Politica | Autonomiekonvent

“Liebe Italiener, wovor habt ihr Angst?”

Der Präsident des Autonomiekonvents meldet sich zu den jüngsten Polemiken zu Wort. Christian Tschurtschenthaler hat eine klare Botschaft.
Christian Tschurtschenthaler
Foto: Screenshot/Youtube

salto.bz: Herr Tschurtschenthaler, gegenseitige Schuldzuweisungen und Polemiken überschatten den Autonomiekonvent vor seinem Ende. Die Grünen werfen der SVP vor, mit der deutschen Rechten gemeinsame Sache zu machen. Die italienische Rechte warnt davor, dass die SVP die Italiener “entfernen” will. Ist der Konvent zum Spielball politischer Interessen verkommen?
Christian Tschurtschenthaler: In keinster Weise. Vergangenen Freitag (16. Juni, Anm. d. Red.) hatten wir die 26. Sitzung und ich kann sagen: Es war ein gutes Miteinander. Der Vorschlag für das Enddokument, den die zwei Juristinnen und der Jurist aufgrund der geführten Debatten erstellt haben und den wir am Freitag besprochen haben, ist ein sehr gutes Papier, das von allen – und ich betone allen –, die sich zu Wort gemeldet haben, sehr gelobt wurde. Ich finde, dass diese Tatsache im Vordergrund stehen muss.

Manche Mitglieder des Konvent, vor allem der italienischen Sprachgruppe, sind mit dem Dokument ganz offensichtlich nicht zufrieden. Oder wie erklären Sie sich die scharfen Töne?
Nun gut, der eine oder andere versucht nun, politisches Kleingeld daraus zu kassieren. Ich hingegen versuche, das Ganze objektiv zu bewerten.

Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern ganz klar um ein Miteinander!

Dann müssen Sie feststellen, dass nicht zu allen Themen ein Konsens gefunden wurde.
Natürlich gibt es einige Punkte, an denen sich die Geister scheiden. Es ist wie in der Familie: In Vielem gibt es Übereinstimmung, in einigen Dingen hingegen verschiedene Sichtweisen. Aber es war absehbar, dass die Meinungen in gewissen Punkten auseinander gehen würden. Und das passt auch so.

Da wäre etwa die Frage nach der Zukunft der Region…
Die Region in der heutigen Form ist nicht mehr zeitgemäß. Dazu gab es vor wenigen Monaten im Konvent einen Konsens.

Jetzt wird aber Sturm gelaufen?
Die Italiener im Land haben, ebenso wie die Trentiner, die Sorge, dass die Region zur Gänze gestrichen werden soll. Ich sage klar: Nein! Sondern es soll eine neue Form gefunden werden. Es geht nicht darum, dass man nicht mit dem Trentino zusammen arbeiten will – im Gegenteil. Südtirolern und Trentinern ist klar, dass wir nur gemeinsam stark auftreten können, um in Rom das Maximale für beide Provinzen zu erreichen. Das sollte die Kernaufgabe der Region sein. Sämtliche gesetzgeberischen Kompetenzen, die sie noch innehat, sollten hingegen auf die beiden Provinzen verteilt werden.

Ich muss bereit sein, die Botschaft verstehen zu wollen und nicht die Dinge anders interpretieren.

Riccardo Dello Sbarba spricht von einer “Achse SVP-Schützen”, die die Diskussion im Konvent dominiert – und sich schließlich durchgesetzt habe. Besonders zwischen Luis Durnwalder und Christoph Perathoner einerseits und Florian von Ach (inzwischen Generalsekretär der Freiheitlichen und als Bundesgeschäftsführer des Südtiroler Schützenbundes zurück getreten, Anm. d. Red.) andererseits hat es auffällig wenig Meinungsverschiedenheiten gegeben. Gibt es diese Achse tatsächlich?
Nehmen wir den Hinweis auf die “christlichen, auch vom Geiste des laizistischen Humanismus und Aufklärung geprägten Wurzeln des Landes” in der Präambel. Ja, hier sind wir als Südtiroler Volkspartei derselben Meinung wie die Gruppierung, die Florian von Ach vertritt. Das sind die Wurzeln unseres Landes. Das Heute kann nur verstanden werden, wenn man die Geschichte kennt. Aus diesen Wurzeln hat sich unser Land bis heute entwickelt – und dazu wollen wir auch stehen.

