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Fahrende Geschichten

Karrner, Korrner, Jenische. Die Geschichte einer Minderheit wird in einem Buch und einer Ausstellung dokumentiert. Im Wandel der Zeit und der Begrifflichkeit.
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Foto: Vuseum

„Es gibt sehr viele Zeugnisse, dass die Karrner durchaus vertrauenswürdige Handelsmenschen waren“, erzählt Helene Dietl, Kuratorin der Ausstellung Fahrende – Die Korrner im Vuseum (der neuen Bezeichnung für das Vintschger Museum). Ihre Aussage ist ein guter Beleg für einen neuen positiven Blick auf die beinahe vergessene Minderheitengeschichte. Auch im Bezug auf den Wandel in der historischen Darstellung.


So wie sich der Name des Museums geringfügig von Museum in Vuseum änderte, so ist eine auch beim umstrittenen Begriff Korrner seit ein paar Jahrzehnten eine leichte Abänderung festzustellen.
Aus dem durchwegs bis in die 1960er Jahre gebräuchlichen und in sämtlichen historischen Zeitschriften nachweisbaren (schriftdeutschen) Bezeichnung Karrner, wurde – wohl auch durch das kreativ-dialektale Zutun des Künstlers und Poeten Luis Stefan Stecher – das mittlerweile (vor allem in Südtirol) gängige Korrner

Das Lied "Mai Maadele, mai Tschuurale" wird manchmal sogar als Vinschger Hymne bezeichnet.

Ob Karrner oder Korrner. Weitaus umstrittener ist die Dialekt-Bezeichnung der einstigen Karrenzieher*innen außerhalb der Landesgrenzen. Anstelle des Begriffs Karrner/Korrner wird nämlich seit Jahren die Bezeichnung Jenische verwendet – aus einem (guten) Grund allerdings nicht beim aktuellen Ausstellungsprojekt in Schluderns: „Der Begriff ist hier im Vinschgau nicht so negativ behaftet. Das hat wohl damit zu tun, dass es mit Luis Stefan Stecher eine sehr frühe Aufarbeitung der Geschichte dieser Bevölkerungsgruppe gab. Das Lied Mai Maadele, mai Tschuurale, wird manchmal sogar als Vinschger Hymne bezeichnet.“

Miar Korrnr sain ioo aa lai Lait,
it lezzr untit pessr,
unz Wossr assn Punipoch
isch aanit wolta nessr,
assas Wossr assan waltschn Säa,
lai huamalaz holt mäa.* 
[Luis Stefan Stecher]

*Wir Karrner sind auch nur Menschen, / nicht schlechter und nicht besser, / und das Wasser des Punibachs / ist auch nicht viel nässer / als das Wasser eines italienischen Sees, / nur heimelt es einen mehr an.

Stechers Dialektlyrik hat sicherlich wesentlich dazu beigetragen, dass die Vinschger Randgruppe der Jenischen – wenn auch stark romantisierend –, vor allem über die Poesie in ein neues historisches Blickfeld gerückt wurde. Und in ein  positiveres Licht. Der einst abwertende Begriff Karrner/Korrner ist mittlerweile kein Schimpfwort mehr. Im Gegenteil.

 

In eine Interview mit salto.bz beharrte die Schriftstellerin und Minderheitenrechtlerin Simone Schönett vor einigen Jahren „Jenische sind Jenische und keine Korrner“ und argumentierte: „So wie man aufgehört hat, das N-Wort oder das Z-Wort zu benutzen, sollte man, aus Respekt, die Eigenbezeichnung verwenden und einsehen, dass es um Jenische geht und nicht um Korrner“. 
In einer neu erschienenen Publikation wird der einst fahrenden Minderheit in Nord- wie Südtirol wissenschaftlich nachgespürt. Streiten wie die Karrner – laut einem überlieferten Spruch – , wollten die Buchmacher*innen angesichts von Unstimmigkeiten zur unterschiedlichen Bezeichnung nicht. Man einigte sich auf die Verwendung beider Begrifflichkeiten.


In dem von Michael Haupt und Edith Hessenberger herausgegebenen Buch werden die Aspekte jenischer Kultur aus verschiedenen Sichtweisen betrachtet. „Es ist eine Geschichte der Anderen, der Fremden“ und sie erzählt im Euregio-Museumsjahr zum Thema Transport – Transit – Mobilität gerade von jenen Menschen, die – meist aus Not, Krieg und Vertreibung – unterwegs sein mussten. Und nicht wie oft kolportiert, aus sozialromantischen Gründen. 


Sehr ausführlich kann man im Buch zur Mobilität der Jenischen im Tiroler Oberland nachlesen, zu den Heiminger Landfahrern, zu den Jenischen im Nationalsozialismus, zu Jenischen als Kulturvermittler, zu ihren Pionierleistungen, zu ihrem Selbst- und Fremdbild, sowie zum Thema: Weshalb die Vinschger Korrner sind. „Wenn sie sich fünf Stammbäume im Vinschgau ansehen“, behauptet Helene Dietl, „finden sie in dreieinhalb Stammbäumen eine Nähe zu einer Korrnerfamilien. Unsere Absicht war es deshalb – in der Ausstellung und im Buch – die Geschichte der Randgruppe zu erzählen.“ 

Das Projekt will aufzeigen, dass die Karrner oder Jenischen ein wichtiger Teil der Geschichte im Vinschgau darstellen und ihre Geschichte nicht in Vergessenheit geraten soll.

Die Vinschger Karrner-Geschichten reichen vom reichen Zitronenhändler über den Storchn-Lois bis zu  jenischen Zündholzpionieren. Das Projekt will aufzeigen, dass die Karrner oder Jenischen einen wichtigen Teil Tiroler Geschichte darstellen und ihre Geschichte nicht in Vergessenheit geraten soll. Auch nicht die folgende Geschichte, die im Vuseum – mündlich überliefert und im Karrner-Stil –  weitererzählt wird. So habe es einst im Oberinntal ein bereits totgeweihtes Kind gegeben, das mit der Salbe einer Karrnerin geheilt wurde. Das geheilte Mädchen studierte später Medizin und machte sich irgendwann neugierig auf, in den Vinschgau, um nach der alten Karrnerin und nach der Rezeptur der Salbe zu suchen. Ob sie beide gefunden hat? Das bleibt ein Korrner-Geheimnis.