Cronaca | Carabinieri

Schikanierte Mutter

Am Bozner Landesgericht ist ein weiterer Fall anhängig, der deutlich macht, welches Amtsverständnis der suspendierte Carabinierikommandant und sein Stellvertreter haben.
Carabinieri
Foto: upi
Der Ermittlungsakt auf dem Schreibtisch des stellvertretenden Staatsanwaltes Andrea Sacchetti gegen den Kommandanten einer Südtiroler Carabinierikaserne und seinem Stellvertreter könnte schon bald um einige Zentimeter dicker werden. Der Maresciallo und der Brigadier wurden – wie salto.bz exklusiv berichtet hat – vom Voruntersuchungsrichter wegen schwerwiegender Vergehen vom Dienst suspendiert. Die Palette der mutmaßlichen Straftaten reicht dabei von illegaler Verhaftung, Fälschung von Dokumenten über die Vortäuschung einer Straftat bis zum Amtsmissbrauch. 
Dass beide Ordnungshüter seit langem ein besonderes Amtsverständnis an den Tag legen, kommt aber auch in einem anderen Gerichtsakt zum Vorschein, der seit über einem Jahr am Bozner Landesgericht liegt. In dem Verfahren „4930/2018“, das noch behängt, geht es ebenfalls um Amtsmissbrauch und Freiheitsberaubung. Vor allem aber findet man unter den Beschuldigten (es gilt die Unschuldsvermutung) auch hier dieselben beiden Unteroffiziere der Carabinieri.
 

Die Trennung

 
Ausgangspunkt des Falles ist ein Beziehungsstreit. Nach 15 Jahren Lebensgemeinschaft trennt sich im Frühsommer 2016 ein Südtiroler Paar. Man vereinbart eine klare Regelung für die beiden gemeinsamen Kinder. Die Kinder sollen abwechselnd eine Woche bei der Mutter und eine Woche beim Vater leben. Zudem sollen die Kinder jede Woche einen Nachmittag in der Woche von Kindergarten-Ende bis 19 Uhr beim anderen Elternteil verbringen. Man einigt sich auf den Mittwochnachmittag. So wird es später auch in einem Verfahren vom dem Landesgericht Bozen festgelegt.
Anfänglich klappt dieses Arrangement recht gut. Doch dann verweigert der Vater immer öfters die Herausgabe vor allem des kleinen Sohnes an die Mutter. Die Mutter und ihr Anwalt Janis Noel Tappeiner sprechen von einer "bewussten Schikane". Kurz nach Weihnachten 2016 eskaliert der Streit. 
Denn am 28. Dezember 2016 kommt es zu einem unglaublichen Vorfall. Einen Vorfall, der nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen die beiden Ordnungshüter in einem ganz anderen Licht erscheint.
 

Der Alkoholtest

 
An diesem Mittwochabend im Dezember 2016 ist die Mutter auf dem Weg die Kindern beim Vater abzuholen, als sie auf der Staatsstraße plötzlich ein Auto der Carabinieri hinter sich bemerkt. Die Carabinieri verfolgen das Auto der Frau eine Weile und schalten plötzlich das Blaulicht ein. Als die Frau das bemerkt, fährt sie zur Seite, um das Carabinieri-Auto vorbeizulassen. Erst jetzt bemerkt sie, dass das Blaulicht ihr gilt.
 
 
Im Auto sitzen der stellvertretende Kommandant und ein weiterer Carabiniere aus derselben Kaserne. Wohlgemerkt üben die beiden Carabinieri in diesem Fall eine Amtshandlung aus, die rund 20 Kilometer von ihrer Gemeinde entfernt stattfindet.
Der Brigadier erklärt der jungen Mutter, dass sie Schlangenlinien gefahren sei und er sie deshalb einem Alkoholtest unterziehen müsse.
Im Dienstbericht werden die Carabinieri später erklären, die Frau habe erklärt ein Bier getrunken zu haben und sie habe aus dem Mund nach Alkohol gerochen. Die Frau hingegen erklärt von Anfang an in allen Aussagen nicht eine Tropfen getrunken zu haben.
Der Carabinieri besteht aber auf der Kontrolle. Weil man aber kein Alkoholmessgerät dabei hat, wird die Frau aufgefordert in den Dienstwagen zu steigen, um zur Kontrolle gebracht zu werden.
Der jungen Frau ist diese ganze Sache aber nicht geheuer. Sie ruft über das Handy
ihren Onkel, einen pensionierten Carabiniere an. Auf Nachfrage sagt die Frau auch ihm, keinen Alkohol getrunken zu haben. Der Onkel spricht schließlich am Telefon selbst mit dem Brigadier. Dabei fragt der Onkel direkt nach, warum man seine Nichte angehalten habe und man den Verdacht habe, dass sie alkoholisiert fahre. Die Antwort des Brigadiers: „Weil der Kommandant dies angeordnet hat“.
Es ist eine Aussage, die den Onkel und ehemaligen Carabiniere stutzig macht. Er rät dennoch seiner Nichte den Alkoholtest nicht zu verweigern und die Anweisungen der Carabinieri zu befolgen.
 

