Società | Design und Künste

Südtiroler Kitsch statt Kunsthandwerk

Im Interview spricht Kuno Prey, Gründer der Fakultät für Design und Künste der unibz und Professor für Produktdesign, über das Zusammenspiel von Design und Handwerk.
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Klappschale
Foto: unibz/Auer Marie Therese

Kuno Prey ist Produktdesigner, Gründer der Fakultät für Design und Künste der Freien Universität Bozen und Professor für Produktdesign.

 

Herr Prey, Handwerk und Design sind beides kreative, lösungsorientierte Berufe, und arbeiten doch ganz verschieden. Inwiefern gehören Design und Handwerk zusammen?

Zusammen können Handwerker und Designer sehr originelle und authentische Produkte realisieren. Wenn beide Seiten über die Grenzen ihres Metiers hinausgehen, haben sie viel mehr Potential und mehr Courage. Zum Beispiel, um Materialien anders als gewohnt zu bearbeiten und mehr auszureizen. Es gibt exzellente Beispiele von Stühlen, die sehr leicht sind und somit wenig Holz brauchen, weil sie auf ihr Essentielles gebracht und spezielle Holzarten verbaut wurden, die in einem dünneren Querschnitt als andere Holzarten immer noch stabil sind. Für so ein Produkt müssen beide Seiten offen ihre Expertise einbringen und Augenhöhe kooperieren.

 

Betrachten wir den Prozess vom ersten Bleistiftstrich bis zum fertigen Stuhl oder Tisch: Was kann die Handwerkerin, was die Designerin nicht kann und umgekehrt?

Der größte Unterschied: Der Handwerker ist eine meist nur ausführende Person. Der Handwerker zeichnet sich durch die Fähigkeit aus, sich in Projekte hineinzudenken, durch Handfertigkeit und Kenntnisse im Umgang mit verschiedenen Werkstoffen. Der Handwerker denkt eher in Richtung der Umsetzung. Der Designer dagegen ist verbissen in die Geschichte des Tisches, in das Entwerfen, setzt sich intensiv mit dem Umfeld auseinander, in dem der Tisch stehen wird. Der Designer hat einen breiteren Blick auf die Welt des Gestaltens, vernachlässigt aber vielleicht die praktische Umsetzung. Von beiden Seiten beide Realitäten zu erwarten, wäre zu viel verlangt. Im Endeffekt braucht der Designer  jemanden, der seine Ideen umsetzt, der Handwerker benötigt innovative Ideen.

 

Wo liegen die Herausforderungen für Designer und Handwerker darin, zusammen zu arbeiten?

Es gibt leider diese Tatsache, dass der Designer dazu tendiert auf den Handwerker hinunterzuschauen. Ein gegenseitiges Verständnis sowie gegenseitige Wertschätzung der Berufe ist wichtig. Das heißt, dass der Handwerker eben nicht nur Dienstleister ist und der Designer nicht nur realitätsfremder Studierter.

Um diese Barriere abzubauen, habe ich zum Beispiel einen Workshop an der Landesberufsschule Bozen mit Schreinerlehrlingen durchgeführt. In dem Workshop wurden Berufsschülerinnen und - schüler und Studierende der Fakultät für Design und Künste zusammengebracht mit der Aufgabe, gemeinsam ein Gesellenstück zu realisieren. Das heißt, die Studierenden haben die Entwurfsphase bestimmt, die Lehrlinge haben den Entwurf handwerklich umgesetzt. Gegenseitig haben sich Studierende und Lehrlinge über die Schulter geschaut und in beiden Phasen unterstützt. So haben beide auf Augenhöhe miteinander gearbeitet und sich gegenseitig schätzen gelernt.

 

 

Design ist sehr praktisch, sehr produktorientiert, ein Studium in der Regel aber eher theoretisch. Inwiefern sind im Designstudium an der Uni Bozen handwerkliche Fähigkeiten verankert?

