Cultura | Kommentar

„Menschen unter 30…“

Humor ist es, auch wenn man nicht lacht. Was mir der Kabarett-Abend „Sittenstrolch“ von Mathias Tretter mitgibt, bei welchem ich mich außerhalb der Zielgruppe befand.
Mathias Tretter
Foto: Ernst Müller
Zugegeben, ich bin weniger als einen Monat von meinem runden Geburtstag entfernt, aber den Altersschnitt im Publikum hätte ich auf knapp das doppelte der 30er-Marke geschätzt. Zu der Eröffnungs-Vorstellung der Meraner Kabarett Tage war ich aus Neugier nach einer vielversprechenden Kurzbeschreibung gestoßen, als Fan von hintergründigem Lachen (welches der Abend bot). Ich kann dennoch nicht behaupten, den Abend genossen zu haben und will im folgenden versuchen meine Gründe für diese subjektive Empfindung offen zu legen, weswegen im folgenden keine Rezension zu lesen ist.
Das Fazit vorweg: Es waren zahlreiche „Mikro-Aggressionen“ gegenüber am Abend abwesenden Gruppen. Nicht, dass ich das Lachen auf Kosten anderer im Kontext Kabarett kategorisch ablehnen würde, im Gegenteil: Ich bin auf gedanklicher Ebene der festen Überzeugung, dass eine Gruppe von Menschen jedweder Art festzulegen, über welche nicht gelacht werden darf eine Form der Ausgrenzung ist. Wenn wir uns alle nicht zu ernst nehmen, dann kann Humor ein wertvolles Schmiermittel gegen soziale Reibungen sein.
Mathias Tretter, Franke und selbstbekennender „alter, weißer Mann“ (mit nur 51) wird im Sommer 2023 den begehrten Salzburger Stier erhalten und präsentierte Humor der durchaus hintergründig war und zwischen Pointe und Lachern gern einmal ein, zwei Sekunden Bedenkzeit einplante. Nach kurzen obligatorischen Erklärungen zweier in Deutschland geläufiger Konzepte - „Chef-Virologe“ Christian Drosten und der vor meiner Geburt vom Presseclub abgelösten Sendung „Der internationale Frühschoppen“ - begann es aus meiner Warte vielversprechend mit lokalen Anknüpfungspunkten. Zum einen an das internationale Flair von „Merano, Alto Adige“, das auf einmal „ganz weit im Süden“ gelegen sei, wenn es darum geht die eigene Bühnentour mondäner erscheinen zu lassen. Und dann lässt Tretter auch die aus bundesdeutscher Sicht brillante Formulierung „linguistischer Behindertenparkplatz“ für Südtirol vom Stapel.
Sehr bald gehts gegen Klimakleber der letzten Generation „Nele und Jasper“ und es beginnt ein Othering, eine gemeinsame Abgrenzung von den Generationen Y und Z, Hipstern, Klimaaktivisten, implizit gegen Vegetarier („Abstillen? Das hieß bei uns damals Anwursten“), Befürwortern gender-gerechter Sprache und weiteren, die Schwerpunktthemen des Abends sein sollten. Das funktionierte dabei ausgesprochen gut, da sich niemand im Saal angegriffen fühlte. Das ganze wird dabei natürlich humoristisch so weit überspitzt, dass man es als Ganzes nicht mehr ernst nehmen kann, aber wenn die gefühlte Mehrheit der Witze gegen Gruppierungen geht, denen ich mich zugehörig fühle oder denen ich mit Sympathien bzw. Verständnis gegenüberstehe, so fällt es schwer in Stimmung zu kommen.
 
 
Da bin noch nicht mal ich gemeint, sondern eine grobe Pauschalisierung und verzerrte Vorstellung dessen, was diese Gruppen in den Köpfen der von ihren 20ern weit entfernten Personen zu sein scheinen. Sonst hätte ich zumindest über mich selber lachen können. Tretter gelang dies bei sich selbst, er ging nicht nur mit der eigenen dörflichen Kindheits- und Jugendumgebung gleich hart ins Gericht (wenn auch weniger ausgiebig als mit den Millennials), wie auch mit sich selbst, da und dort. Die Aneignung eines negativ konnotierten Begriffs wie „alter, weißer Mann“ ist dabei aber keine (humorvolle) Abwertung, sondern ein Akt der Ermächtigung. Analog könnte man es zur Übername des leider noch immer negativ benutzten Begriffes „schwul“ als Selbstbezeichnung sehen.
Auch beim Themenblock psychischer Gesundheit bediente Tretter eher die Auffassungen einer Generation, die sich damit in der Regel nicht aktiv beschäftigt und lässt sich lieber über den Begriff der „Mikro-Aggression“ aus, als Verständnis dafür offen zu legen, dass es hier nicht um ein Einzelereignis, sondern um viele - ja, kleine - aber sich summierende Begebenheiten geht.
Wenn auch beim Seitendialog mit seinem, fiktiven oder realen, definitiv aber übergespitzten, Freund Ansgar - Philosophieprofessor (mit einer 16tel Stelle an der Uni) und Ex-Kiffer, der den klischeehaften Sprachduktus beibehielt - immer wieder ein Lacher für mich dabei war, reichte mir das persönlich nicht, auch wenn gerade in diesem Austausch Tretter das Publikum schwindlig quatschte. Auch präsentierte Tretter die mit Abstand beste Fortführung des Satzes „Ich bin kein Rassist, aber...“, welche denkbar scheint, wodurch der Abend durchaus Höhepunkte aufwies.
Es ist bei gutem Kabarett aber so, wie bei Mikro-Aggressionen: Es summiert sich, viele kleine Lacher arbeiten auf einen großen hin, bis man sich wie die Dame in der Reihe vor mir weg biegt vor Lachen, wenn beim FKK-Grillen auf einmal elf, statt den gekauften zehn Würsten, am Rost liegen. Vergeht zwischen den Lachern zu viel Zeit, so kehrt man, auch wenn man sich um Neutralität und Offenheit für den nächsten Chinesenwitz bemüht, maximal auf eine neutrale Grundstimmung zurück. Gelacht wurde gestern Abend im Stadttheater jedenfalls fast ausschließlich über andere, abwesende, was leichter zu sein scheint als über sich selbst zu lachen. Ich werde versuchen, darin besser zu werden und darüber mit meiner Psychologin sprechen.