Nicht alle Menschen, die im Jahr 2017 in Südtirol leben, haben diese Wurzeln. Warum wird der kulturellen Vielfalt im Land im Entwurfspapier nicht Rechnung getragen? Zumal es ja dazu dient, das Autonomiestatut an die Gegenwart anzupassen und Visionen für das künftige Zusammenleben zu entwickeln.
Das ist richtig. Aber Sie hatten mich nach der “Achse SVP-Schützen” gefragt. Die hat es in dem Sinne gegeben als dass die oben genannten nun einmal unsere Wurzeln sind – und dieser Teil der Mitglieder des Konvent bekennt sich ganz klar dazu. Andere, ich würde sagen hauptsächlich einige italienischsprachige Mitglieder, sind anderer Ansicht. Walter Eccli (Vertreter der italienischen Sprachgruppe im Konvent, Anm. d. Red.) ist mit diesem Verweis vollkommen einverstanden. Doch jetzt wird so getan als ob sich die deutschsprachigen Südtiroler gegen die italienischsprachigen Südtiroler gestellt hätten.

Haben sie nicht?
Hier geht es nicht um ein Gegeneinander, sondern ganz klar um ein Miteinander! Wir haben alles Mögliche getan, damit nicht nur ein Papier entsteht, das allein von deutscher Seite getragen wird. Unser ganz klares Ziel war, dass es sprachgruppenübergreifend mitgetragen wird. Wenn jetzt einige Punkte herausgezogen werden, bei denen es verschiedene Sichtweisen gibt, dann muss ich einfach feststellen, dass ein doch sehr großer Teil dieses Dokuments eine große Übereinstimmung gefunden hat. Das muss die Botschaft sein, die aus dem Konvent hinausgetragen werden sollte – und nicht die Punkte, zu denen es kontrastierende Ansichten gibt. Aber ich verstehe schon, dass die Presse speziell auf Letzteres anspringt.

Wenn ihr wirklich mit großem Engagement hättet dabei sein wollen, hättet ihr auch am Anfang mehr Partizipation zeigen können.

Die italienischsprachigen Medien sprechen seit einigen Wochen davon, dass im Konvent eine “spaccatura” zwischen den Sprachgruppen stattgefunden habe…
Dieses Prädikat ist falsch! Einige versuchen, die Öffentlichkeit unkorrekt zu informieren. Ich als Präsident kann sagen: Das entspricht nicht dem, was in diesen wirklich vielen Sitzungen herausgekommen ist.

Nichtsdestotrotz wird diese angebliche Spaltung medial befeuert. Dabei ist es die italienische Sprachgruppe, die von Anfang wegen des geringen Interesses am Autonomiekonvent kritisiert worden war. Schreien die Leisesten nun plötzlich am Lautesten?
Ich habe mich mit dieser Analyse immer zurückgehalten, aber: Sie bringen es ganz genau auf den Punkt. Gewisse Leute – ich will keine Namen nennen – waren bei vielen Sitzungen nicht anwesend oder sind nach einer Stunde aufgestanden – führen jetzt aber das große Wort. Denen sage ich: Liebe Leute, es gibt ganz viele, die von der ersten bis zur letzten Sitzung bis auf wenige Ausnahmen immer anwesend waren.

Sie werden nicht leugnen, dass mit Dello Sbarba eines der aktivsten Mitglieder jetzt große Kritik vorbringt?
Riccardo Dello Sbarba war sehr fleißig, gar keine Frage. Aber es gibt andere, die sich zuletzt begonnen haben, sich sehr aktiv nach außen zu bringen. Denen sage ich: Wenn ihr wirklich mit großem Engagement hättet dabei sein wollen, hättet ihr auch am Anfang mehr Partizipation zeigen können. Aber jetzt das Haar in der Suppe zu suchen – das finde ich einfach nicht richtig.

