Ambiente | Interview

Nachhaltig statt Stimmengeil

Nachhaltigkeit, nicht Wählerstimmen, soll die heutige Umweltpolitik beeinflussen. Dafür setzt sich Stefan Zerbe der Freien Universität Bozen mit zahlreichen Projekten ein
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Forum China
Foto: Stefan Zerbe / unibz

salto.bz: Die Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärte den Zeitraum 2021-2030 zum Jahrzehnt der Renaturierung von Ökosystemen. In ihrem neuen interdisziplinären Fachbuch Renaturierung von Ökosystemen im Spannungsfeld von Mensch und Umwelt schreiben Sie zu diesem Thema. Wie ist Ihre Diagnose: Macht die Weltgemeinschaft genug, um nachhaltige Landwirtschaft umzusetzen?

Nein, keinesfalls! Gerade in der Landwirtschaft ist der globale Trend sehr besorgniserregend: zunehmende Entwaldung für landwirtschaftliche Intensivkulturen, zunehmender Fleischkonsum weltweit mit den entsprechenden negativen Folgen für Weideflächen, zunehmender Pestizideinsatz weltweit, sehr hohe Nährstoffbelastung der Böden und Gewässer durch Düngung und damit Eutrophierung mit enormen Folgekosten für die Volkswirtschaft (z.B. bei der Trinkwasseraufbereitung und im Tourismus) und Vieles mehr. Die auf maximale Produktion ausgerichtete Intensivlandwirtschaft ist einer der Hauptverursacher globaler Umweltprobleme. Die Faktenlage ist hier eindeutig und wird ausführlich in meinem Buch dargestellt. Selbst in dem umweltpolitisch weit entwickelten Europa können offensichtlich die vielen Umweltprogramme dieser Art von Landwirtschaft kaum Einhalt gebieten. Wir sind also weit entfernt von einer flächendeckenden nachhaltigen Landwirtschaft. Der weltweite Rückgang der Biodiversität ist ein Indikator hierfür.

 

Besonders im Hinblick auf die Vernichtung des Amazonaswaldes oder der Feuer in Sibirien scheinen wir keiner sehr rosigen Zukunft entgegenzublicken. Wo liegen Hindernisse zu einer umweltschonenderen Wirtschaft?

Die großflächigen Brände im Amazonasbecken sind eine Umweltkatastrophe globalen Ausmaßes und werden nicht nur ökologisch sehr negative Auswirkungen haben (Klima, Wasserhaushalt, Erosion u.a.), sondern auch das sozioökonomische Gefüge der betreffenden Länder negativ beeinflussen. Dass diese großflächigen Brände auch in Südostasien (z.B. Indonesien) in den vergangenen Jahrzehnten bereits in großem Ausmaß die Waldökosysteme und deren Böden vernichtet haben, verbunden mit einer enormen Freisetzung von Treibhausgasen, und dies wissenschaftlich quantifiziert ist, wird allerdings kaum von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen.

 

„Dass diese großflächigen Brände auch in Südostasien bereits in großem Ausmaß die Waldökosysteme vernichtet haben wird kaum von der Weltöffentlichkeit wahrgenommen“

 

Eines der wesentlichen Hindernisse für eine umweltschonendere Wirtschaft liegt darin begründet, dass die Gewinne auf der Ebene der Betriebe nicht den volkswirtschaftlichen Verlusten z.B. durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die Umweltzerstörung gegenübergestellt werden. Hier braucht es dringend mehr Landschaftsökonomen, die diese ökologisch-ökonomischen Studien durchführen können. Ein weiteres Hindernis ist, dass noch viel zu wenig in den Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis investiert wird. Unsere Arbeitsgruppe legt darum auch einen Schwerpunkt in die sogenannte Third Mission als aktive Verantwortung der Wissenschaft für die Gesellschaft, mit z.B. öffentlichen Vorträgen, Politikberatung, Einbindung von Akteuren aus der Praxis in die wissenschaftliche Forschung und Filmproduktionen.

 

Welche Akteure sehen Sie hier in der Pflicht und welche Lösungsvorschläge empfehlen Sie?

