Cultura | Salto Weekend

Innovation Digitalisierung Bauwirtschaft

Ein Gespräch mit Dominik Matt über die digitale Transformation der Baubranche.
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Foto: Ivan Bocchio

Thinking out of the Box!

Renzo Piano: Fortschritt und Innovation

Nur wenige Gebäude in der Geschichte der Architektur hatten solche kulturellen und architektonischen Auswirkungen wie das errichtete «Centre Pompidou», der erste Museumsbau von Renzo Piano (1937*). Mit vierzehn fertiggestellten Museen und Erweiterungen, sowie fünf weiteren sich in Arbeit befindenden Projekten dieser Art, hat Piano für diesen Bautyp mehr Aufträge erhalten als jeder andere Architekt.


Der Wettbewerbsbeitrag von 1977 für das «Centre Pompidou» beinhaltete den Vorschlag eines radikalen Eingriffs in die Stadt Paris und für das Konzept eines Museums. Das Projekt wurde vom damaligen Staatspräsidenten Georges Pompidou (1911–1974) veranlasst, der eine neue Kultureinrichtung im Herzen der Stadt schaffen wollte, in der die bildenden Künste im Kontext von Theater, Konzert, Literatur und Vorträgen ausgestellt werden sollten. Bei den Vorgaben für den Entwurf wurden Interdisziplinarität, Freiheit der Bewegung und des Durchgangs verlangt. Der Wettbewerbssieger, das Projekt des Teams von Renzo Piano und Richard Rogers in Zusammenarbeit mit Peter Rice vom Büro Arup & Partners (London), erfüllte all diese Anforderungen mit einem Bauwerk, das seit seiner Eröffnung im Jahre 1977 sowohl seine herausfordernde Präsenz als auch seine extrem hohe Verehrung behalten hat. Um möglichst große und flexible Flächen im Inneren zu schaffen, wurden alle konstruktiven Elemente und die Systeme der vertikalen Erschließung an den äußeren Rand des Gebäudes verlegt und auf der Fassade demonstrativ gezeigt. Jedes Element ist dabei farblich nach seiner Funktion codiert: Blau steht für Ventilation, Grün für Wasser, Rot für Aufzüge, Gelb für Elektrizität und Weiß für die tragende Struktur. Eine Rolltreppe, die von einer Plexiglasröhre eingefasst wird, führt an der Fassade in verschiedenen Teilstücken nach oben. Die Transparenz der Glasfassade macht die inneren Aktivitäten sichtbar und steht damit im Widerspruch zur traditionellen Ästhetik eines Museums als heiliger und verschlossener Bereich. Es war vorherzusehen, dass sich ein so großes und farbenreiches Gebäude niemals in den Kontext der Wohnbebauung des umgebenden Stadtviertels einfügen würde, aber es besitzt dennoch bemerkenswert deutliche Bezüge zu seinem Umfeld. Wie zum Beispiel die breite, leicht abschüssige Piazza vor der Eingangsfassade schafft einen Übergangsraum, der einen Austausch zwischen der offiziellen Kultur des Museums und der Straßenkultur unterstützt.


Das «Centre Pompidou» war für Renzo Piano eindeutig der Startpunkt für weitere Projekte, die er in unmittelbarer Zukunft realisieren konnte. 1975 war das Europäische Jahr des Architektur Erbes UNESCO, eine starke Debatte um die Regenerierung der Stadtzentren war europaweit kraftvoll verbreitet. In Frankreich, wie aber auch in Italien wurden gerade in alten Stadtkernen viele alte Wohnhäuser zerstört und mit teuren Neubauten ersetzt, bis jedoch ein Umdenken für die Bewahrung der Gebäude stattfand. Die Organisation UNESCO schrieb somit einen Ideenwettbewerb aus, um das kollektive Gedächtnis für die historischen Stadtzentren zu erwecken. Während die Baustelle des «Centre Pompidou» auf Hochtouren lief, konnte sich Renzo Piano mit dem Projekt «Laboratorio di quartiere» für diesen Wettbewerb behaupten.


