Cultura | Salto Gespräch

„Lieber bei Begräbnissen als Hochzeiten“

Naked Lunch- und erfolgreicher „Winterreise“-Sänger Oliver Welter spricht offen über Genres, Hoch- und Popkultur und einen Winter, der keiner ist.
Oliver Welter
Foto: Ingo Pertramer
Oliver Welter, musikalischer Autodidakt, sowie Kopf und Herz der Klagenfurter Kult-Band Naked Lunch, die unter anderem den Amadeus Alternative Award als beste Band erhalten hat, ist heute in Bozen anzutreffen. Zu seinem Gesang und Gitarrenspiel stößt auf der Bühne mit Stimme und Klavier Clara Frühstück, welche in der Klassik, in Neuer- und Performance-Musik, sowie darüber hinaus aktiv ist. Gemeinsam haben die beiden Franz Schuberts „Winterreise“ (nach 24 Gedichten von Wilhelm Müller) in ein neues, melancholisches Alternative-Pop-Gewand gekleidet, in welchem die Akademietheater-Produktion seit dem Sommer 2021 tourt und heute Abend, 18 Uhr, im Studio Theater das Opernprogramm der Stiftung Haydn eröffnet. Auch ist die Welter-Frühstück-Version der „Winterreise“ bei col legno als CD erschienen. Aber machen Sie sich selbst ein Bild mit Auszügen und Statements des Premierenpublikums:
 

 
Salto.bz: Herr Welter, wie kam es dazu, dass Sie sich mit Clara Frühstück an die „Winterreise“ machten?
 
Oliver Welter: Dazu kam es durch die Zusammenführung eines gemeinsamen Freundes, des legendären Österreichischen Radio-DJs und Denkers Fritz Ostermayer, der jahrelang mit mir - und ich mit ihm - sehr gut befreundet war. Auch Clara Frühstück gehört zu seinem Freundeskreis und wir haben unabhängig voneinander sehr viel mit ihm gearbeitet. Er ist ein sehr großer Fan von dem, was ich getan habe und ist mir jahrelang in den Ohren gelegen, ich solle irgendwann mal was klassisches singen. Ich habe da große Scheu davor, weil ich mit diesem klassischen Schöngesang nichts anfangen kann, weil er für mich wahnsinnig elitär-abgehoben klingt.
Das ist ganz einfach festzumachen, dass ich klassischen Sängern zuhören mag, aber die Texte nicht verstehe, was mir sehr unsinnig scheint. Daher hat uns Ostermayer zusammengebracht und innerhalb weniger Stunden war klar, dass wir die selben musikalischen und lebenstechnischen Codes teilen. Gerade für eine „Klassikerin“ ist Clara Frühstück extrem breit aufgestellt und sie ist sowohl im Amerikanischen Lo-Fi Pop zuhause, wie auch in Extremspielarten, die ich sehr mag, wie extremem Metal. Wir haben uns dann überlegt, was wir zusammen machen könnten und uns auf diesen vielleicht bekanntesten und eindrucksvollsten Liederzyklus der Klassik geeinigten.
 
Das sind allgemeingültig Sätze, vor allem der allererste, dieses „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“, mit dem der Liederzyklus beginnt, das kann man auf jeden Grabstein schreiben.
 
Wenn Sie davon sprechen, dass Sie die Texte nicht verstehen, war das dann akustisch der Fall, oder ging das darüber hinaus? Gerade die „Winterreise“ ist sprachlich sehr klar im Gesang, da ist keine Barriere, wie sie etwa beim Operngesang da wäre…
 
