Books | Salto Afternoon

Sonnige Blumen

Margareta Fuchs hat Geschichten zu Blumen gesammelt und das Sagenbuch "Was Blumen erzählen" daraus gemacht. Salto serviert eine Sonnenblumengeschichte (zur Sonnenwende)
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Foto: Pixabay

Warum die Sonnenblumen ihre Köpfe nach unten senken?  

Hast du dich nie gefragt, warum die Sonnenblumen ihre Köpfe in dieselbe Richtung drehen? Und warum sie diese nach unten senken und nicht, wie beispielsweise die Knoblauchblüten, schnurgerade nach oben halten? Einst streckten auch die Sonnenblumen ihre Blütenhäupter hinauf in den Him­mel, mal hier- und mal dorthin. Aber eines Tages ...

Die Sonnenblumen mussten zusehen, wie der Alte das Mädchen befum­melte, wie er sie grob an sich zog und versuchte, auf den Boden zu drücken, sie sahen seine unverschämten Küsse und schmutzigen Liebkosungen ...

... wurde in einem Dorf ein Kuppler beauftragt, die Heirat zwischen einem älteren Mann und einem jungen Mädchen zu arrangieren. Es war gerade zwanzig Jahre alt, sehr hübsch, so schön, dass selbst der Priester in der Kirche es immer verstohlen anschaute. Es kam aus sehr ärmlichen Verhältnissen. Er hingegen war ein Witwer und bereits um die sechzig Jahre alt; die ersten Zeichen des Alterns waren ihm bereits anzusehen. Eine besondere Eigenschaft hatte er allerdings: Er war stinkreich. Das Mädchen aber konnte ihn und seine verschwenderischen, abgeschmackten Gefälligkeiten ganz und gar nicht ausstehen. Und jeder im Dorf wusste, dass sie bereits einen anderen liebte, es war ein Bursche, der gerade seinen Militärdienst ableisten musste. Auch er war sehr arm, aber er war sehr fesch, ja er war ein Bild von einem Mann, ich bin sicher, er würde auch dir gefallen.
Die Eltern des Mädchens sahen den Heiratsplänen des Kupplers froh gestimmt entgegen. Sie rechneten nämlich damit, dass ihr zukünftiger Schwiegersohn nach der Hochzeit alle möglichen Anschaffungen tätigen würde, beispielsweise neue landwirtschaftliche Geräte kaufen, und die alten, aber noch gut erhaltenen ihnen überlassen würde. Auch der Bräutigam war überglücklich. Stolz erzählte er im Dorf jedem von seinen Heiratsplänen mit dem Mädchen. Dieses wollte davon absolut nichts wissen, auch wenn die Mutter es mit allen möglichen Argumenten zu überzeugen versuchte. „Lieber trete ich in ein Kloster ein!“, rief die Tochter. Auch der Kuppler versuchte das Mädchen zu beschwatzen. Ver­geblich. Der Vater probierte es mit strengeren Tönen. Auch der Priester redete auf sie ein. Doch es war, als ob sie allesamt gegen eine Mauer reden würden.
Eines Tages erhielt das Mädchen einen Brief von ihrem Liebsten. Darin stand, dass er sich in eine andere verliebt habe und diese nach Beendigung seiner Soldatenzeit heiraten wolle. Das war ein schlimmer Schlag für das Mädchen. Sie konnte ja nicht wissen, dass das alles nicht stimmte und der Brief vom Kuppler geschrieben worden war.