Ungewöhnlich für diesen Entwurf war es, dass Piano grundsätzlich nichts Konkretes bauen wollte, sondern er hatte vor, mehrere Workshops zu organisieren und dies hatte er zuallererst für die Stadt Otranto in Apulien ausgedacht. Renzo Piano und Ingenieur Peter Rice, sein Partner in diesem Vorhaben, wollten zu nicht baulichen Lösungen für die Regeneration der heruntergekommenen Altbauten der Städte inspirieren. Somit schafften sie eine Plattform, welche das im Ort vorhandene Wissen über die Bauten und das Handwerk der Region auszunützen wusste: die Bewohner wurden so Teil der Lösung.


Il «Laboratorio di quartiere» war ein Würfel von 2,4 Metern Seitenlänge, der auf einem Lastwagen transportiert und auf einer Piazza aufgestellt wurde. Nachdem seine vier Seiten unter der Zeltüberdachung heruntergeklappt worden waren, sah man eine Reihe von Räumen, die Neugier wecken sollten und zu Aktivitäten einluden. Jede Seite bezog sich auf einen anderen Aspekt des Sanierungsprozesses. Im ersten Flügel wurden Vorschläge für unterschiedliche Haussanierung dargestellt und auf ihre Durchführbarkeit geprüft. Hier erklärte man auch der Gemeinde und den Handwerkern neue Arbeitsmethoden - weniger mit Apparaten als durch spezialisierte Berater. Die zweite Seite war der Dokumentation und Diskussion und der tatsächlichen Konstruktion gewidmet. Die dritte Seite enthielt außerdem eine Anzahl einfallsreicher Werkzeuge, die von ortsansässigen Handwerkern beherrscht und in ihrem speziellen Arbeitsbereich benutzt werden konnten. Der letzte Abschnitt enthielt moderne Geräte, mit denen schnell, einfach und präzise die physische Konstitution der Stadt begutachtet werden konnte. Selbst einige Techniken wurden aus der medizinischen Diagnostik ausgeliehen und inspiriert. Neben so fortschrittlichen Vermessungstechniken wie Photogrammetrie und Thermographie gab es klug improvisierte Methoden, zum Beispiel Luftaufnahmen mit einer einfachen motorbetriebenen Kamera, die an einem Heißluftballon befestigt durch die Stadt geführt wurde. Durch diesen Luftballon wurden Gassen und Fassaden detailliert aufgenommen, um somit Maßnahmen mit der Bevölkerung genauer besprechen zu können. Renzo Piano war somit Google-Maps um Jahrzehnte voraus.


Zudem wurden Baumaterialien auf einem mit Batterien betriebenen Traktor transportiert, der durch seinen niedrigen Reifendruck sogar Treppen steigen konnte. Um ihn zu fahren, musste ein Lenker neben ihm gehen. Materialien wurden mit einfachen elektrischen Lastenaufzügen befördert; bewegliche, an Brüstungen befestigte Hängebühnen machten Baugerüste in den engen Straßen überflüssig. Die Werkzeuge, die den alternativen Ansatz von Sanierung und Wiederaufbau am besten veranschaulichten, waren die, mit denen die Handwerker Elemente auf der Baustelle speziell anfertigen und ohne Anstrengungen aufstellen konnten. Zum Beispiel gab es ein Biegewerkzeug aus Metall, mit dem leichte Stahlstreben so genau angepasst werden konnten, dass sie baufällige Decken und Gewölbe stützten, ohne die darunter stehenden Möbel zu beinträchtigen. Hier wurde der normale industrielle Prozess umgekehrt: Nicht das Produkt, sondern die Fabrikation wurde zur Baustelle gebracht. Das Produkt selbst war ein Unikat und nicht standardisiert.


«Fortschritt und Innovation» passte sich also den traditionellen Gegebenheiten an. Meistens verhält es sich umgekehrt, doch hier wurde der Stadt und der Bevölkerung ermöglicht (anstatt sie davon abzuhalten), Einfluss auf ihre gebaute Umwelt zu nehmen und sie zu erhalten.



Corona-Krise als Antrieb für die digitale Transformation in der Baubranche