Das meine ich nicht. Auf der textlichen oder inhaltlichen Ebene plättet mich die Musik auch, weil sie wahnsinnig gut ist. Das sind allgemeingültig Sätze, vor allem der allererste, dieses „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“, mit dem der Liederzyklus beginnt, das kann man auf jeden Grabstein schreiben. Das passt für unser aller Leben, in einer großen, philosophischen Dimension. Damit habe ich kein Problem. Ich habe einfach diese klassische Sprachverständlichkeit: Ich weiß nicht was ein Tenor oder eine Sopranistin mir da vorsingt.
Insofern verstehe ich diesen klassischen Schöngesang eben nicht. Das ist das Problem, das ich  grundsätzlich mit Klassik habe und ich meine nicht sinfonische Werke, sondern das, was Sprache betrifft. Da ist die Oper etwas außen vor, weil sie eine für sich stehende Kunstgattung ist, die von der Übertreibung lebt: Die muss so sein. Aber diese Lieder von Franz Schubert sind meines Erachtens nach eher Volkslieder als dass sie Klassik sind. Ich bin der Meinung, dass man das auf jedem Jahrmarkt verstehen kann und eben nicht nur, wenn man sich eine Karte für das Wiener Konzerthaus kauft.
 
 
Sie haben in Bezug auf Clara Frühstück angesprochen, dass Ihnen auch Extrem-Metal-Spielarten liegen. Wie kommt es, dass Sie da eher den Zugang finden und sehen Sie vielleicht auch Parallelen zwischen Metal und eurer Version der „Winterreise“? Es gibt textliche Ähnlichkeiten und eine gewisse Trostlosigkeit, im Genre Metal und im Werk, wo Ihr sie etwas brecht. Eure Version scheint mir hoffnungsvoller.
 
Das ist sehr schön, das wird uns auch von großen Schubertianern attestiert. Wir haben die Freude, dass uns die doch sehr strenge Klassikpolizei auch mag und deswegen spielen wir auch an diesen doch für mich sehr ungewohnten Orten. Ich kenne die Rock- und Popclubs Europas, aber diese Sinfonie-Säle und Opernhäuser sind mir neu. Da war die Sorge da, wie das rezipiert wird, zum einen, zum anderen ist es schön, dass sie unsere Version hoffnungsvoller finden.
Was die Extremspielarten anbelangt, so bin ich schon etwas älter und bin in ganz, ganz jungen Jahren mit dem Aufkommen von Death Metal und Grindcore aufgewachsen und habe mich wahnsinnig verliebt, weil ich immer schon zu Extremformen der Musik tendiert habe, als Fan. Da war mir das Textverständnis vollkommen egal und ich weiß in den Grundzügen, worum es da geht. Ich war gerade vor vier Wochen - und das ist vielleicht extremes Nerdtum - in Wien bei Napalm Death, die ich schon mehrmals gesehen habe und deren Texte ich bis heute nicht verstehe, aber das ist vollkommen egal, weil es um den grundsätzlichen Gestus geht. Der ist zum Teil, aber nicht immer, selbstzerstörerisch und nihilistisch. Das ist pure Wut und zum Teil Hass und es geht eigentlich um die Energie, die mir sehr gut gefällt.
 
Gerade Winter und Tod sind beliebte Sujets im Metal…
 
Auf alle Fälle. (lacht) Das wäre auch verrückt, wenn sich gerade Extremformen des Metal mit dem Sommer beschäftigen würden. Das ginge sich nicht aus, dafür gibt es anderes. Das stimmt schon, es ist grundsätzlich nicht so weit entfernt von einem so düsteren Werk wie der „Winterreise“, auch in seinem nihilistischen Zugang. Wieder ein spezielles Nerd-Detail: Ich spiele eine sehr stark effektierte Gitarre bei der „Winterreise“, mit einem sehr bösen Verzerrer, den ich eigentlich, mit Naked Lunch und in meinem anderen Schaffen, seit 15 Jahren eliminiert habe, aber bei der „Winterreise“ wieder ausgepackt habe. Das schien mir dabei richtig, zwei, drei Mal wieder solche Sounds abzufahren, die genreübergreifend sind und wo anders hin deuten könnten. Wie Sie sagen, es gibt viele Parallelen.
 
