Cronaca | Hüttenaffäre

Der Drei-Viertel-Freispruch

Daniel Alfreider hat in der Hüttenaffäre trotz Einleitung des Hauptverfahrens einen entscheidenden Etappensieg errungen. Die Anklage wegen Falscherklärung ist gefallen.
Daniel Alfreider
Foto: Facebook
Emilio Schönsberg hat gestern etwas erreicht, was nur wenige Richter schaffen. Der Richter für die Vorverhandlung am Landesgericht Bozen hat am Mittwochabend kurz vor 18 Uhr ein Urteil erlassen, in dem es nur Gewinner gibt. Den Urteilsspruch des Vorverhandlungsrichters können sowohl die Anklage wie auch die Verteidigung als ihren Sieg verbuchen.
Wir sind sehr zufrieden mit diesem Ausgang“, sagt Karl Zeller, der zusammen mit Carlo Bertacchi die Verteidigung Daniel Alfreiders übernommen hat. Aber auch ihr Gegenpart, die Bozner Staatsanwaltschaft – in diesem Fall vertreten durch die beiden stellvertretenden Staatsanwälte Federica Iovene und Igor Secco – steht als Sieger da. Formal wurde am Mittwoch gegen den amtierenden Landesrat für Ladinische Bildung und Kultur, Infrastruktur und Mobilität das Hauptverfahren wegen mutmaßlicher Verstöße gegen den Landschaftsschutz und Bauvergehen eingeleitet. Kein alltäglicher Vorfall für einen amtierenden Politiker und ein Mitglied der Landesregierung.
 

Die Hüttenaffäre


Die Vorgeschichte ist unter dem bezeichnenden Titel „Hüttenzauber“ von der Wochenzeitung FF vor über zwei Jahre aufgedeckt worden. Tatsache ist, dass die Familie Alfreider zwischen 2012 und 2016 mehrere Kubaturverlegungen von Hütten in Angriff genommen hat. Es ist eine Aktion, in der alles vorkommt, was es im Südtiroler Urbanistik-Dschungel gibt: Änderungen von Landesgesetzen ad hoc, unklare gesetzliche Bestimmungen, Abstimmungen, die durch die doppelte Stimme des Kommissionspräsidenten entschieden werden und völlig widersprüchliche historische Dokumente.
 
 
Am Ende dreht sich die ganze Affäre – nach einer Eingabe und Ermittlungen der Staatsanwaltschaft – um zwei zentrale Fragen. Hat Daniel Alfreider durch das Vorlegen von fotografischen Unterlagen den Strafbestand der Täuschung und der Falschbekundung in öffentlichen Urkunden durch eine Amtsperson begangen?
Alfreider hatte zur Rechtfertigung einer Kubaturverlegung Dokumente über den ehemaligen Standort einer Hütte vorgelegt, die es nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft so nie gab. Die Anklage will nachweisen können, dass diese Hütte, wenn es sie überhaupt gab, auf dem Grund eines Nachbarn stand.
Die zweite Frage, die es vor Gericht zu klären gibt, ist jene, betrifft jene zwei Hütten, die effektiv verlegt und oberhalb des Alfreider-Heimathofes neu aufgebaut wurden. Hier geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass man dabei zu viel Kubatur verbaut hat. Im Klartext: Daniel Alfreider habe gegen Bau- und Landschaftschutzbestimmungen verstoßen.
 

Der Freispruch

 
Es waren drei Zeugen, die die Verteidigung am Mittwoch in der Verhandlung aufmarschieren ließ. Alfreiders Mutter, seinen Bruder und den Feuerwehrkommandanten von Corvara, Hubert Kostner. Die Verteidigungsstrategie war dabei formal absolut stimmig: Alle drei Zeugen sagten nicht nur aus, dass die Hütte dort gestanden habe, sondern auch, dass die Kubaturverlegung vom inzwischen verstorbenen Vater Riccardo Alfreider ausgegangen sei. Dieser habe seinem Sohn die Fotos und Dokumente zum ursprünglichen Standort der Hütte übergeben. Alfreider selbst sei als sechsjähriger Bub zum letzten Mal auf der Hütte gewesen, deshalb habe er eine mögliche Unstimmigkeit nicht bemerken können.
Die Staatsanwaltschaft hingegen bestand darauf, dass Daniel Alfreider als Bauingenieur und langjähriger Bauassessor Bauleitpläne und sog. Orthofotos weitaus besser lesen konnte als sein Vater und der Landesrat deshalb ganz bewusst eine Falscherklärung abgegeben habe.
Richter Emilio Schönsberg kam aber zum gegenteiligen Schluss und sprach Daniel Alfreider vom Vorwurf der Falscherklärung frei. Es ist ein wichtiger Sieg, denn dieser Punkt war die schwerwiegendste Straftat, die dem SVP-Politiker vorgeworfen wurde. Nicht nur, dass darauf bis zu sechs Jahre Haft steht, eine Verurteilung wegen Falscherklärung hätte auch das Ende der politischen Karriere Alfreiders bedeutet.
 