Das falsche Ergebnis

 
Die Carabinieri fahren mit der Frau über 20 Kilometer auf ihr Gemeindegebiet. Dort kommt ihnen das mobile Einsatzkommando aus einer Nachbargemeinde mit dem Alkoholmessergerät entgegen. Dieses Einsatzkommando unterzieht die Lenkerin dem Alkholtest. Dabei geht man streng nach Protokoll vor. Zuerst wird eine Art Vortest gemacht. Weil dieser negativ ausfällt, sehen die Carabinieribeamten aus der Nachbargemeinde die Amtshandlung – so wie vom Gesetz vorgesehen – als beendet an. Doch der Brigadier ordnet einen zweiten sogenannten „Pretest“ an. Auch diesmal ist das Ergebnis negativ. Das Gesetz ist klar: Nach zweimaligen Blasen dürfen die Ordnungshüter keinerlei weitere Probe mehr vornehmen.
Doch daran hält man sich nicht. Der Brigadier telefoniert mit seinem Stationskommandanten. Dieser ordnet einen Test mit dem Alkomaten an. Obwohl das mobile Einsatzkommando darauf hinweist, dass das nicht rechtens sei, besteht der Maresciallo darauf, dass die Frau ein drittes Mal blasen muss. Aber auch hier ist das Ergebnis eindeutig: 0,00 Promille.
 
 
Die Frau wird im Dienstwagen wieder zu ihrem Auto zurückgebracht, das über 20 Kilometer entfernt steht. Weil die Amtshandlung gut zwei Stunden dauert, kann sie ihre Kinder an diesem Tag nicht mehr abholen.
 

Schleppende Ermittlung

 
Die junge Mutter mutmaßt von Anfang an, dass es einen Zusammenhang zwischen dieser Amthandlung und dem Beziehungsstreit mit ihrem ehemaligen Lebengefährten gibt. Der Grund: Der Mann ist sowohl mit dem Maresciallo wie auch mit dem Brigadier befreundet.
Die junge Frau erstattet unmittelbar nach dem Vorfall Anzeige.  Ausgerechnet bei den Carabinieri. Obwohl es sich um Kollegen handelt, die Südtirol weit ob ihrer Erfolge hoch im Kurs stehen, wird diese Carabinieristation umgehend tätig. 
Bereits am 1. Februar 2017 wird der Onkel der Frau als Zeuge angehört. Er bestätigt die Darstellung seiner Nichte in allen Punkten. Am selben Tag werden auch die beiden Carabinieri des mobilen Einsatzkommandos aus der Nachbargemeinde angehört. Auch sie bestätigen nicht nur die Version der Frau, sondern sie geben auch zu Protokoll, dass sie den Brigadier mehrmals darauf hingewiesen haben, dass man nicht drei Alkoholtests nacheinander machen darf.
Die beschuldigten Carabinieri hingegen legen jeweils Dienstberichte vor. Am 6. Februar 2017 schildern der Brigadier und der dritte beteiligte Carabinieri ihre Version der Fakten schriftlich. Der Kommandant hingegen lässt sich Zeit. Er übermittelt seinen Dienstbericht erst am 10. Juli 2017.
Aus den Dokumenten geht eindeutig hervor, dass die gesamte Aktion alles andere als eine zufällige Alkoholkontrolle war.
Aus den Dokumenten geht eindeutig hervor, dass die gesamte Aktion alles andere als eine zufällige Alkoholkontrolle war.
Denn der ehemalige Lebensgefährte der Frau wird am späten Nachmittag des 28. Dezember 2016 telefonisch beim Carabinierikommandanten vorstellig. Er erklärte laut Protokoll, dass seine ehemalige Partnerin, die sich auf dem Weg zu ihm mache, um die beiden gemeinsamen Kinder abzuholen, schwer alkoholisiert sei. Der Mann beschreibt das Auto der Frau. Der Kommandant ordnet daraufhin sofort an, dass die Frau angehalten wird. Es folgt die beschriebene Polizeiaktion außerhalb des eigentlichen Aktionsradius seiner Station.
Trotz dieser klaren Indizienkette  passiert danach fast ein Jahr lang nichts mehr.
 

Die Archivierung

 
Der Fall nimmt erst wieder Fahrt auf, als sich der Anwalt der Frau, Janis Noel Tappeiner, an die Staatspolizei wendet. Im Juli 2018 reicht er Strafanzeige gegen den ehemaligen Lebensgefährten der Frau und die drei beteiligten Carabinieri ein.
Der Strafanzeige sind die Zeugenaussagen und die Dienstberichte beigelegt. „Die polizeilichen Maßnahmen sind offensichtlich vom Kommandanten und Vizekommandanten auf Anfrage des ehemaligen Lebensgefährten zum Schaden meiner Mandantin durchgeführt worden“, resümiert Anwalt Tappeiner.
 
 
Im Juli 2018 werden die drei Carabinieribeamten und der ehemalige Lebensgefährte der Frau von der Staatsanwaltschaft am Landesgericht ins Ermittlungsregister eingetragen. Danach soll der Gerichtsfall enden, bevor er überhaupt begonnen hat.
Ohne weitere Ermittlungen oder Anhörungen stellt Staatsanwältin Federica Iovene am 6. Februar 2019 den Antrag die Strafermittlungen gegen die vier Beschuldigten zu archivieren. Der Hauptgrund: Es sei weder ein Schaden entstanden, noch hätte jemand von den Vorfällen profitiert. Strafverteidiger Janis Noel Tappeiner legte sofort Berufung gegen die Archivierung ein.
Jetzt muss der Richter für die Vorerhebungen entscheiden. Die Verhandlung wurde noch nicht festgesetzt.
Nach den Ermittlungen gegen diese beiden Carabinieri, den schwerwiegenden Vorwürfen und der Tatsache, dass das Duo inzwischen vom Dienst suspendiert wurde, dürfte sich jetzt nicht nur der Richter den Fall genauer anschauen.
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Wolfgang Moser Gio, 09/19/2019 - 12:27

Ich denke, so etwas kann eben passieren in einem Land, dessen Gesetze nicht gemacht werden, um Regeln und Rollen zu definieren, sondern eher um den Mächtig(er)en Interpretationsspielraum für die Durchsetzung ihrer Interessen zu geben.

Gio, 09/19/2019 - 12:27 Collegamento permanente