Politica | Erfahrungsbericht

Testpflicht - ein Jahr danach

Pilotprojekt Nasenflügeltests an Schulen, ein Rückblick und Erfahrungsbericht aus einer etwas anderen Sicht, mit den ein oder anderen wahrgenommenen Eigenartigkeiten.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Nasenflügeltest
Foto: Sabes

Auszug aus einer Antwort-E-Mail vom 26.04.2021 an Verantwortungsträger:

„Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch betonen, dass wir Eltern in erster Linie das Beste für unsere Kinder möchten. Dies ist doch unsere Verantwortung gegenüber unseren Kindern, welche ja die schwächste Gesellschaftsschicht darstellen. Masken und Tests schaden unseren Kindern. Sollten diese Maßnahmen aufgrund einer Gefahr im Verzug notwendig sein, können wir diese auch verstehen. In unserer gegebenen Verantwortung als Eltern, müssen wir aber auch darauf bestehen, dass diese Gefahr im Verzug gut überwacht und immer nachvollziehbar begründet ist. Sollte das nicht mehr gegeben sein, müssen Maßnahmen auch beendet werden. Grundsätzlich möchten wir, dass alles nach Recht und Ordnung geschieht und Grundrechte für Kinder gewahrt werden. Ich hoffe alle Verantwortlichen haben dafür Verständnis."

Es ist jetzt ein Jahr her, als am 19.03.2021 die Testpflicht in Südtirols Schulen ab 7. April 2021 verordnet wurde.

Auf die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme möchte ich hier nicht weiter eingehen und für Interessierte auf meinen ersten Beitrag „Der Erfolg der Nasenflügeltests“ verweisen. In diesem habe ich versucht, den Erfolg aufgrund offizieller Zahlen aufzuzeigen und Verbesserungspotenziale zu äußern.

In diesem Beitrag soll es rein um die Art und Weise gehen, wie dieses sogenannte Pilotprojekt von den Verantwortlichen umgesetzt und wie rigoros daran festgehalten wurde.

Rechtlich schwierig umsetzbar

Von Anfang an war es ein schwieriges Unterfangen diese Testpflicht einzuführen. So hieß es noch am 11.03.21 auf Rainews.it: „Deshalb ist jetzt Gesundheitslandesrat Widmann vorgeprescht: In die Schule sollen nur jene Kinder dürfen, die sich auch testen lassen. Auch Achammer kann diesem Vorschlag einiges abgewinnen, gibt aber zu bedenken, dass dies rechtlich schwierig umsetzbar sei.“ Quelle

Die Umsetzung

Es wurde wohl ein Weg gefunden und so wurde am 19.03.2021 von Landeshauptmann Arno Kompatscher mit der Verordnung Nr.15 verordnet, dass der Präsenzunterricht ab 7.April nur mehr auf jene Schüler*innen beschränkt ist, welche sich am Projekt "Nasale Antigen-Selbsttests Sars-Cov-2 in Schulen“ beteiligen.

Skeptische Eltern

Nicht alle Eltern waren mit dieser Vorgehensweise einverstanden und waren enttäuscht, über die mangelnde Partizipation und Kompromissbereitschaft. Man befand sich in einer Zwickmühle, einerseits mochte man Kinder nicht durch zusätzliche Meinungsverschiedenheiten und Maßnahmen belasten, andererseits wollte man aber auch nicht einfach so freiwillig etwas zustimmen, von dem man nicht überzeugt war.

Dieser Druck erzeugte Widerstand und auch aufgrund der zusätzlich aufgeheizten medialen Berichterstattung, kam es zu unglücklichen Situationen in Familien, Schulen und der ganzen Gesellschaft.

Eine Vorgehensweise die damals wenig Beachtung fand, war die sachverhaltsbezogene Einwilligung. Einige Eltern gingen davon aus, wenn das von der Schule, vom Sanitätsbetrieb vorgelegte Einwilligungsformular unterschrieben dem Kind mitgegeben wird, dies als eine 100% freiwillige Teilnahme oder Ablehnung ausgelegt werden könnte. Aufgrund der Verordnung Nr. 15 war diese Teilnahme aber nicht mehr wirklich freiwillig.

Es bestand die Vermutung, dass dies die Überlegung der Verantwortlichen war, mit einer freiwilligen Einwilligung bzw. ausdrücklichen Zustimmung/Ablehnung, die rechtliche Legitimität und Sicherheit zu erreichen.