Bevor man etwas dekonstruiert, wie wir das gemacht haben, muss zuerst einmal die Konstruktion erfolgen.  So ist unser Zugang gewesen.
 
Wenn wir etwas weiter als 15 Jahre zurück gehen, nach 2004, dann sind wir beim Naked Lunch Album „Songs for the Exhausted“, in welchem Sie sich auch sehr persönlich und besonders im Song „King George“ mit dem Tod auseinandergesetzt haben. War für Sie bei der „Winterreise“ ein ähnliches Moment in der Begegnung mit dem Tod da, oder war das unpersönlicher?
 
Der Tod und alles was damit zu tun hat ist ein sehr zentraler Bestandteil meines Lebens und ich bin sehr früh mit Tod und Verlust konfrontiert worden; damals auch, bei „Songs for the Exhausted“, dieser unvermittelte Tod meines damaligen besten Freundes, Georg, der anfänglich auch Bassist von Naked Lunch war. Er hat sich, man muss fast sagen erstaunlicherweise, schon mit 33 Jahren zu Tode getrunken hat. Das ist mir sehr zu Herzen gegangen, kam wahnsinnig nah an mich heran. Da gibt es ein, zwei Stücke, vor allem dieses „King George“, welches explizit auf den Menschen hinweist. So etwas Konkretes hatte ich bei der „Winterreise“ nicht, aber es ist etwas, das mich mein ganzes Leben lang begleitet. Grundsätzlich ist mein Wesen auch nicht das hoffnungsfrohste und ich bevorzuge eigentlich auch den Winter gegenüber dem Sommer, um das ganz einfach zu sagen. Nicht was die Temperatur betrifft, sondern in Bezug auf alles andere. Insofern brauche ich da nichts Neues, was dazu kommt.
Ich habe viele Monate gebraucht um da rein zu kommen, in diese „Winterreise“, weil die klassischen Vorgaben so hoch waren. Bevor man etwas dekonstruiert, wie wir das gemacht haben, muss zuerst einmal die Konstruktion erfolgen.  So ist unser Zugang gewesen. Da habe ich, zuerst versucht das Werk klassisch anzugehen und zu interpretieren, das ist mir irgendwie nicht geglückt und da hat mir ein sehr gut befreundeter Musikdramaturg aus Deutschland - der leider verstorben ist, das hat aber damit nichts zu tun - geraten, ich solle die Musik einmal vergessen und nur über den Text rein gehen. Da habe ich mich explizit mit den 24 Gedichten dieses Wilhelm Müller beschäftigt und da ist mir das Werk wirklich nahe gekommen. Er ist fatalistisch und nihilistisch und das hat für mich dann alles geöffnet.
 
 
Sie haben angesprochen, dass Ihnen der Winter mehr liegt als der Sommer. Nun ist es so, dass man in der Regel im Winter häufiger in negative Gedankenspiralen kommt als im Sommer. Ist bei Ihnen irgendwo auch eine gewisse Freude an der Traurigkeit gegeben?
 
Gar nicht. Ich habe da ein wenig übertrieben und meinte das eher als Metapher, für das, was mir näher ist. Ich habe eine recht große Plattensammlung und die freudvollen, glücklichen Platten sind da relativ bescheiden, außer ich spreche von einem großen Werk, wie dem der Beatles, die mehr oder weniger alles abgedeckt haben. Ansonsten ist mir Musik, die große Formen der Trauer, der Melancholie und Schwermut zulässt viel näher als das Gegenteil. Im menschlichen Tun ist mir dieser Winter näher als der Sommer. Menschen, die einen Hang dazu haben, wie ich ihn auch habe, sind mir explizit sympathischer als die anderen, die Sommerkinder.
 
Wie kam man von 24 Liedern zu den 20 Tracks des Albums/Projekts?
 