Prinzipiell sehe ich Wirtschaft und Verbraucher in der Pflicht, allerdings kommt der Politik und der Wissenschaft eine besondere gesellschaftliche Verantwortung hierbei zu. Politikberatung durch die Wissenschaft kann aber nur funktionieren, wenn die Politik dies auch annimmt. Wissenschaftliche Fakten und ein Verständnis von Nachhaltigkeit im Hinblick auf die zukünftigen Generationen sollten die heutige Umweltpolitik beeinflussen, nicht der Fang von Wählerstimmen. Bei der Landwirtschaft liegt eine der Lösungen in einer effizienteren Nutzung der natürlichen Ressourcen und der Förderung von Qualität statt Quantität bei der Lebensmittelproduktion.

 

Sie haben gerade Forschungen zu nachhaltiger Landnutzung in Perú durchgeführt. Das Projekt ist Teil der Zusammenarbeit der Universität Bozen mit der Pontificia Universidad Católica del Perú (PUCP) in Lima. Warum gerade Peru? Können wir von diesem Land hinsichtlich des Umweltschutzes lernen?

Eine ehemalige Doktorandin von mir ist dort nun Professorin für Geografie und Umweltforschung. Dadurch besteht ein Kontakt in Forschung und Lehre, den ich dort auch zu anderen Fachkollegen/innen ausgebaut habe. Nach meiner bisherigen Kenntnis des Landes Perú ist die Umweltpolitik prinzipiell auf einem guten Stand, z.T. auch durch die große Unterstützung der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), aber es mangelt an einer konsequenten Umsetzung.

 

„Wissenschaftliche Fakten und ein Verständnis von Nachhaltigkeit im Hinblick auf die zukünftigen Generationen sollten die heutige Umweltpolitik beeinflussen, nicht der Fang von Wählerstimmen“

 

Mit einem Lehrforschungsprojekt, dass wir gerade mit einer internationalen Studierendengruppe in Kooperation mit zwei deutschen Universitäten in Perú durchgeführt haben, hat sich gezeigt, dass uns im Hinblick auf die Lösung von Umweltproblemen gerade die internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit weiterbringen kann. Auch wenn diese Devise banal klingen mag, ist sie dennoch von grundlegender Aussagekraft: Global denken, lokal-regional handeln.

 

 

Vor kurzem wurde ein Buch vorgestellt, das Alexander von Humboldts Forschungsarbeiten mit den aktuellen Fragen der Waldentwicklung in Südamerika verknüpft. Sie wirkten an dem Buch als Autor mit. Erklären Sie uns bitte: wie kann ein Mann, der heuer 250 Jahre alt würde, zum heutigen Umweltschutz beitragen? War er damals schon seiner Zeit voraus?

In der Tat war Alexander von Humboldt damals seiner Zeit weit voraus! Themen, die heute höchst aktuelle Relevanz haben, wie beispielsweise die Limitierung der natürlichen Ressourcen, Globalisierung, Biodiversität und die Verantwortung der Wissenschaft für die Gesellschaft, hat er bereits mit seinen Forschungsarbeiten und in seinen öffentlichen Vorlesungen angesprochen, auch wenn er die spezifischen Begriffe hierfür noch nicht verwendet hat. Wir können gerade im Hinblick auf das Disziplinen übergreifende Denken und Handeln von Alexander von Humboldt heute sehr viel lernen. Beispielsweise ist Humboldt auch der Initiator eines globalen Messnetzes für die Klimaforschung. Auch politisch hat Humboldt Stellung bezogen, indem er die wissenschaftlichen Fakten an die Öffentlichkeit gebracht hat. Humboldt genießt übrigens in Lateinamerika hohes Ansehen, auch weil er damals auf seiner Forschungsreise den Menschen dort offen, respektvoll und ohne Überheblichkeit begegnet ist.

 

 

Kommen wir zu einer ganz anderen Region: Zentralasien, Schlüsselkorridor in der chinesischen Seidenstraßeninitiative. Diese wird wegen fehlender Umweltstandards kritisiert. Sie kommen gerade von einer Tagung zu diesem Thema. Wie entwickelt sich dieses chinesische Projekt hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit?