In dem Fall hätte dies bedeutet, je mehr eigene ausgeteilte Dokumente wieder eingesammelt würden, egal ob für oder dagegen, die rechtliche Sicherheit somit garantiert gewesen wäre. Diese Einwilligungen wurden von den Kindern übergeben, ohne irgendwelcher schriftlichen Empfangsbestätigung. Rückwirkend hätten Eltern also nichts in der Hand gehabt, um zu beweisen, dass die Teilnahme, aber auch die Ablehnung, eben nicht freiwillig erfolgte.

Die sachverhaltsbezogene Einwilligung

Von der Elterngruppe "Gemeinsam-Insieme-Adum" wurde eine zweisprachige, sachbezogene Einwilligung und Ablehnung formuliert:

Bezogen auf die Verordnung Nr. 15, wurde gegen die eigene Überzeugung, dem Pilotprojekt zugestimmt, damit das eigene Kind weiter am Präsenzunterricht teilnehmen durfte.

Diese nicht mehr freiwillige Einwilligung, wurde ab Samstag, den 10.04.21 von mehreren Eltern direkt per PEC-Email an den Sanitätsbetrieb gesendet, welcher für das Projekt verantwortlich war. Die Empfangsbestätigung und das Original wurde in der jeweiligen Schule abgegeben. Damit war eine willkürliche Falschauslegung bezüglich der Freiwilligkeit theoretisch nicht mehr möglich.

Nach meinem Wissen wurde diese Einwilligung ohne Reaktion eines Verantwortlichen akzeptiert und jene Schüler und Schülerinnen wurden bis zum Ende des Schuljahres, auch gegen die Überzeugung ihrer Eltern, trotzdem getestet.

Rückblickend stellt sich mir heute die Frage: “Wie konnte so ein Schreiben überhaupt als Einwilligung, also als freiwillige Teilnahme wie unter Punkt 2 zum Projektstart beschrieben, akzeptiert werden?“ Die Landesverordnung Nr.15 war kein Staatsgesetz und somit denke ich, kann vermutlich bezweifelt werden, ob diese Art der Teilnahme, im Sinne des Art.32 der italienischen Verfassung war.

Es ist mir nicht bekannt wie viele Eltern sich für diesen Weg entschieden haben, wie viele davon in Kenntnis waren und ob diese Vorgehensweise in irgendeiner Weise Einfluss auf weitere politische Entscheidungen nahm.

Die Unklarheiten

Nasenbohrertests standen auf der Kippe

Am Mittwoch, den 14.04.21 machte die italienische Direktion plötzlich einen Rückzieher und zog den Punkt 2, welcher sich auf die Freiwilligkeit und den Projektstart bezog, zurück.

„Gentili genitori, con riferimento alla circolare del Sovrintendente scolastico prot. N. 240992 del 29.03.2021 si comunica che è revocato con decorrenza immediata il Punto 2 Inizio del progetto:“ Test fai da te: la Sovrintendenza scolastica ritira la circolare - VB33 (video33.it)

Gab es etwa Zweifel zu der Rechtmäßigkeit der Landesverordnung Nr. 15? Hatte man Zweifel, ob diese noch weiter Gültigkeit hatte und ob diese vor Gericht noch Stand halten würde?

Verordnung Nr. 19 vom 16.04.2021

Am Freitag, den 16.04.2021 wurde schließlich die Verordnung Nr. 19 unterschrieben und somit weiter am Pilotprojekt festgehalten.

Darin wurde nochmals auf die Effizienz der Tests Bezug genommen:

„Die ersten Ergebnisse der Tests zeigen effektiv, dass bei insgesamt 372 Schulen, die bisher an diesem Projekt teilgenommen haben und 97.545 durchgeführten Tests im Rahmen der Nasenflügeltests 118 positive Fälle ermittelt wurden, 74 davon mit Molekulartest bestätigt (77,8%), 21 noch zu bestätigen“

Die abgeänderte Formulierung

Aber wieso wurde fast das Gleiche nochmals wie in der Verordnung Nr. 15 als zusätzliche Maßnahme verordnet? 

Eigenartig, die Formulierung hatte sich geändert: "ist" wurde in "welches" abgeändert.

Nach meinem Verständnis änderte sich damit auch die Aussagekraft: „Landeshauptmann verordnet... Unterricht ist beschränkt“ in „Landeshauptmann verordnet... Pilotprojekt welches den Unterricht beschränkt“.

Wer beschränkte denn nun das Recht auf Bildung?

