Politica | Motorradplage

Mehr Lärmschutz ist möglich

Pünktlich zur Grenzöffnung waren sie wieder zurück: tausende aufheulende Maschinen,die den Sommer lang ganze Täler verlärmen.Nordtirol hat die ersten Fahrverbote erlassen
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Während der Phase 1 der Pandemie war es für viele sonst lärmgeplagte Ortschaften wohl erholsam, wenn neben der geringeren Schadstoffbelastung der Luft auch der Lärmpegel gesunken ist. Im Vorher-Nachher-Vergleich wird es jeder hören: Südtirol ist in den letzten Jahren zunehmend verlärmt worden. Die Dezibelspitzen setzen die Motorräder und das zum allergrößten Teil als Freizeitspaß. Die „Corona-Auszeit“ für aus- und inländische Motorradfreaks hat gezeigt: es ginge den meisten Menschen im Land besser ohne diese Lärmexzesse. Eine kleine Minderheit von PS, Lärm und Geschwindigkeit Besessenen belästigt die große Mehrheit der Bevölkerung.

Südtirol leidet unter dieser Art von Lärmbelastung in besonderem Maß, weil wir von den Ballungszentren in Norditalien und Süddeutschland so gut und schnell erreichbar sind und die gut ausgebaute Infrastruktur fast immer mautfrei und rund um die Uhr genutzt werden kann. Die Lärmverschmutzung betrifft vor allem Täler mit attraktiven Passstraßen, manche davon wie der Mendelpass, Jaufen, Penserjoch und die Dolomitenpässe verwandeln sich an den Wochenenden in Motodrome mit unerträglichem Lärmpegel. Darunter leiden in den Tälern nicht nur die Anrainer, weil sich der Motorradlärm kilometerweit ausdehnt.

Lärmverpestung durch Freizeitverkehr ist aber keine Naturgewalt, und exzessive Lärmproduktion kein Grundrecht. Man hat Lärmschutzwände an Autobahnen und Bahnstrecken gebaut, hat laute Flugzeuge und Motorboote aus dem Verkehr gezogen. Warum nicht strengere Regeln für Motorräder in sensiblen Berggebieten und überlasteten Passtälern? Auch in Südtirol haben die meisten Menschen (und auch Touristen) das Bedürfnis nach Ruhe. Unnötiger Lärm und alpine Motodrome: das passt nicht mehr in eine Zeit, die CO2-Emissionen reduzieren, entschleunigen und die Gesundheit aller schützen will.

Der Sarner Bürgermeister Reichsigl plädierte 2019 für eine Bemautung der Motorräder auf der Penserjochstraße. Das mag ein erster notwendiger Schritt sein, doch rechtlich tun sich dann Probleme mit der Gleichbehandlung aller Motorfahrzeuge auf. Auch Autos können ganz schön Lärm entwickeln. Nur kurze Zeitfenster für die Durchfahrt der lauten Maschinen über die Pässe bis hin zu Sperrungen wären wirksamer. Die heutigen Lärmschutznormen und Emissionsgrenzwerte müssten verschärft und die Polizei in die Lage versetzt werden, diese vor Ort zuverlässig zu messen. Überschreiten die Fahrzeuge durch Manipulation oder Fahrweise die Grenzwerte, müsste die Polizei Strafen einheben oder die Geräte vor Ort stilllegen können. Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber auch die Einführung von Frontkennzeichen, damit Motorräder bei Video- und Lärmschutzüberwachung aus der Ferne erfasst werden können.

Lärmgeplagte Regionen könnten Lärmschutzzonen einführen und Fahrzeuge ausschließen, die die Lärmschutzauflagen nicht erfüllen. Unter dem Motto „Laut ist out“ gibt es in Deutschland zahlreiche solche Initiativen gegen Freizeitlärm, insbesondere durch Motorradverkehr in Erholungsgebieten. In einzelnen Fällen sind Lärmsanierungsgebiete eingeführt worden und Nordrhein-Westfalen überlegt gerade gesetzliche Maßnahmen. Ein staatliches Lärmschutzgesetz müsste derartige Einschränkungen für sensible Zonen wie z.B. Naturschutzgebiete und Alpentäler erlauben. Die Regionen müssten die Befugnis erhalten, Lärmsanierungsgebiete auszuweisen, in welchen noch strengere Dezibelgrenzen zu gelten hätten oder Motorräder einfach verboten sind.

Geschwindigkeits- und Geräuschkontrollen sind aber nur eine Art Symptombekämpfung, die insgesamt nicht viel bringt, weil es die Frequenz und Masse an Motorrädern ist, die den gesamten Lärmpegel lästig und gesundheitsschädlich werden lässt. Ein gesetzlicher Eingriff an der Quelle ideal: die Hersteller dieser Geräte sollten verpflichtet werden, den Lärm genauso zu dämmen wie es bei PKW und LKW gelungen ist. Somit ist eigentlich der Gesetzgeber gefragt, auf nationaler und europäischer Ebene Maßnahmen zu setzen, um den von Zweirädern erzeugten Lärm zu reduzieren.

Das ist der Punkt: Motorräder müssen wesentlich leiser werden, was technisch leicht möglich ist. Niemand würde heute mehr knatternde Automobile akzeptieren wie vor 100 Jahren. Motorräder dürfen es noch. Die Anforderungen an die Beschaffenheit und den Betrieb von Motorrädern müssen gesetzlich neu definiert werden. Es gibt kein Grundrecht auf mutwilligen Lärm als Freizeitspaß, sehr wohl aber ein Grundrecht auf Gesundheit. Die Politik ist aufgerufen, der Industrie Vorgaben zu machen, nicht nur den Schadstoffausstoß von Fahrzeugen zu reduzieren, sondern auch die Lärmerzeugung auf ein erträgliches Maß zu bringen.

Übrigens ganz aktuell: Nordtirol hat Ende Mai 2020 ein Motorradverbot für laute Motorräder auf Bergstraßen vor allem im Außerfern erlassen, das vom 10.6.2020 bis zum 31.10.2020 gilt und zwar für Motorräder, die laut Zulassung Nahfeldpegel von über 95 Dezibel aufweisen. Südtirol könnte als ersten Schritt ähnliche Studien zur Lärmbelästigung durch Motorräder wie das Bundesland Tirol in die Wege leiten und schnellstmöglich auf zahlreichen Passtraßen dasselbe Verbot erlassen, um zumindest den schlimmsten Teil der Lärmverpestung fernzuhalten.