschullehre.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Homeschooling - Junge am PC
Foto: Pexels/Julia M Cameron

Covid-19 hat im Sommersemester Lehrende und Studierende gleichermaßen völlig unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen, aber beide Seiten haben sich der großen Herausforderung gestellt, plötzlich komplett auf Online-Unterricht umzustellen. Sowohl technisch als auch didaktisch wurde ein enormer Aufwand betrieben und Professor*innen und Studierende mussten sich darauf einlassen, den Unterricht über Microsoft Teams neu zu gestalten und zu erleben. Während Höhersemestrige nach wie vor ausschließlich im Online-Modus unterrichtet werden, sind die Vorlesungen der Erstsemester großteils in Präsenz oder in hybrider Form angelaufen. Dies bedeutet, dass die Lehrperson in einem Hörsaal vor physisch anwesenden Studierenden unterrichtet und sich weitere Mitstudierende online dazuschalten können. Auch in den Laboratorien gibt es dazu erste Versuche. Bei Prof. Stadler-Altmann dreht sich dort alles um allgemeine Didaktik und unter normalen Umständen wird in Partner- oder Gruppenarbeit gearbeitet, analysiert oder weiterentwickelt. Die Ausnahmesituation ermöglicht nun auch in den Kleingruppen den Austausch zwischen Studierenden in Präsenz und jenen, die online mitdiskutieren. Neuland für alle, aber die ersten Erfahrungen zeigen, dass dieses Modell bei den Erstsemestern aktuell funktioniert. 

Durch diese neue Ausgangslage verändert sich auch die Vorstellung von Universität, wodurch sich spannende Wege eröffnen. Es geht vor allem darum, sich unter den derzeitigen Voraussetzungen alternative Arbeitsformen zu überlegen oder auch über die traditionelle Bedeutung von Lehre neu nachzudenken, wodurch ein gänzlich neues Forschungsfeld entsteht. Eine interessante Frage, mit der sich die Wissenschaftlerin Stadler-Altmann beschäftigt, richtet sich danach, „wie sich unsere Verstehensprozesse, unsere Kompetenzaneingnung und das Generieren von Wissen verändern, wenn wir nur diesen einen Ausschnitt des Bildschirms haben?“. Diese durch Covid-19 forcierte und völlig unerwartete Umstellung von Präsenz- auf Online-Unterricht, zu der es noch sehr wenig Wissen gibt unterscheidet sich wesentlich von E-Learning oder Blended Learning, beides erprobte Lernformen, zu denen schon viel geforscht wurde. Möglicherweise entspringt gerade dieser neuen und unbekannten Situation die Chance, mehr Freiräume für Innovation zu schaffen und die Lehre flexibler und autonomer zu gestalten, beispielsweise durch mehr Lehrangebote mit Blended Learning Arrangements. Stadler-Altmann ist der Meinung, „dass verpflichtende Präsenz nicht immer nur einen Mehrwert darstellen muss, vielmehr wäre es sinnvoll, in den verschiedensten Bereichen auch Auswahlmöglichkeiten zu bieten, wo jede*r selbst entscheiden kann.“ Dennoch gibt es gerade in den Bildungswissenschaften immer wieder Aspekte und Lehrformen, in denen die persönliche Interaktion wesentlicher Bestandteil ist, weil gerade „durch spontane Sequenzen wie Rollenspiele oder didaktische Kniffe Lernmomente von unschätzbarem Wert entstehen, die in die Praxisarbeit in Schule und Kindergarten eingeflochten werden können“. Bis Corona das universitäre Leben auf den Kopf gestellt hat, war es Dozierenden und Studierenden möglich, schnell und unkompliziert in Dialog zu treten. Es wurden Fragen gestellt und direkt beantwortet oder gemeinsam diskutiert und es blieb viel Platz für spontane Kommunikation. Im Online-Unterricht hat der Großteil der „Anwesenden“ die Kameras ausgeschaltet, wodurch für Lehrende durch das Fehlen non verbaler Signale wie Körpersprache eine gänzlich neue Situation entsteht. „Wenn alle Fragezeichen auf der Stirn haben, dann weiß ich, jetzt muss ich etwas ändern. Oder auch die Körperhaltung der Teilnehmenden zeigt mir, dass eine Pause angesagt ist.“

 

Zu den Erfahrungen mit der Lehr- und Lernsituation im Sommersemester wurden bisher hauptsächlich Schulen befragt – Eltern, Schüler*innen und Lehrpersonen. Ulrike Stadler-Altmann hat gemeinsam mit 12 Kolleg*innen vom Forschungscluster IN-IN-Education (INnovative und INklusive Erziehung und Bildung) die Idee entwickelt, explizit dozierende Kolleg*innen an der Fakultät für Bildungswissenschaften zu ihren Erfahrungen mit der aktuellen Lehrsituation zu befragen. Der Artikel mit den Umfrageergebnissen ist kurz vor der Veröffentlichung, weshalb noch nicht allzu viele Details preisgegeben werden können. So viel steht jedoch fest, die drei Personengruppen, die an der Fakultät Lehre anbieten, interne, externe und Kolleg*innen des Praktikumsamtes, haben durchwegs positiv resümiert. Es zeigte sich eine große Offenheit der Dozierenden, sich auf das neue Unterrichtsmedium und die gänzlich veränderte Lehrsituation einzulassen. Jede*r hat ihre/seine Didaktik geändert und unterschiedliche Aktivierungsmuster eingebracht. Erfreulicherweise zeigte das Feedback der Studierenden, dass Partizipation trotz ausschließlichen Online-Unterrichts möglich war. Was Stadler-Altmann aus eigener Erfahrung weiß und was sich auch mit den Ergebnissen der Befragungen deckt ist, dass die „neue“ Lehre technisch und didaktisch komplexer geplant werden muss und der Zeitaufwand auch aufgrund der veränderten Kommunikationswege deutlich höher ist als beim Präsenzunterricht. „Es macht einen Unterschied, ob ich in einer Vorlesung die Abschlussprüfung erkläre und Fragen dazu beantworte, oder ob ich 100 Mails zu der Abschlussprüfung bekomme, die alle einzeln beantwortet werden müssen.“ 

Gerade in dieser speziellen Zeit, vor allem jedoch auch mit Blick in die Zukunft der universitären Lehre wird der Wunsch der Didaktik- Professorin nach einem Kompetenzzentrum für Hochschullehre stark, um hervorragende Lehre für einen erstklassigen Nachwuchs zu ermöglichen. Im europäischen Großraum gibt es die Tendenz schon sehr lange, hochschuldidaktische Zentren mit dem Anspruch zu gründen, alle Kolleg*innen in ihrer Lehre zu unterstützen. „An der Bildungswissenschaftlichen Fakultät haben wir in diesem Bereich Expert*innen und in meinem Wunschdenken wäre ein Kompetenzzentrum zudem als Forschungszentrum gedacht, wo sich auch Kolleg*innen anderer Fakultäten mit ihren Fragen und Forschungsanliegen in Bezug auf Lehre einbringen können und sollen. Denn es macht einen Unterschied, ob ich Design unterrichte oder Informatik, aber wir könnten alle voneinander lernen und gemeinsam neue Wege beschreiten.“