Erstmal arbeiten die Studierenden in Projekten, anstelle von Vorlesungsbesuchen. Außerdem haben wir hier an der Uni Bozen für nationale Verhältnisse exzellente Werkstätten und Werkstattmeister, die die Studierenden bei der Umsetzung ihrer Konzepte begleiten. Aber die Meister stehen ihnen mit gewissem Abstand zu Seite, denn die Studierenden sollen nicht den Handwerker als Dienstleister sehen, sondern als eine Art graue Eminenz, der seine Erfahrung zur Verfügung stellt. Dabei sollen die Studierenden auch Fehler machen dürfen, der Handwerker darf also nicht gleich sagen, „das macht man so weil man es immer so gemacht hat“. Ein Designstudium sollte unbedingt praxisbezogen sein, denn wie kann ich einen Tisch entwerfen, wenn ich keine Ahnung habe von Konstruktion und von Materialeigenschaften.

 

Nicht alle Handwerksbetriebe sind bereit, Kleinserien zu produzieren. Für den entworfenen Museumsshop sind Sie beispielsweise auf der Suche nach einem Handwerksbetrieb, um die Produkte herzustellen. Wie erklären Sie sich, dass nur wenige Handwerksbetriebe bereit sind, solche kleinen Stückzahlen zu produzieren?

Kaum jemand baut heute einen Schrank oder ein Kabinett für immer. Sondern schnelllebige Produkte, die Trends verfolgen und weniger für eine gewachsene Kultur einstehen. Gucken wir die Möbel im Volkskundemuseum an, haben die hunderte Jahre auf dem Buckel und nach wie vor eine sehr hohe Funktion, Ästhetik und Ausführung. Wenn wir in zweihundert Jahren die Möbel von heute anschauen wollen, gibt es die gar nicht mehr. Das betrifft nicht nur sogenannte Billigmöbel, sondern auch handgefertigte Stücke, weil ganz anderes Material verwendet wird. In den letzten Jahren haben sich Effizienz, Ökonomie, Serienproduktion eingeschlichen. Dabei bleibt vor allem eins auf der Strecke: Muße. Langsamkeit.

Genau dies, Zeit und Muße, verlangt das Kunsthandwerk oder wie ich es nenne, das kleine Handwerk. Hier in Südtirol haben wir ein ziemlich mageres Kunsthandwerk. Dafür holen die Südtiroler aber immer Pokale bei den Junghandwerksmeisterschaften „WorldSkills“. Wir sind Weltmeister im Maurerhandwerk, in der Floristik, im Grafikdesign. Ansonsten pflegen wir das Handwerk als Kulturgut kaum. Zwar spielen schmücken mit Geranien und Edelweiß und fräsen mit der CNC Fräse Blümchen ins Holz. Dieser ganze Kitsch ist aber verfälscht und nicht richtig verstanden. 

 

 

Das heißt, es gibt zwei verschiedene Handwerkskulturen: Das schnelle und effiziente Handwerk und das kunsthandwerkliche, langsamere. Wie wird das langsame Handwerk attraktiv sowohl für Käufer, als auch für junge Handwerker und Handwerkerinnen?

Unsere große Chance in Südtirol: Wir haben sehr, sehr viele Touristen, die nur darauf warten, dass man ihnen etwas anbietet. Und zwar nicht made in China, wie eine Keramikfigur ohne Bezug zu dem Ort. Stellen Sie sich vor, Sie sind im Urlaub und finden eine kleine Broschüre, die uns einige Handwerker vorstellt und deren Produkte zeigt. Wir gehen dort hin und erleben, wie zum Beispiel eine Rodel hergestellt wird. Weil wir selber gerne rodeln, bestellen wir eine Rodel für unsere Tochter. Vielleicht fragt der Rodelbauer dann, wie alt ist die Tochter, wie viel wiegt sie, wie gut rodelt sie. Das ist doch ein total anderes Erlebnis wie wenn ich ins Kaufhaus gehe und dort eine Rodel von der Stange kaufe. Und Sie als Tourist bauen eine ganz andere Beziehung zum Urlaubsort auf, weil Sie durch ein solches Erlebnis beim Kleinhandwerker regelrecht Kultur anfassen können.

