Società | Bozner Lauben

„Tiat lei net zua“

Der internationalen Konkurrenz unter den Lauben trotzt der „Gasser“ ausgerechnet mit Knöpfen und Wäsche.
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Foto: Foto: Privat

In den Bozner Lauben gibt es immer mehr internationale Modeketten. Eines der ältesten Geschäfte, die noch verblieben sind, ist die Kurzwarenhandlung „T. Gasser“. Wie schafft es dieser Betrieb aus einer anderen Zeit, sich bis heute zu behaupten?

Eine Frau mit kurzen schwarzgefärbten Haaren und dünner Steppjacke kramt einen schimmernden grauen Knopf mit dunklem Rand und einen blauen Faden aus der Tasche und legt ihn auf den Tresen. Genau so einen Knopf möchte sie nochmal haben, aber in blau – im Blau des Fadens eben. Verkäuferin Elisabeth Burgmann hat die passende Auswahl rasch zur Hand. Gleich zwei Schubladen mit verschiedenen kleinen blauen Knöpfen hievt sie auf den Verkaufstisch. Die Knöpfe, die in die nähere Auswahl kommen, legt sie nacheinander auf den mitgebrachten grauen, um zu sehen, ob die Größe auch ganz genau passt.

Die Frage, warum sie hier herkommt, ist für die Kundin einfach zu beantworten: „Wo soll ich denn sonst hin? Es gibt ja nichts anderes.“ Und tatsächlich ist der „Gasser“, was Fäden, Knöpfe und Reißverschlüsse angeht, in der Bozner Altstadt Monopolist. 2006 hat mit dem Lanzenbacher die einzige andere Kurzwarenhandlung unter den Lauben geschlossen. Nähzubehör zu verkaufen ist personalintensiv, großes Geld lässt sich nicht verdienen. Mit diesem Geschäft die Miete unter den Lauben zu stemmen, ist fast unmöglich.

"Der Vermieter findet, traditionelle Geschäfte wie unseres sollen erhalten bleiben"

Tatsächlich ist eines der Geheimnisse hinter dem Fortbestand des 145 Jahre alten Geschäfts ein wohlwollender Besitzer, der für den Laden ein Stück weniger Miete verlangt, als er für den Standort unter den Lauben könnte. "Einmal ist ein Geschäftsmann vorbeigekommen, als ich im Laden war. Einer, der für die großen Ketten arbeitet. Auf die Frage, ob ich nicht an ihn vermieten will, habe ich ihn an den Besitzer weitergeleitet.", erzählt Wolfgang Sauer, der den Laden inzwischen führt. "Wie hoch das Angebot auch war, unser Vermieter ist glücklicherweise nicht darauf eingegangen. Er findet, traditionelle Geschäfte wie unseres sollen erhalten bleiben."

Dem Eigentümer der Immobilie ist wohl bewusst, dass mit der Schließung dieses Geschäfts eine Welt zusammenbrechen würde. Die gute Seele, die diese Welt zusammenhält, ist heute 97 Jahre alt. In den 70er Jahren hat Wolfgangs Sauers Mutter, Gertraud Kaufmann Sauer, den "Gasser" übernommen. Sie führte das Geschäft jahrzehntelang: "Jeden Tag von in der Früh bis abends bin ich im Geschäft gestanden.", sagt die alte Dame, der das Sprechen und an manchen Tagen auch das Erinnern sichtlich Schwierigkeiten bereitet. Aber heute ist ein guter Tag. Sie sitzt in rosa Strickjacke - natürlich mit ausgetauschten, besonders hübschen Knöpfen, in der Bar Luce, mit ihr Badante Ada und Sohn Wolfgang.

