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In Südtirol zuhause, wohnhaft in London

Zwei Südtiroler, die seit über einem Jahrzehnt in London leben, erzählen ihre persönliche Brexit-Geschichte
Stephan Kofler & Doris Piva
Foto: Privat

Stephan Kofler aus Meran und Doris Piva aus dem Sarntal leben seit fast zwanzig Jahren in Großbritannien. Er kam 2000 nach London, um nach seinem Studium in Weinbau und Önologie im internationalen Weinhandel Fuß zu fassen. Am Ende wechselte er in die Bierbranche, und ist heute Geschäftsführer im Vertrieb und Marketing der Krombacher Drinks UK GmbH. Seine Lebenspartnerin Doris kam zwei Jahre später nach England, zunächst, um in Kent Englisch zu lernen, dann zum Studium nach London. Heute leitet sie das RFP Team der Abteilung Institutionelles Business Europa, Naher Osten und Afrika bei BlackRock. Beide haben mittlerweile die britische Staatsbürgerschaft erhalten.

Wie die zwei Südtiroler das Brexit-Referendum, die anschließenden Debatten zwischen London und Brüssel, und den Regierungswechsel Großbritanniens miterlebten, erzählen sie im Interview mit Salto.

 

Salto.bz: Als Sie ankamen in London, wie wurden Sie als Nicht-Briten aufgenommen? Haben Sie sich fremd gefühlt, oder willkommen?

Stephan Kofler (SK) und Doris Piva (DP): Immer willkommen! London hatte zu der Zeit und auch jetzt viel zu bieten. London ist sehr divers und hat uns mit offenen Armen aufgenommen. Wir pflegen einen sehr internationalen Freundeskreis. Es war sehr einfach, neue berufliche Kontakte zu knüpfen und teils enge Freundschaften zu formen. 

Wie fühlen Sie sich jetzt in Großbritannien? Spüren Sie, dass die Stimmung umgeschlagen hat, und dass mehr Ablehnung des Fremden herrscht, als noch bei Ihrer Ankunft?

SK: Es ist immer noch wie damals. Wir fühlen uns weder in London, noch in der Provinz je abgelehnt, ausgegrenzt oder als Bürger zweiter Klasse. Es ist sehr offensichtlich, dass die Weltstadt London ohne die ganzen Europäer, die hier sind, nicht das London wäre, was es heute ist.

Zurzeit wollen wir Großbritannien nicht verlassen, können uns aber sehr wohl vorstellen irgendwann nach Südtirol zurückzukehren.  

Wie haben Sie die Debatte um den Brexit miterlebt?

DP: Es gab nach dem Referendum in 2016 viele verbale Auseinandersetzungen, persönliche Unstimmigkeiten und teils komplett unterschiedliche Meinungen zum Thema. Auch in Familien, die wir persönlich gut kennen. Die Mehrheit hat offen mitgeteilt, ob sie für oder gegen den Brexit gestimmt haben. Dies ist sonst eher selten. Mich persönlich hatte es geärgert, dass EU-Ausländer, die schon seit sehr vielen Jahren in Großbritannien ansässig sind, nicht wählen durften. In der Zwischenzeit haben jetzt viele Leute genug vom Thema, und wollen einfach weitermachen und zuversichtlich in die Zukunft blicken. 

Was beobachten Sie als „Außenstehende“: Welche Spuren hat der Brexit in der britischen Gesellschaft hinterlassen?

SK und DP: Wir sehen uns nicht wirklich als „Außenstehende“, auch wenn unsere Kultur und Sprache eine andere ist. Wir glauben aber, dass der Brexit die britische Gesellschaft gespalten hat und es viele Jahre dauern wird bis diese gesellschaftlichen Wunden heilen. 

 

Wie geht es EU-Ausländern in Großbritannien seit Boris Johnson Premierminister ist? Viele danken ihm seine klaren Aussagen. Haben Sie jetzt das Gefühl, dass Sie wissen, wie es mit Ihren Rechten weitergeht, und mehr Klarheit herrscht als noch zu Zeiten von Theresa May?

SK und DP: Mehr Klarheit herrscht sicherlich nach den letzten Wahlen, die politische Situation hat sich ein wenig stabilisiert. Vieles steht aber noch in den Sternen und finale Entscheidungen stehen noch aus. Für uns wird sich aber wenig bis nichts ändern, da wir britische Staatsbürger sind und somit bei den Rechten und auch Pflichten komplett gleichgestellt. Persönlich glauben wir nicht, dass es einschneidende Veränderungen für EU-Bürger geben wird, welche schon seit einigen Jahren hier ansässig sind. 

Wir dürfen nicht vergessen, dass es bei andauernder, fallender Nettozuwanderung aus EU und nicht-EU Ländern, gekoppelt mit annähernd Vollbeschäftigung in Großbritannien, kurz- bis mittelfristig Probleme bei der Besetzung von Stellen in den Branchen Einzelhandel, Gastgewerbe, Bau-, Gesundheits- und Sozialwesen geben wird.  

Und wie geht es jetzt weiter bei Ihnen?

SK und DP: Zurzeit wollen wir Großbritannien nicht verlassen, können uns aber sehr wohl vorstellen irgendwann nach Südtirol zurückzukehren.

Wir glauben, dass der Brexit die britische Gesellschaft gespalten hat

Glauben Sie, es gibt eine „gemeinsame europäische Identität“? 

DP: Ich glaube, es gibt durch den menschlichen Zusammenhalt, durch länderübergreifende Projekte usw. schon eine Art europäische Identität. Ich selbst fühle mich aber einfach nur als Südtirolerin. 

SK: Ich fühle mich in London wohnhaft, in Südtirol beheimatet und in der Welt zuhause. Ich glaube es wird sich als schwierig gestalten, eine nachhaltige, gemeinsame europäische Identität zu entwickeln ohne negative Auswirkungen auf Kultur und Sprache der einzelnen EU-Länder.  

Sie beide sind in internationalen Unternehmen in London tätig. Spüren Sie in der Firma und bei der Arbeit die Auswirkungen, die der Brexit auf die Wirtschaft hat?

SK: Ich bin seit 2014 in die Bierbranche umgestiegen, und bin verantwortlich für die Märkte Großbritannien, Irland und Italien. Großbritannien soll die Europäische Union am 31. Januar 2020 verlassen, dann wird es erstmals eine Übergangsphase geben. Welche Entscheidungen zukünftig in Bezug auf etwaige Zölle, eventuelle Einfuhrtarife und mengenmäßige Beschränkungen für Warenimporte getroffen werden, steht noch in den Sternen.