Società | salto.europe

Europäische Demokratie - geht das?

Bei den kommenden EU-Wahlen stellen sich pan-europäische Bewegungen und transnationale Kandidaten auf. Ein Schritt in Richtung gesamteuropäische Demokratie?
Volt 2
Foto: upi
Ein frischer Wind weht durch die Europäische Union. Eine Union, die wegen ihres fehlenden Gemeinschaftscharakters oft kritisiert wurde. Der EU wurde vorgeworfen, keine gemeinsame Identität zu besitzen, zu unterschiedliche nationale Interessen zu verolgen. Von einer gesamteuropäischen Demokratie könne keine Rede sein, hieß es. Die europäische Integration bleibt weiterhin ein hartes Unterfangen, Rechtspopulisten und Anti-EU Kräften wird ein Stimmenzuwachs für die anstehende Wahlen vorhergesagt. Dennoch bilden sich allmählich Kräfte, Stimmen und Initiativen, die die EU in eine transnationalere Richtung ziehen.
 
Volt will die erste pan-europäische Partei im Europäischen Parlament werden. Das heißt, die Bewegung entstand auf der europäischen Ebene, über nationale Grenzen hinweg, sie ist in elf Ländern der EU mit einem Rechtssitz vertreten, und das einzigartige: Das Wahlprogramm von Volt ist in allen Ländern dasselbe. Wouter Heemskerk, Policy Facilitator für Volt nennt die Vorzüge der pan-europäischen Arbeitsweise. Da alle dasselbe Programm verfolgten, könne man wirklich Dinge voranbringen. Auch wenn es nicht immer einfach sei, verschiedene Denkweisen zu vereinen, habe es auch etwas Erfrischendes und bringe viele Vorteile, erklärt Wouter: „Die meisten Mitglieder teilen eine sehr ähnliche Mentalität. Nur die Meinungen darüber, wie man bestimmte Ziele erreicht, unterscheiden sich. Durch die Vielfalt haben wir aber die Wahl verschiedener Ansätze und Best Practice Beispielen der einzelnen Länder.“ Für die Bildungspolitik etwa, basiert sich Volt besonders auf dänische und finnische Best Practice Beispiele, zwei Vorreiterländer in diesem Bereich. Wenn verschiedene Menschen aus diversen EU Ländern für die Erreichung eines Ziels kooperieren, kommt eine viel größere Bandbreite an Lösungsvorschlägen zusammen.
Die Bewegung entstand auf der europäischen Ebene, über nationale Grenzen hinweg, sie ist rechtlich in elf Ländern der EU vertreten, und das einzigartige: Das Wahlprogramm von Volt ist in allen Ländern dasselbe.
Das Ziel von Volt: die EU demokratischer zu gestalten. Dazu gehört die Reform des europäischen Wahlsystems, vor allem aber weise die EU ein großes demokratisches Defizit auf, erklärt Wouter die Position seiner Partei: „Das europäische Parlament kann keine Rechtsakte einleiten. Und das ist etwas, was wir ändern wollen, weil wir überzeugt sind, dass direkt gewählte Repräsentanten die Chance haben sollten, Gesetze zu initiieren und somit das voranzubringen, wofür sie gewählt wurden.“ Im Moment beschränkt sich die Legislativmacht des EU Parlaments auf reine Vorschläge, die an die Kommission gebracht werden können.
 
Um bei der Europawahl antreten zu können, müssen Parteien in jedem Land eine gewisse Anzahl an Unterschriften sammeln. In Bulgarien, Deutschland, den Niederlanden, Luxemburg, Schweden, und dem niederländischen Teil Belgiens erreichte Volt die nötigen Stimmen. In den restlichen Ländern, bleibt noch abzuwarten. In Italien steht es bereits fest: Volt wird nicht antreten können, denn es wurden nicht genügend Unterschriften gesammelt. Das liegt unter anderem daran, dass die Anzahl der nötigen Stimmen von Land zu Land variiert, erklärt der Policy Facilitator: „In Deutschland war es relativ einfach, genug Stimmen zu sammeln, auch in Bulgarien lag die Hürde bei nur 25.000 Stimmen. In Italien hingegen bedurfte es 150.000 Unterschriften. Das ist eine wirklich hohe Hürde.“ Die Bewegung wird außerdem von keinen großen Sponsoren gefördert, und wird hauptsächlich von seinen Mitgliedern finanziert, von denen sich die meisten freiwillig bei Volt beteiligen. Dennoch lohnt sich ein genauer Blick auf diese Partei, denn sie wiederspiegelt einen proeuropäischen Trend, der in Zukunft die Parlamentswahlen und somit die europäische Demokratie grundlegend verändern könnte.
 
