Società | Interview

“Ich konnte es kaum erwarten”

Karin Pfeifer ist vor sechs Jahren daheim ausgezogen. Der Schritt war mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Doch selbstbestimmt zu wohnen war ihr wichtig.
Karin Pfeifer
Foto: Privat

Alleine zu wohnen ist nicht für alle selbstverständlich. Karin Pfeifer musste lange kämpfen, bis sie in ihre eigenen vier Wände ziehen konnte. Die junge Frau gehört zu den Menschen mit Lernschwierigkeiten in Südtirol. Sie sollen von den neuen Richtlinien für das selbstbestimmte Wohnen profitieren, die die Landesregierung vor zwei Wochen beschlossen hat: mehr Möglichkeiten für das Wohnen, mehr Beratung und Unterstützung. “Jeder Mensch soll selbst bestimmen, wo und mit wem er wohnen will.” Diesen Satz sagte Karin Pfeifer bei der Präsentation der Richtlinien. Sie lebt seit fast sechs Jahren alleine. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen.

salto.bz: Frau Pfeifer, wo und mit wem haben Sie gewohnt bevor Sie alleine in eine Wohnung gezogen sind?

Karin Pfeifer: Am Anfang habe ich mit meinen Eltern gewohnt. In einem Haus. Es gab Konflikte. Die haben mich belastet. Es war also Zeit für mich, von daheim auszuziehen. Ich war ja auch schon etwas älter. Meine Eltern wollten, dass ich in eine Wohngemeinschaft mit anderen Menschen komme und Betreuer habe, die auf mich schauen. Aber ich habe gesagt, ich will eine eigene Wohnung.

Warum war es Ihnen wichtig, alleine zu wohnen?

Für mich ist es wichtig, alleine zu wohnen, weil ich selber entscheiden kann, wann ich was tue. Ich habe einmal in der Wohngemeinschaft in Bozen nachgefragt, wie es wäre, dort zu wohnen. Aber ich habe mich einfach nicht wohlgefühlt. Weil da müsste ich alles mit allen teilen und mich rechtfertigen, wo ich hingehe, wann ich daheim sein muss. Das mag ich einfach nicht.

Es braucht, den Schritt zu wagen, aber man wird ihn sicher nie bereuen

Wie sind Sie vorgegangen als Sie entschieden hatten, auszuziehen?

Das ist eine komplizierte Geschichte. Wegen der Konflikte daheim konnte ich mich bei der Arbeit oft nicht mehr konzentrieren. Mein damaliger Unterstützer hat mit mir geredet und gefragt, was los ist. Am Anfang wollte ich es ihm nicht sagen. Aber danach habe ich den Mut aufgebracht und mit ihm geredet. Er hat mir vorgeschlagen, zusammen zum Psychologen zu gehen und alles zu besprechen. Wir haben dann die Sozialassistentin dazugeholt. Es hat viele Gespräche gebraucht.

Wie haben Sie die Wohnung schließlich gefunden?

Am Ende haben wir mit der Sozialassistentin eine Lösung gefunden: Wir haben beim Wohnbauinstitut in Brixen um eine Sozialwohnung angesucht. Sie hat mir geholfen, das Formular auszufüllen.

Meine Eltern mussten auch einen Teil des Formulars ausfüllen. Aber sie wollten nicht. Sie wollten einfach nicht verstehen, dass ich alleine wohnen wollte. Ich habe gehofft, dass es am Ende doch geht. Zum Glück hat die Sozialassistentin Druck gemacht und wir konnten das Formular rechtzeitig abgeben. Ich war sehr froh, dass sie mir geholfen hat.

Es war wichtig, dass Sie jemanden hatten, der sie bei der Wohnungssuche unterstützt?

Ja, und der mich auch berät. Ich habe schon verschiedene Meinungen eingeholt. Aber ich habe jemanden gebraucht, der über diese Sachen Bescheid weiß und mich richtig beraten kann.

Es hat viele Gespräche gebraucht, am Ende haben wir mit der Sozialassistentin eine Lösung gefunden

Erinnern Sie sich an den Moment, wenn Sie in Ihre Wohnung eingezogen sind?

Ich habe es kaum erwartet, einzuziehen. Als es soweit war, habe ich mich gefreut. Am meisten Freude hatte ich, als ich selber kochen konnte.

 

Haben Sie sich gleich zurecht gefunden?

Ich habe mich gleich wohlgefühlt. Ich konnte die Möbel alle selbst aussuchen. Am Anfang habe ich Fehler gemacht. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass ich eine Lederhose nicht waschen darf. Ich habe sie trotzdem gewaschen. Sie ist eingegangen. Dann musste ich sie eben entsorgen. Aber aus Fehlern lernen wir.

Welchen Herausforderungen sind Sie noch begegnet?

Die einzige Herausforderung bezieht sich nicht auf das Wohnen direkt, sondern darauf, dass meine Eltern mich noch nicht richtig loslassen konnten. Ich habe heute noch Konflikte mit ihnen. Aber es geht schon ein bisschen besser.

Seit wann wohnen Sie in Ihrer Wohnung?

Im Mai werden es sechs Jahre.

Für mich ist es wichtig, alleine zu wohnen, weil ich selber entscheiden kann, wann ich was tue

Haben Sie jemals bereut, alleine zu wohnen?

Ich bin damals gerne ausgezogen. Manchmal fühle ich mich abends schon einsam. Dann bin ich froh, wenn ich Telefon kriege.

Warum ist selbstbestimmtes Wohnen so wichtig?

Man kann selbst entscheiden, was man kocht zum Beispiel, wann man heimkommt, wo man hingeht, welche Termine man wahrnimmt. Man braucht zwar schon Unterstützung in einigen Bereichen. Aber man kann das Leben so viel wie möglich selbstständig und unabhängig leben.

 

Welchen Rat geben Sie Menschen mit Beeinträchtigung, die, wie Sie, selbstbestimmt wohnen möchten?

Die Menschen sollen Mut haben, den Schritt zu wagen. Sie werden den Schritt sicher nie bereuen. Und auch wenn das Leben hart ist, müssen sie einfach weiterkämpfen. Weil wenn man ein Ziel vor Augen hat und das erreichen will, muss man kämpfen und nicht aufgeben.

Und wenn jemand Angst vor Veränderung hat?

Ich kenne einige, die Angst haben. Mein Rat ist, ein Gespräch zu führen, um Unterstützung zu finden und die Ängste zu besprechen. Dann sieht man die Vor- und Nachteile. Aber wenn man, wie ich gesagt habe, sich ein Ziel setzt und es erreichen will, soll man kämpfen. Man hat immer Angst vor irgendetwas. Das ist nicht nur beim Wohnen so. Wenn man sich nicht alleine darüber hinaussieht, kann man jemanden zu Hilfe holen.