Die sind nicht weggefallen, wir haben drei, vier geclustert, haben also zwei, drei Lieder zu einem zusammengefügt. Nun muss man sagen, das waren die Lieder mit denen ich am wenigsten anfangen konnte, Clara zum Teil auch. Wir haben versucht, sie zu kombinieren und nur noch ein, zwei Textzeilen zu nehmen aus diesen Stücken und die zu verbinden. Das heißt, wir behandeln alle 24 Lieder, aber zum Teil sind sie zusammengeschrumpft und haben sich gepaart.
 
Wir sind zweimal mit Universal ins Bett gegangen und da müssen wir nicht mehr rein.
 
Wie geht es Ihnen mit dem Genre-Begriff „Indie“? Gerade mit Naked Lunch haben Sie in den 2000ern bei Unterlabels von Universal veröffentlicht, was der ursprünglichen Bedeutung von „Indie“ genau gegenläufig ist…
 
Ist es. Aber die Schaffenden können für das Einordnen nichts. Wenn es nach mir ginge würde man das einfach Pop nennen, im weitesten Sinne. Das braucht es einfach: Wenn Sie heute auf Spotify gehen und da Einteilungen und Vorschläge gemacht werden, dann muss Musik da irgendwo hinein passen. Wenn man The Notwist anhört, dann wird einem Naked Lunch empfohlen, weil es in eine ähnliche Kerbe schlägt - oder auch nicht. Den Bands, die ich kenne ist das scheißegal. Es sind die Labels, die das brauchen. Wir sind zweimal mit Universal ins Bett gegangen und da müssen wir nicht mehr rein.
 
Zu den letzten Single Veröffentlichungen von Naked Lunch liest man bei Tapete Records: „Die dritte große Schaffensperiode von Naked Lunch ist hiermit endgültig und offiziell eingeläutet.“ Darf man noch auf ein neues Naked Lunch Album hoffen?
 
Ich hoffe selbst. Es gab einige Weichenumstellungen in der Band, das heißt, Bandmitglieder haben uns verlassen und das ist auch okay, wenn man so lange zusammen ist. Ich will unbedingt noch eine Platte machen und bin dabei zu schreiben, nachdem ich während Corona - wie alle, irgendwie - geschrieben habe. Aber ich möchte nicht explizit eine Corona-Platte herausbringen, deswegen ließ ich es wieder sein und schreibe ein neues Album. Die „dritte Schaffensperiode“ wird aber sicher an die zweite anknüpfen und man darf sich von Naked Lunch kein Reggae Album erwarten. Es gibt auf alle Fälle noch eines, das ist eine persönliche Aufgabe, denn ich kann die Band nicht nach so vielen Jahren einschlafen lassen mit einem „Singles-Best-Off“. Das macht man vielleicht im Schlager, aber wir machen das nicht so.
 
Wären für Sie noch andere Genre-Exkursionen denkbar? Was wäre für Sie spannend?
 
Vieles. Ich habe ja auch schon mit vielen Leuten zusammengearbeitet und es war zum Teil auch spannend mit zwei, drei Extrem-Elektronikern zu arbeiten. Das ist zum Teil aber auch etwas schwierig, weil es oft eine komische Kunstschiene bedient, die entspannter wird. Ich mag aber das Anstrengendere daran, gerade wenn es um elektronische Musik geht. Da gäbe es einige Musiker aus Amerika, wie Stephen O’Malley von Sunn O))), so etwas würde mir gefallen.
 
 
 
In Ihrem Schaffen - auch abseits der Band - finden sich immer wieder auch Film- und Theaterproduktionen, so auch Ihr letztes Projekt in Südtirol. Sie haben für die VBB-Produktion „Die Affäre Rue de Lourcine“, ein Lustspiel, die Musik gestaltet. Was ist Ihnen von dieser Zusammenarbeit kurz vor Corona in Erinnerung geblieben?
 