Wird die EU demnächst übereuropäischen Wahlkampf führen und die Wahlprogramme europäischer gestalten? Und wird das zu einer europäischen Öffentlichkeit und gesamteuropäischen Demokratie führen? In dieser Hinsicht steckt die EU wohl noch in den Kinderschuhen, denn bis dato spielen immer noch nationale Parteien die Hauptrolle im europäischen Wahlkampf. Gleichzeitig gibt es bereits erste Ansätze in diese Richtung. Etwa die im letzten Jahr vom französischen Präsidenten und leidenschaftlichen Europäer Emmanuel Macron eingereichte Initiative zu übereuropäischen Kandidaten, also Abgeordnete, die keinem spezifischen Land zugeordnet sind. Die 73 Sitze, die durch den Austritt Großbritanniens neu im europäischen Parlament besetzt werden müssen, sollten durch Kandidaten von sogenannten „transnationalen Listen“ ersetzt werden. Jeder Wähler hätte zwei Stimmen erhalten: Eine für einen nationalen Kandidaten, und eine zweite für einen übereuropäischen, also transnationalen, Kandidaten. Diese Reform, so die Hoffnung vieler Europäer, könne mehr Legitimität schaffen und Interesse für EU Wahlen, die traditionell eine eher geringe Wahlbeteiligung aufweisen. Im Jahr 2014 lag diese durchschnittlich bei etwas mehr als 42 Prozent, im Gegensatz zu den Anfangsjahren der Union, in denen die Begeisterung noch hohe Wellen durch die europäischen Länder schlug: 62 Prozent der Bevölkerung begab sich bei den EU Wahlen im Jahr 1979 an die Urnen.
Europäische Interessen vor nationale Interessen zu stellen birgt aber auch Risiken, und stößt auf viel Kritik.
Europäische Interessen vor nationale Interessen zu stellen birgt aber auch Risiken, und stößt auf viel Kritik. Die größte Fraktion im EU Parlament, die European People’s Party aus dem Mitte-Rechts-Lager, ist gegen die Reform, denn dafür müsste das Wahlrecht in den einzelnen Ländern angepasst werden, und das stellt für viele einen Eingriff in die nationale Souveränität dar. Außerdem fürchtet man einen Legitimitätsverlust bei nationalistisch eingestellten Wählern, die der EU vorwerfen könnten, nationale Interessen nicht genug zu beachten. Wouter sieht Berechtigung in dieser Sorge, gleichzeitig sei seiner Meinung nach die EU ein Gemeinschaftsprojekt, das europäische Lösungen für bestimmte Politikbereiche brauche: „Grenzüberschreitende Kriminalität zum Beispiel, oder Korruption, sind Probleme die an sich schon transnational sind. Aus diesem Grund kann man diese Probleme am besten auf der transnationalen Ebene angehen,“ so der Policy Facilitator von Volt.
 
 
Nicht nur im pro-europäischen Lager zeichnen sich stärkere Kooperationstendenzen auf europäischer Ebene ab. Auch unter den EU-Skeptikern werden diverse Möglichkeiten einer Vereinigung über Grenzen hinweg abgewogen. Donald Trumps ehemaliger Berater Steve Bannon etwa will rechtspopulistische Parteien in ganz Europa zu einer europäischen Bewegung vereinen. Wouter von Volt macht sich darüber keine allzu großen Sorgen, sondern sieht darin eine Chance: „Sollten euroskeptische Parteien anfangen, transnationale Allianzen einzugehen, zeigen sie dennoch, dass pan-europäische Kooperation möglich ist. Auch auf der anderen ideologischen Seite. Das stärkt die Demokratie, denn sie besteht nun mal aus pluralistischen Meinungen.“
Macrons Initiative zu transnationalen Kandidatenlisten wurde Ende letzten Jahres vom Europäischen Parlament abgelehnt. Trotzdem setzte der französische Präsident mit seinem Vorschlag etwas in Gang. Ein kleiner Dominostein, der einen Antrieb in mehreren Parteien erzeugte, für die Europawahl Kandidaten aus anderen Mitgliedsstaaten zur Wahl aufzustellen. Sogenannte Cross-border Kandidatengab es zwar vorher schon vereinzelt, bei den heurigen europäischen Parlamentswahlen Mal wollen sich aber mindestens 20 Kandidaten über ihre nationalstaatlichen Grenzen hinweg aufstellen lassen. Der Italiener Sandro Gozi etwa wird für Macron’s „La Republique en Marche“ in Frankreich antreten. Damit wolle er das Bedürfnis für mehr Transnationalität in den europäischen Wahlen betonen. Ohne transnationale Bewegungen könne es niemals eine europäische Demokratie geben. Es bräuchte daher diese Beispiele im Kleinen, um Veränderung im Großen zu erzeugen, meint der ehemalige Parteikollege von Matteo Renzi.
 
Yanis Varoufakis, Ex- griechischer Finanzminister tritt ebenso als Kandidat für ein anderes Mitglied als sein Heimatland an. Mit der Bewegung DiEM25 (Democracy in Europe Movement 2025) suchte er sich Deutschland als Antrittsland aus. Jenes Mitglied, mit dem er während seiner Amtszeit aufgrund der griechischen Schuldenkrise oft in Zwist geriet. Damit zeigt er, dass selbst Meinungsunterschiede, Länder nicht davon abhalten sollten, Lösungen auf der europäischen Ebene zu suchen und Zusammenarbeit über Grenzen hinweg zu fördern.
Diesen europäischen Geist will auch Volt Italien weiterhin verkörpern und fokussiert sich nach dem gescheiterten Wahlantritt darauf, Volt Parteien in anderen Ländern beim Wahlkampf zu unterstützten. Damit Volt ihre Politik umsetzen kann, muss die Bewegung mindestens 25 Abgeordnete aus sieben verschiedenen Ländern stellen, die nötige Anzahl, um als eine Fraktion im Parlament ohne Koalitionspartner agieren zu können. Eine relativ hohe Hürde, erklärt der Policy Facilitator Wouter: „Ich bin mir nicht sicher, ob es dieses Jahr reichen wird. Aber ich glaube bis zu den nächsten Parlamentswahlen werden wir es schaffen, in weitaus mehr europäischen Ländern vertreten zu sein, und dann sollte es sicherlich machbar sein.“
Dieses Jahr werden die EU Wahlen also stärker national ablaufen. Bis zu den Wahlen 2024 kann aber noch viel passieren. Vor zehn Jahren hätte sich niemand eine europäische Verteidigungsunion vorstellen können; mit PESCO wurde sie erstmals konkret. Integration geht sicher nicht von heute auf morgen. Aber es muss immer einen Anfang geben. Diesen verkörpern Bewegungen wie Volt, Initiativen, wie die von Macron, und das Vorbild einzelner Cross-border Kandidaten.