Das Mädchen war fast schon beim Aufgeben. Da ging sie einmal nach dem Kirchenbesuch heimwärts, der Weg führte an einem Sonnenblumenfeld vorbei. Es gehörte dem Kuppler. Er war gerade beim Ernten der Sonnen­blumen. Da sah er - ohne dass sie es merkte -, wie sie stehenblieb, um die nach unten gerutschten Strümpfe wieder über ihre wohlgeformten Schen­kel hinaufzuziehen. Er war wie vom Blitz getroffen! Trotz seines vorgerück­ten Alters verliebte er sich Hals über Kopf in sie, es war fast so, wie es in der biblischen Geschichte von den beiden alten Männern und der keuschen Susanna erzählt wird. Er trat aus dem Sonnenblumenfeld heraus auf den Weg, grüßte das Mädchen mit hochrotem Gesicht und lud sie zu sich nach Hause ein, um ein wenig über ihren Bräutigam zu reden. Sie dachte sich nichts dabei und ging mit ihm mit. Plötzlich packte er sie grob und zog sie hinein ins Sonnenblumenfeld, wo niemand sie sehen konnte, und überwäl­tigte sie. Doch das, was er mit ihr vorhatte, gelang ihm nicht so leicht. Mit allen Kräften, aber ohne einen Ton von sich zu geben, wehrte sich das Mäd­chen gegen ihn, denn ihr war klar, würde sie um Hilfe schreien, wüssten bald alle Leute im Dorf davon, und ihr Ruf wäre dahin. Nur das Keuchen und Stöhnen der beiden miteinander Kämpfenden war zu hören.

Die Sonnenblumen mussten zusehen, wie der Alte das Mädchen befum­melte, wie er sie grob an sich zog und versuchte, auf den Boden zu drücken, sie sahen seine unverschämten Küsse und schmutzigen Liebkosungen ... Da drehten sie ihre Köpfe angewidert auf die andere Seite. Als das Mäd­chen einige Zeit später siegreich das Feld verließ, senkten alle Blumen ihre Häupter, als Zeichen der respektvollen Bewunderung… und nie mehr erhoben sie ihre Köpfe.
Du kannst dir sicher denken, dass das Mädchen nicht den alten Witwer geheiratet hat, sondern ihren schneidigen Burschen, als er vom Militär nach Hause kam. Sie lebten glücklich und zufrieden, trotz ihrer Armut, und bekamen viele Kinder, es heißt, es seien fünfzehn an der Zahl gewesen. Ein Sohn wurde Priester und einer Mönch, drei Töchter traten ins Kloster ein. Drei Töchter und fünf Söhne heirateten, ein Sohn und eine Tochter blie­ben ledig, so weiß es die Geschichte ...

Befindet man sich einmal in einer gedrückten Stimmung, dann besorge man sich eine Sonnenblume und betrachte sie immer wieder. Mit ihrer sonnenähn­lichen Blütenform kann sie heilende Gedanken, Zuversicht und Lebensfreude schenken.

Sonnenblumen sind sogenannte Kompasspflanzen, denn sie richten ihre Blü­tenknospen bei sonnigem Wetter immer von Ost nach West, nach dem Gang der Sonne; nur dann, wenn sie reif sind, behalten sie die östliche Ausrichtung bei. Die Sonnenblume ist ursprünglich in Nord- und Mittelamerika beheimatet, wo sie als heilige Pflanze galt. Lonicerus beschreibt sie bereits im 16. Jahrhun­dert in seinem Kreuterbuch: „Sonnenblume und Indianische Sonne wird dieses Kraut also genennet von der schönen und grossen gestalt der Blumen, welche schön gelb und groß ist wie die Sonne. Sol Indianus dieweil sie aus dem newen Indien auß Peru herkompt."
Aus ihren Samen wird ein wertvolles Speiseöl gewonnen, die geschälten Ker­ne können sowohl roh als auch geröstet gegessen und verkocht werden. Sie sind aufgrund ihres Vitaminreichtums und des hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren sehr gesund. In Osteuropa ist die Sonnenblume besonders verbrei­tet, dort begann im 19. Jahrhundert auch ihr Anbau zur Herstellung des Son­nenblumenöls.
Befindet man sich einmal in einer gedrückten Stimmung, dann besorge man sich eine Sonnenblume und betrachte sie immer wieder. Mit ihrer sonnenähn­lichen Blütenform kann sie heilende Gedanken, Zuversicht und Lebensfreude schenken.

Quelle: Motta, Sandro, Ul fiur l’è amur, Cattaneo Editore, Oggiono/Lecco, 1992, S. 187, übersetzt und nacherzählt von Margareta Fuchs