Erstens mal, dass ich die Zeit in Bozen sehr genossen habe. Es ist eine wahnsinnig schöne Gegend, muss man sagen, auch wenn ich nicht jeden Tag die zwei Milliarden Touristen brauche, die dort sind. Es war ein entspanntes Arbeiten. Als der Regisseur, Thomas Gratzer, der beim Wiener Rabenhof Theater Intendant ist mich gefragt hat, ob ich ein Lustspiel vertonen möchte, da habe ich ihm erstmal den Vogel gezeigt und gefragt: wieso?
Das ist ein Genre, das ich mag, wenn es wirklich lustig ist. Ich schaue mir auch gern Komödien und Klamauk an und bin ein großer Fan des schlechten Humors. Ich wurde schon vieles gefragt, werde aber als Musiker lieber bei Begräbnissen als Hochzeiten eingeladen. Insofern war das fast schon absurd für mich, hat mir aber Spaß gemacht, genau aus dieser Absurdität heraus: zu sagen, man nimmt Oliver Welter, der lieber Requiem schreibt als für ein Lustspiel. Aber ich muss das nicht jeden Tag machen.
 
Das Projekt „Winterreise“ ist bereits seit 2021 zu sehen. Denken Sie, Sie haben irgendwann das Gefühl sich an den Texten abgearbeitet zu haben?
 
Der Moment ist noch nicht gekommen. Es macht mir wahnsinnig viel Spaß, weil wir auf einem total neuen Terrain spielen. Wir sind offiziell eine Burgtheater-Produktion und spielen immer wieder im zweiten Haus des Burgtheaters, im Akademietheater in Wien und haben immer viele Leute dort. Es ist schön, ein Teil davon zu sein. Uns hat auch der Burgtheaterdirektor vom Fleck weg „gekauft“ und wollte uns ungehört - weil er großer Naked Lunch Fan ist - in seinem Haus haben. In diesem Bereich gefällt es mir, auch wenn ich die Klassikszene nicht jeden Tag um mich brauche. Aber sie sind sehr gut zu uns und die „Winterreise“ ist eben erfolgreich. Es kommen immer mehr Shows dazu, im In- und Ausland. Wir spielen morgen in Rom (Anm. d. Red.: Freitag, 17. März), auch wenn wir das nicht sagen dürfen, weil man in Bozen die Italienpremiere haben wollte. Das ist a biserl vertrottelt, aber das ist halt so. Wir waren gerade in Rumänien und kommen herum und das macht Spaß. Das ist noch nicht vorbei und ich schätze schon, dass wir das noch ein bis drei Jahre machen werden.
 
Es driftet immer weiter auseinander und die Salzburger Festspiele erhalten immer mehr Geld und der kleine Club in Innsbruck, die p.m.k., immer weniger.
 
Sie haben es angesprochen, Sie haben die Klassikszene um sich herum und da sind wieder die Genres die zuschlagen. Ärgert es Sie, dass durch die Aura der „Klassik“ Leute abgeschreckt werden, die sonst einen Zugang zum Text fänden und merken, dass es um Universelles geht?
 