Diese Initiative ist sehr von wirtschaftlichen, technologischen und infrastrukturellen Zielen für den ost- und zentralasiatischen Raum geprägt. Es wird allerdings auch wahrgenommen, dass die Übernutzung der natürlichen Ressourcen und die Umweltzerstörung auch die Sozioökonomie sehr negativ beeinflusst. Hier sehe ich eine große Chance, Umweltstandards einzubringen, die mit chinesischem Fleiß und Effizienz umgesetzt werden. Um dies zu fördern, setze ich mich als Landschafts- und Renaturierungsökologe und Mitglied in der internationalen Silk Road Academy of Science ein.

 

„Die auf maximale Produktion ausgerichtete Intensivlandwirtschaft ist einer der Hauptverursacher globaler Umweltprobleme“

 

Unsere Arbeitsgruppe führt seit fast zwei Jahrzehnten landschaftsökologische Forschungen mit internationalen und interdisziplinären Teams in China durch, die dort eine hohe Wertschätzung erfahren. Im April nächsten Jahres ist eine weitere Konferenz mit Regierungsvertretern aus verschiedenen Ländern geplant, bei der ich über Umweltthemen und die Lösung von Umweltproblemen sprechen werde.

 

Die EU will seine Agrarpolitik überarbeiten und legte diesen Sommer Vorschläge dazu vor. Unter anderem soll die Subventionspolitik der EU stärker an Umweltstandards gekoppelt werden. Wie würden Sie die Maßnahmen bewertet? Endgültig abgestimmt wird voraussichtlich in der ersten Hälfte des kommenden Jahres.

Diese Initiative ist dringend notwendig. Die Verursacher von Umweltproblemen müssen zur Kasse gebeten werden. Wenn Europa hier politisch konsequent Nachhaltigkeit und Umweltschutz umsetzt, dann kann dies auch für andere Regionen der Erde Vorbildfunktion haben. Europa könnte hierbei eine umweltpolitische Vorreiterrolle einnehmen.

 

Ein häufiges Argument bleibt die Wirtschaftlichkeit im Agrarsektor. Diese widerspricht oft Regeln des Naturschutzes. Gibt es Möglichkeiten ökologische Ziele mit gewinnorientierter Landwirtschaft zu vereinbaren?

Ja natürlich! Entsprechende Initiativen, oft nur in kleinem Maßstab, gibt es weltweit. Eine auf intensive Monokulturen ausgerichtete Landwirtschaft ist ökologisch und ökonomisch anfällig. Eine multifunktionale Landnutzung mit verschiedenen Nutzungssystemen (auch traditionellen!) bzw. verschiedenen Kulturen halte ich für zukunftsfähig, auch im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels.

 

„In Südtirol gibt es auf Landesebene kaum eine übergreifende Umweltpolitik“

 

Und nochmals: wenn Gewinne und Verluste sowohl auf betriebs- wie auch auf volkswirtschaftlicher Ebene quantifiziert und bilanziert werden, sieht eine „gewinnorientierte“ Landwirtschaft mitunter ganz anders aus als wir uns dies im Moment vorstellen.

 

Zuletzt werfen wir noch einen Blick vor die eigene Haustür: Südtirols Landwirtschaft steht häufig in der Kritik, insbesondere wegen der hohen Pestizidnutzung. Woran muss Südtirol im Bereich der ökologischen Landnutzung arbeiten?

Trotz der vielen Vor- und Querdenker einer nachhaltigen Wirtschaft und umweltschonenden Landnutzung in Südtirol gibt es auf Landesebene kaum eine übergreifende Umweltpolitik, die nicht nur an monetären Zielen bzw. ökonomischen Gewinnen, sondern grundlegend an einer schonenden und nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen ausgerichtet ist. Letztere würde sich auch positiv auf die biologische Vielfalt gerade in den intensiv genutzten Tallagen und die Gesundheit der Südtiroler Bürger auswirken. Unsere Arbeitsgruppe hat hier mit der Gründung des transdisziplinären Forschungsnetzwerks „Umwelt und Gesundheit“ (TER) einen bedeutenden Impuls in Südtirol gegeben. Ein wichtiger Schritt wäre bereits, wenn sich die Landespolitik offen einer kritischen Diskussion stellen und gemeinsam mit den Bürgern des Landes sowie mit entsprechenden Experten aus der Wissenschaft und Praxis an Lösungen der anstehenden Umweltprobleme arbeiten würde.