Ich war damals verwirrt über diese Umformulierung und wollte darüber Klarheit haben. Deshalb informierte ich am 20.04.2021 Frau Falkensteiner und bat am 22.04.2021 Landeshauptmann Arno Kompatscher um eine Klarstellung:

„Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, würde ich Sie bitten, mir schriftlich folgendes zu bestätigen: Mit der Verordnung Nr. 19 vom 16.04.2021, hat sich der Sachverhalt aufgrund der Verordnung Nr.15 vom 19.03.2021 nicht verändert und es wird vom Landeshauptmann weiterhin verordnet, dass der Präsenzunterricht auf jene Schülerinnen und Schüler beschränkt ist, welche sich am Pilotprojekt zum Monitoring der Verbreitung der SARS-CoV-2-Infektion unter der Südtiroler Schulbevölkerung beteiligen und sich damit dem Screening- und Testprogramm unterziehen.“ 

Am 26.04.21 erhielt ich eine Antwort von Herrn Achammer:

„es ist weiterhin so und unbestritten, dass nur jene Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht teilnehmen, welche sich dem wöchentlichen Screening unterziehen.“

Als eindeutige Klarstellung interpretierte ich das nicht, da bewusst oder unbewusst, das Wort „dürfen“, also „teilnehmen dürfen“ fehlte. Ich bat also nochmals um eine schriftliche Klarstellung, erhielt aber daraufhin keine Antwort mehr.

Am 30.04. erhielt ich die Antwort von Frau Falkensteiner: 

“In der Tat enthält der erste Teil der Regelung zum Pilotprojekt des Südtiroler Sanitätsbetriebes laut Dringlichkeitsmaßnahme des Landeshauptmanns Nr. 19/2021 eine etwas abgewandelte Formulierung; allerdings hat der zweite Teil dieser Regelung in der Dringlichkeitsmaßnahme des Landeshauptmanns bei Gefahr im Verzug Nr. 19/2021 denselben Wortlaut wie die Dringlichkeitsmaßnahme des Landeshauptmanns Nr. 15/2021: „Für jene Schülerinnen und Schüler, die sich nicht am genannten Monitoring- und Testprogramm beteiligen, werden die didaktischen und schulischen Aktivitäten über den integrierten Fernunterricht fortgeführt.“  Daher bleibt bei der Interpretation der beiden Diktionen in den Dringlichkeitsmaßnahmen kein Ermessensspielraum; Schülerinnen und Schüler, die sich dem Screening unterziehen, dürfen am Präsenzunterricht teilnehmen; alle anderen Schülerinnen und Schüler müssen ihre Schul- und Bildungspflicht im Fernunterricht erfüllen.“

Trotzdem war für mich immer noch nicht geklärt, wer den Präsenzunterricht nun beschränkte und ob sich der Sachverhalt nun mit der Verordnung Nr. 19 diesbezüglich geändert hatte.

Am 05.05.2021 wendete ich mich schließlich an die Kinder- und Jugendanwaltschaft. Es folgte ein kurzes Telefonat mit einem Mitarbeiter, in dem man sich kurz austauschte.

Die Landtagsanfragen

In drei Landtagsanfragen wurde bzgl. Gesetzmäßigkeit dreimal die gleiche Frage gestellt:

„Auf welchen wissenschaftlichen, medizinischen und gesetzlichen Quellen und Dokumentationen basiert die Vorschrift, Schüler, die sich nicht dem sogenannten Nasenbohrertest unterziehen, vom Präsenzunterricht auszuschließen? Es wird um Übermittlung dieser Quellen und Dokumentationen ersucht.“

Antwort 1 vom 03.05.2021

www2.landtag-bz.org/documenti_pdf/idap_624273.pdf

„Die Bestimmungen zu den Nasenflügeltests laut Dringlichkeitsmaßnahme Nr. 15/2021 sind nicht gesetzeswidrig und bleiben somit aufrecht.“

Antwort 2 vom 18.05.2021

http://www2.landtag-bz.org/documenti_pdf/idap_624757.pdf

„Die Bestimmungen zu den Nasenflügeltests laut Dringlichkeitsmaßnahme Nr. 15/2021 sind nicht gesetzeswidrig und bleiben somit aufrecht, bis sie abgeändert bzw. aufgehoben werden.

Wurden die Bestimmungen laut Dringlichkeitsmaßnahme Nr. 15/2021 mit der Verordnung Nr. 19 abgeändert? Eine Antwort bezüglich unmissverständlicher Klarstellung hatte ich leider immer noch nicht erhalten.