Landeshauptmann Arno Kompatscher hat Südtirol während der Streitbeilegungs-Feier in Meran als “Heimat der Vielfalt” bezeichnet. Im Entwurf für das Enddokument fehlt der Bezug zu den neuen Mitbürgern. Noch einmal die Frage: Warum? Will die “Achse SVP-Schützen” den Landeshauptmann bloßstellen?
Nein. Lesen wir die Dinge bitte ganz klar: “Bekenntnis zur Europäischen Union und ihren Zielen und Grundwerten”, “aktive Teilnahme am europäischen Integrationsprozess” – das steht in der Präambel ganz genau drin. Wenn dies überlesen wird, tut mir das Leid, aber es steht klar und deutlich geschrieben. Die Botschaft ist genau in dem Sinne wie jene von Landeshauptmann Kompatscher in Meran. “Das kleine Europa in Europa” hat er Südtirol genannt. Diese Botschaft geht auch aus dem Konvent-Dokument hervor.

Nur verstehen sie nicht alle?
Man muss sich natürlich die Zeit nehmen und die Zeilen genau lesen. Ich muss bereit sein, die Botschaft verstehen zu wollen und nicht die Dinge anders interpretieren. Mir scheint es, als versuchten gewisse Leuten bewusst eine Disharmonie hineinzubringen, die es nicht gibt. Das große Ganze wird von allen – sprachgruppenübergreifend – mitgetragen. Wenn ich aber gewisse italienische Zeitungen lese, dann frage ich mich: Was wollt ihr? Welche Botschaft wollt ihr euren italienischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vermitteln?

Ist es nicht bezeichnend, dass alle fünf angekündigten Minderheitenbericht von italienischer Seite kommen?
Gewisse Leute sollten sich selbst auf die Finger klopfen. An dieser Stelle muss ich einige italienischsprachige Konventsmitglieder zu mehr Mut und mehr Vertrauen aufrufen. Bei einigen Vertretern der italienischen Sprachgruppe habe ich oft den Eindruck, als ob sie Angst hätten. Aber wovor habt ihr Angst?

Ich bin ja gespannt, was in den Minderheitenberichten drin stehen wird.

Wird die Mehrheit in Ihrer Partei, der SVP, das Abschlussdokument in dieser Form mittragen?
Es ist wichtig zu wissen, dass dieses Dokument im Landtag präsentiert und nicht abgestimmt wird. Gleich wie die Arbeitspapiere des Forum der 100 und die Minderheitenberichte. Danach ist es auch die Aufgabe des Landtages, mit den Trentinern zusammenzukommen. Ich fände es sinnvoll, wenn dazu eine Arbeitsgruppe im Landtag gebildet würde. Aber wir müssen grundsätzlich einmal dankbar sein, dass sich so viele Menschen über so lange Zeit freiwillig und ehrenamtlich eingebracht haben. Der Autonomiekonvent war ein einmaliger paritizipativer Prozess. Der erste in dieser Form, bei dem über so etwas Wichtiges wie das Weiterschreiben des 2. Autonomiestatutes diskutiert wurde. Es wurde großartige Arbeit geleistet.

Manche sehen das Experiment Autonomiekonvent als gescheitert an. Ihr Fazit?
Absolut positiv! Über viele Dinge, die es heute gibt – Europa, Euregio – wurde 1972 noch nicht gesprochen. Deswegen muss das Autonomiestatut an die heutigen Gegebenheiten und Erfordernissen angepasst werden. Dem haben wir im Konvent Rechnung getragen. Dafür gilt jedem Einzelnen, der sich beteiligt hat, ein großes Dankeschön. Ich selbst habe viel gelernt, andere Sichtweisen dargelegt bekommen. Und ich betone noch einmal: Die wichtige Botschaft aus dem Konvent ist, dass alle Mitglieder unisono den Vorschlag für das Enddokument sehr gelobt haben. Im Vordergrund soll nicht das stehen, was sich Einzelne jetzt herauspicken – Region, christliche Werte – und nicht passt. Ich bin ja gespannt, was in den Minderheitenberichten drin stehen wird. Jedenfalls ist mein Fazit ein gutes.