Da geht es nicht nur um die musikalische Darbietung, sondern auch darum, wie sich Klassik immer schon gesehen hat. Das war ja auch immer schon ein elitärer Bereich. Vordergründig wurde für Könige und Kaiser komponiert und die Oper war eine Form des Pops. Man hat da Bedingungen gestellt und das geht ja immer auch alles wahnsinnig toll aus. Die Niederlagen im Laufe eines Opernabends werden aufgelöst, weil die honorigen Häupter damals nicht wollten, dass sie nach der Vorstellung schlecht gelaunt sind. Das zieht sich so dahin und man zahlt eben 350 Euro, wenn man eine schöne Karte in der Staatsoper haben will. Man kann mit ganz billigem Geld auch stehen, aber das ist ein wahnsinnig illustrer Kreis.
Da ist die Klassik eben auch wahnsinnig hoch subventioniert. Soll sie auch sein, aber im Gegenzug kenne ich viele kleine Indie-Clubs, die wie-auch-immer leben, oder die Alternative-Szene, die vor sich hin darbt. Da entsteht ein immer größeres, wirtschaftliches und ideologisches Loch. Das treibt einen großen Keil in diese Szene und es scheint auch kein Interesse in diesen hoch subventionierten Bereichen da zu sein, dass man das irgendwie schließt. Es driftet immer weiter auseinander und die Salzburger Festspiele erhalten immer mehr Geld und der kleine Club in Innsbruck, die p.m.k., immer weniger.
Ich kenne mich zu wenig aus in Südtirol, aber im Theater ist es dasselbe, man hat zu lange drauf gschissen, dass junges Publikum reinkommt. Man saß wie die Made im Speck und dachte, das geht immer weiter. Jetzt stehen sie da und haben einen extremen Publikumsschwund und jeder, der zwei Tage bei Netflix war, will nicht mehr ins Theater gehen. Das verstehe ich auch voll, die haben sich auch nicht bemüht darum, bis auf große Zentren wie Berlin, wo es auch andere Formen des Musiktheaters und Theaters gibt - dann gibt es auch entsprechendes Publikum dafür. Ansonsten ist das ein großes Theatersterben und die großen Opernhäuser und Klassikhäuser sind so stark subventioniert, dass es ihnen eigentlich egal sein kann. Das ist ihnen auch egal, ob da jetzt mehr Publikum kommt oder nicht. Das brauchen sie nicht.
 
 
Würde Sie die Winterreise auch in solchen kleinen Clubs reizen? Wäre für Sie die Winterreise in der p.m.k. denkbar?
 
Voll. Wir haben zwei Agenturen, eine bemüht sich um die Klassik und eine, die hat Acts und Bands, die auch in genau diesen Bereichen spielen. Wir haben es auch ein paar mal so gemacht. Nicht so klein wie die p.m.k., aber der Anspruch für uns war immer, dass das dort auch immer funktionieren soll. Ich komme von dort und die Clara von wo anders. Die Schnittmenge ist beides.
 
Da spielt man mal eineinhalb Stunden vor sich hin und es ist mucksmäuschenstill, auch wenn es allen wahnsinnig gefällt, weil das macht man halt nicht und man applaudiert eben am Ende.
 
Was passiert bei der „Winterreise“ wenn Sie nicht bestuhlt ist? Wird dabei getanzt und sich bewegt, oder ist das dann doch eine stille, kontemplative Veranstaltung?
 
Grundsätzlich ist es als stille, kontemplative Veranstaltung gedacht und ich weiß nicht, was passiert, wenn Leute nicht sitzen. Wenn wir in „kleineren“ Clubs gespielt haben, wie ich sie kenne, dann ist das immer auch bestuhlt worden, aber ich denke das muss fast sein. Es ist so hochkonzentriert und so still, zum Teil.
Es ist auch vielleicht noch nett zu erwähnen, dass wir im Vorfeld darüber gesprochen haben, ob wir das wollen, dass Leute zwischen den Songs - wir nennen es auch Songs - applaudieren, wie ich es gewohnt bin, oder eben nicht, wie es Clara gewohnt ist. Ich wollte auf keinem Fall, dass wir das unterbinden oder in irgendeiner Form untersagen und Clara wollte das eigentlich gerne, dass geklatscht wird oder Stimmung aufkommt, weil sie das aus der Klassik überhaupt nicht kennt. Da spielt man mal eineinhalb Stunden vor sich hin und es ist mucksmäuschenstill, auch wenn es allen wahnsinnig gefällt, weil das macht man halt nicht und man applaudiert eben am Ende. Das ist der Lohn unseres Tuns, neben der konkreten Gage, dass Leute johlen und applaudieren. Aber wir versuchen es so konzentriert zu machen, dass sie gar nicht dazu kommen, mit fließenden Übergängen. Wir müssen das noch 50 mal spielen und mental noch ein paar Türen öffnen, dass sich das ausgehen könnte, mit einem stehenden Publikum. Aber noch geht sich das nicht aus.