Aufgrund dieser Überlegung habe ich am 24.05.21 die Anfragesteller, mit zur Kenntnis aller Landtagsabgeordneten und der Kinder- und Jugendanwaltschaft, per E-Mail darauf aufmerksam gemacht.

Am 8.6.21 meldete sich nochmals der Mitarbeiter von der Kinder- und Jugendanwaltschaft, um sich zu erkundigen, ob das Thema aufgrund vom Schul- und Projektende noch aktuell ist. Für mich war es weiterhin aktuell und ich sollte mich melden, falls es Neuigkeiten gäbe. Ein weiterer Kontakt fand seitdem nicht mehr statt.

Antwort 3 vom 22.07.21

http://www2.landtag-bz.org/documenti_pdf/idap_626034.pdf

Auf den Satz „Die Bestimmungen… sind nicht gesetzeswidrig“ wurde nun gänzlich verzichtet.

In allen drei Antworten wurde die Verordnung Nr. 19 nie zur Begründung der Gesetzmäßigkeit erwähnt, obwohl in allen darauffolgenden Verordnungen Nr.20/Nr.23, nur mehr auf diese Verordnung Nr. 19 Bezug genommen wurde.

Von italienischer Seite ist mir nur eine Antwort bezüglich Gesetzmäßigkeit bekannt. Darin wird das einzige Mal auf die Verordnung Nr. 19 vom 16. April verwiesen. http://www2.landtag-bz.org/documenti_pdf/idap_625314.pdf

"Ad 12: Considerato che la della Provincia autonoma di Bolzano pur avendo competenze secondarie sull’istruzione scolastica, non segue quanto legiferato nel decreto legislativo n. 44 del 1° aprile, quali si ritenga che siano i campi di competenza della Provincia e quali quello dello Stato Italiano nell’ambito scolastico.

Si ritiene che quanto stabilito dall’Ordinanza presidenziale n. 19 del 16. Aprile 2021 sia in linea con le disposizioni nazionali."

Ob es sich bei den von mir wahrgenommen Eigenartigkeiten um reine Zufälle handelt, kann ich nicht beurteilen. Ebenso wenig kann ich beurteilen, weshalb mir nie eine unmissverständliche Klarstellung zu meinen Bedenken gegeben wurde.

Rückwirkend muss man sich wohl die Frage stellen, ob das alles sein musste. Ich persönlich zweifle mittlerweile, ob es nicht auch ein Pilotprojekt im psychologischem Sinne war: "Wie erreicht man mit psychologischem Druck, eine hohe freiwillige Beteiligung." Wie wir heute wissen, war diese Herangehensweise nur der Anfang, Mitmenschen unserer Gesellschaft, etwas "freiwillig" aufzuzwingen und die Gesellschaft somit in zwei Lager zu spalten. In dieser Hinsicht war dieses Pilotprojekt wohl ein voller Erfolg.

Ein Jahr danach

Ein Jahr danach sitzen die Schüler und Schülerinnen noch immer mit Maske und "freiwilligem" Nasenflügeltest in der Klasse. Schüler und Schülerinnen wird zudem in bestimmten Fällen, eine FFP2-Maske vorgeschrieben, obwohl bei dieser Art von Masken, die nötige Zertifizierung für Kinder nicht gänzlich geklärt ist. Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren ohne 2G-Nachweis, müssen immer noch diskriminierende Einschränkungen in Kauf nehmen und ihnen werden damit sogar die sportlichen Vereinstätigkeiten im Freien untersagt.

Lockerungen sind jetzt zwar in Sicht, aber ich persönlich habe den Eindruck, dass diese Lockerungen bei Kindern und Jugendlichen nicht als prioritär angesehen werden.

Welche Gefahr im Verzug geht von den Kindern noch aus und ist diese noch nachvollziehbar begründet?

Wenn diese Gefahr im Verzug nicht mehr begründbar ist, wenn es keinen Notstand mehr gibt, dann darf es nach meiner Meinung, auch keine Maßnahmen an Kindern mehr geben.

Welchen Stellenwert hat das Kindeswohl in unserer Gesellschaft, wenn wir bestehende Maßnahmen nicht hinterfragen und gegebenenfalls Lockerungen einfordern?

„Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutlicher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht. Unser Erfolg muss am Glück und Wohlergehen unserer Kinder gemessen werden, die in einer jeden Gesellschaft zugleich die verwundbarsten Bürger und deren größter Reichtum sind.“  Nelson Mandela