Dazu gehört, vor allem junge Betriebe in Produktionsnischen zu fördern. Bevor unsere Einkaufsstraßen leer stehen, könnten Kommunen zum Beispiel eine Förderung ausschreiben, dass Geschäftsbesitzer ihre leerstehenden Räume jungen Kunsthandwerkern vermieten. Vielleicht arbeitet der Handwerker dort noch am Abend, hat ein Licht brennen, und trägt somit dazu bei, die Dörfer wiederzubeleben und Kundschaft anzuziehen, die auf Kultur gepolt ist statt auf Konsum.

Dazu kommt, dass handwerkliche Produkte durch das Internet gut vermarktet werden können. Das heißt, dass die Käufer online einkaufen können und dadurch womöglich zu uns in den Urlaub fahren.

 

Das Problem des Handwerks ist unter Umständen das Problem des Designers, wenn es darum geht, Kleinserien zu produzieren wie für den Museumsshop. Dann ist die Designerin darauf angewiesen, dass sich eine solche Produktion lohnt und interessant ist für Käufer und Handwerkerin. Wie kann der Designer dazu beitragen?

Indem wir diese kleinen emotionsreichen Geschichten erzählen über besondere Handfertigkeiten, die Traditionen hochhalten. Ein Produkt braucht immer Geschichten. Wenn Sie den Katalog von Manufactum anschauen zum Beispiel, lesen Sie geniale Geschichten. Diese machen ein Produkt interessant. Und dann steht da noch, dass ich auf den Tisch zehn Wochen warten muss, weil der kleine Handwerker geringe Kapazitäten hat. Tja, und dann will ich dieses Produkt erst Recht. Das ist ein Spiel mit Emotionen. Und wir haben ein Bedürfnis an Emotionen und suchen diese. Mit einem hohen Qualitätsanspruch könnten wir das Problem des Kleinhandwerks in den Griff bekommen.

 

Haben Sie Beispiele für Designer, die sich auf handgefertigte Kleinserien spezialisieren als berufliche Perspektive?

Wir haben einen Abgänger mit einer Brillenmanufaktur, die keine großen Mengen herstellt, aber sehr individuelle und handgefertigte Produkte herstellt und selbst vermarktet. Angefangen hat er mit dem Upcyclen von alten Snowboards, aus denen er Brillen herausgefräst hat. Eine andere Abgängerin hat inzwischen ihre eigene Brillenmarke etabliert, Veronika Wildgruber Eyewear. Ihre Brillen werden von einem französischen Großunternehmen hergestellt und weltweit vermarktet.

Und diese Woche ist die Internationale Handwerksmesse in München. Eine Studentin von uns wurde für die Ausstellung „Talente“ ausgewählt. Diese Studentin ist keine Handwerkerin, sondern Designern. Unterstützt von unseren Werkstattmeistern war sie imstande, ein handwerklich hochwertiges Produkt zu realisieren. Sehr originell ist vor allem ihr Konzept: Es handelt sich um eine zusammenfaltbare Schale. Dann ist sie ungefähr einen Zentimeter dick, sodass ich sie platzsparend in den Küchenschrank schieben kann. Wenn ich sie brauche klappe ich sie auf und habe eine Schale, um Obst reinzutun oder Nüsse oder Brot.

Das ist eine Designleistung, die in enger Zusammenarbeit mit Handwerkern umgesetzt wurde, denn es wurde ein spezielles Scharnier entwickelt. Das Scharnier ist aus einem flexiblen Material, wie man es von Rollos kennt. Die Rollos haben Stoff zwischen den einzelnen Elementen, sodass es aufgerollt werden kann. Die Studentin hat diese Konstruktion übernommen und anstelle von Stoff eine Gummifolie verwendet, damit die Schale besser gereinigt werden kann.

 

Herr Prey, herzlichen Dank für dieses Gespräch.