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Sepp.Bacher Mar, 06/20/2017 - 11:48

Tschurtschentaler wiederholt nicht nur einmal die Frage "Aber wovor habt ihr Angst?". Ich verstehe die Angst der Italiener voll. Es ist nachvollziehbar, dass sie sich immer mehr in der Minderheit und in die Ecke drängt fühlen. Hier können sie reinen Gwissens mit Silvio Magnago sagen "Man wird wohl noch Angst haben dürfen"! So wie Magnago, den Trentiner und den nationalen Politikern nicht ganz traute, so misstrauen die meisten Italiener zurecht der SVP und noch mehr den patriotischen deutschen rechten Parteien.
Es war abzusehen, dass die Überpräsenz der patriotischen Seite und die geringe Präsenz der italienischen Stadtbevölkerung sich im Ergebnis ausdrücken wird. Überraschend ist für mich, dass sich Leute wie der Gewerkschaftler Tschnett auf der einen Seite und der Grüne Dello Sbarba auf der anderen positionieren, anstatt zu vermittel und auf eine Konsens hinzuarbeiten, Dabei müssten aber beide Seiten von den Extrempositionen abrücken! Andernfalls könnte der Konvent das Gegenteil bewirken, als angestrebt!
Warum sollen Italiener nicht Angst haben, wenn der anderen Seite das Los von Trient und Los von Rom so wichtig ist??

Mar, 06/20/2017 - 11:48 Collegamento permanente
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Sepp.Bacher Mar, 06/20/2017 - 19:31

In risposta a di Manfred Klotz

Hallo Manfred Klotz, mein Eindruck ist, dass beide Papiere/Positionen, die das Resultat dieses Konvents sein sollen, bei der breiten Südtiroler Bevölkerung keine Zustimmung finden würden. Dafür bräuchte es einen dritten, einen Kompromiss-Vorschlag. Möglicherweise wäre eine Position wie jene der Juristen die richtige: eine Position, die niemanden brüskiert bzw. "bedroht".
Ganz unverständlich finde ich die Rolle und Position des Alt-LH, der 25 Jahre lang Zeit gehabt hätte, Südtirol von der Region loszusagen, wenn das so einfach wäre. Als Realpolitiker hat er aber immer auch Kompromisse gesucht und hat diplomatisch agiert, sich sogar bei den Italienern in Südtirol "Liebkind" gemacht. Wo ist sein Sinn für den Kompromiss und den Ausgleich - ja wo ist der Realpolitiker Durnwalder geblieben?

Mar, 06/20/2017 - 19:31 Collegamento permanente
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martin hilpold Mar, 06/20/2017 - 12:05

“christlichen, auch vom Geiste des laizistischen Humanismus und Aufklärung geprägten Wurzeln des Landes” steht in der Präambel und Herr Tschurtschentaler sagt: "das sind die Wurzeln unseres Landes." Im einst habsburgisch-katholischen Südtirol/Tirol hat es doch keine Aufklärung gegeben. Und der laizistische Humanismus kam auch verspätet. Das ist historisch doch beschönigend.

Mar, 06/20/2017 - 12:05 Collegamento permanente
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alfred frei Mar, 06/20/2017 - 14:24

Eine fortschrittliche, in die Zukunft gerichtete "Wurzelbehandlung” für das kleine/große Europa in Europa.
Nordtirol, Südtirol, Bayern und Trentino fordern die Selbstbestimmung. “Es geht nicht um ein Gegeneinander, sondern ganz klar um ein Miteinander”. Eine neue Heimat der Vielfalt ! Was für eine Botschaft !. Oder nicht ?

Mar, 06/20/2017 - 14:24 Collegamento permanente
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Martin Daniel Mar, 06/20/2017 - 15:32

Warum Herr Präsident, soll der Hinweis auf Europa der Bedeutung Südtirols als "Heimat der Vielfalt" Rechnung tragen? Das scheint ganz schön weit an den Haaren herbeigezogen. Ich glaube, der Landeshauptmann hatte ganz Anderes vor Augen, als u.a. mit diesem Konvent der Startschuss für eine Überarbeitung des Autonomiestatuts gegeben wurde, um es fit für die heutige Zeit und die Zukunft zu machen.

Mar, 06/20/2017 - 15:32 Collegamento permanente