Die Hütten

 
Drei Stunden lang diskutierte man am Mittwoch am Bozner Landesgericht über die mutmaßlichen Bauvergehen beim Neubau der zwei Alfreider-Hütten.
Auch in diesem Punkt wandte sich das Blatt während der Verhandlung zugunsten Alfreiders. Denn in der Diskussion wurde schnell klar, dass die Staatsanwaltschaft mögliche Vorwürfe gegen jene Kubaturverschiebungen, die Alfreider ursprünglich beantragt, aber nie durchgeführt hat, wegen Geringfügigkeit fallen lässt. Zudem bestätigten Secco und Iovene auch die Rechtmäßigkeit der 2020 erlassenen Baukonzessionen, mit denen jene Hütten saniert wurden, die  effektiv gebaut wurden.
Damit blieb aber nur mehr ein Streitpunkt übrig. Die Frage, ob die beiden Hütten vom genehmigten Projekt und den Bau- und Landschaftschutzbestimmungen abweichen und zu groß gebaut wurden. Hier standen sich zwei gegensätzliche Gutachten der Sachverständigen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gegenüber.
 
 
Gerade in diesem Punkt ist aber vor allem Karl Zeller in seinem Element. Der Meraner SVP-Vizeobmann ist als Anwalt im Verwaltungsrecht und in Urbanistikfragen beheimatet und hat als hoher SVP-Politiker in der Urbanistikgesetzgebung direkt und indirekt an so manchem Passus des bestehenden Urbanistikgesetzes mitgeschrieben. Zeller kennt jedes Schlupfloch im Südtiroler Regelwerk. So gelingt es dem Alfreider-Anwalt, viele der Thesen der Staatsanwaltschaft und ihres Gutachters zu zerlegen oder zumindest in Zweifel zu ziehen.
 

Der Prozess

 
Am Ende geht es im Verfahren darum, ob Daniel Alfreider seine Hütten um 30 Zentimeter zu hoch gebaut hat oder nicht. Der Kubaturgewinn: Rund 10 Kubikmeter.
Diese Frage soll jetzt in einem Hauptverfahren geklärt werden. Voruntersuchungsrichter Emilio Schönsberg erklärte, dass er bei zwei widersprechenden Gutachten nicht entscheiden könne. Weil bereits eine mögliche Verjährung im Raum steht, wurde das Hauptverfahren für den 17. März 2021 angesetzt. Als Einzelrichter wurde Ivan Perathoner benannt. Perathoner ist zwar der Bruder des Bozner SVP-Bezirksobmannes und langjährigen Chefs der SVP-Ladinia Christoph Perathoner, er gilt aber durchaus als neutraler und kompetenter Richter.
Voraussichtlich wird Ivan Perathoner im Hauptverfahren einen Gerichtssachverständigen ernennen, der in einem amtlichen Gutachten noch einmal die baurechtliche Lage prüfen soll. Dabei starten Daniel Alfreider und seine Verteidiger aber jetzt schon mit einem entscheidenden Vorteil in diesen Prozess.
Bereits in der Vorverhandlung hat die Staatsanwaltschaft zu Protokoll gegeben, dass sie auch im Fall möglicher Bauvergehen die Archivierung wegen „Geringfügigkeit der Straftat“ beantrage.
Damit dürfte der Weg dieses Verfahrens – sollte es nicht zu überraschenden Wendungen kommen – bereits vorgezeichnet sein.