Ein Leben fürs Verkaufen

Als junges Mädchen hat Gertraud Kaufmann bereits die damalige Inhaberin des Ladens, Therese Gasser gekannt, davon zeugt ein Eintrag in ihrem Erinnerungsalbum, Jahr 1932. Gasser war eine progressive Frau und Gertraud Kaufmann hat bei ihr gewohnt, um in Bozen die Schule zu besuchen. Zwei ihrer Tanten arbeiteten bei Therese Gasser und an sie vermachte die Inhaberin dann auch ihr Geschäft. Nie hätte es sich Gertraud Kaufmann damals träumen lassen, dass dieser Laden einmal ihr Leben sein würde. Denn das war er, das spürt man bis heute. Die alte Dame strengt sich an, um dem Gespräch zu folgen und sich verständlich zu machen. Gern habe sie verkauft, am liebsten Wäsche, sagt sie, lächelt und murmelt nach einer längeren Pause: "einwandfrei".

"Sie war eine I-Tüpfelreiterin", sagt Verkäuferin Rosi Egger, die viele Jahre lang an ihrer Seite verkaufte. Und diese Genauigkeit prägt den "Gasser" bis heute. Jeder der über tausend Artikel hat seinen Platz in dem dunkel getäfelten, einen Laubenbogen schmalen Geschäft. Kurz nachdem Gertraud Kaufmann-Sauer den Laden von ihren Tanten übernommen hatte, ließ sie ihn umbauen und nahm nächtelang selbst Maß, um eigens gezimmerte Schubladen zu bestellen, in die all die verschiedenen Knöpfe, Zwirne, Bänder- und Spitzenrollen ganz genau hineinpassen. Bis zu ihrem 90. Geburtstag stand die Geschäftsfrau zwischen diesen Schubladen und verkaufte. Gegen Ende hatte sie sich mit dem Taxi in das Geschäft und wieder heim fahren lassen. Ein Sturz, der sie an den Rollstuhl fesselte, zwang sie schlussendlich zum Aufhören. Aber lange kam sie noch zu Besuch. "Und sobald sie in den Laden gerollt wurde, fing sie gleich an, Ordnung zu machen.", erinnert sich Sohn Wolfgang Sauer.

Stammkunden von Hamburg bis Palermo

Er hat die Liebe zum Detail von seiner Mutter geerbt. Seit seiner Pensionierung als Lehrer verbringt er immer mehr Zeit mit dem Geschäft, besucht Messen und Firmen in aller Welt, um neue Produkte und Kuriositäten zu erstehen. "Spezialwünsche zu erfüllen, macht mir besonders viel Spaß", sagt er und zeigt glitzernde Zierknöpfe, Hirschhorn-Trachtenknöpfe und vegane Knöpfe, die nur mit Pflanzenextrakten gefärbt sind. Für Trachtenzubehör und hochwertige Wäsche kämen Stammkunden auch aus Hamburg und Palermo hier vorbei.

Die große Auswahl und die teilnahmsvolle Beratung sind wohl das andere Geheimnis des Überlebens dieses Lädchens. Manch ein Kunde hat schon erlebt, wie die Verkäuferinnen das Schiffchen am Reißverschluss austauschten und so eine geliebte Jacke vor dem Umnähen oder gar Wegwerfen bewahrten. Um zu kontrollieren, dass die Farbe eines Fadens auch wirklich passt, werden KundInnen schon mal raus in die Laubengasse ans Tageslicht geschickt. "Das Internet" oder "Geschäfte mit eingeschweißten Knöpfen", wie Wolfgang Sauer sie abfällig nennt, beinahe empört über die Praxis, Knöpfe so einzusperren, seien da keine Konkurrenz.

Die Kundin, die die blauen Knöpfe brauchte, verlässt das Geschäft zufrieden. Und zufrieden ist auch Verkäuferin Elisabeth Burgmann: "Die Arbeit hier ist interessant. Wir helfen den Leuten mit ihren Problemen. Man muss herausfinden, was genau sie brauchen. Mit der Zeit bekommt man auch ein Gefühl dafür, wem was gefällt."

"Tiat lei net zua", hören die Verkäuferinnen oft, wenn sie wieder einmal genau das Richtige herausgekramt haben. Sie können dann beruhigen: Solang Leute kommen und der Vermieter es sich nicht anders überlegt, denkt hier keiner ans Zumachen.