Economia | „VERDECONOMIA MITTENDRIN“, TEIL 7

Bei der Hofkäserei Englhorn in Schleis, auf den Spuren der "neuen" Wirtschaft

Diese letzte Ausgabe von „verdECOnomia mittendrin“ hat sich zu etwas Besonderem entwickelt. Klaus Egger und ich haben einen Abstecher im Oberen Vinschgau unternommen, bei der wir nicht nur mit Alexander Agethle von der Hofkäserei Englhorn ins Gespräch gekommen sind, sondern auch die Gelegenheit wahrgenommen haben, uns mit den BürgerInnenInitiativen „Hollawint“ und „Adam und Epfl“ auszutauschen.
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Dreh- und Angelpunkt unseres Besuchs ist der Gollimarkt: Ein traditioneller Jahrmarkt, der am 16. Oktober (Gedenktag des heiligen Gallus) in der Vinschgauer Marktgemeinde Mals stattfindet. „VerdECOnomia mittendrin“ bedeutet immer, dass Klaus und ich versuchen, bei unseren Unternehmensbesuchen auch mitzuarbeiten, um Betrieb und Mitarbeiter näher kennenzulernen. Ehrensache, dass wir diesmal am Vorabend des „Gollimarktes“ nach Mals fahren und uns bei Konrad Meßner freiwillig für die Mitarbeit beim Marktaufbau am nächsten Morgen melden. Vereinbarter Treffpunkt: 5 Uhr früh im Dorfkern von Mals.

Der Abend davor: die Pestizidbelastung für Lebensraum und Biolandwirtschaft

Bevor wir so früh aus den Betten geworfen werden nutzen wir die Chance, um VertreterInnen der Bürgerinitiativen „Hollawint“ und „Adam und Epfl“ kennenzulernen. Das Obere Vinschgau kann einem Außenstehenden durchaus als Bollwerk weitblickender und kritischer Bürgerbewegungen erscheinen: Was bewegt die Menschen, sich für diese Initiativen zu engagieren? Wir lernen Pia Telser kennen, von der Umweltschutzgruppe Vinschgau und der Bürgerinitiative „Hollawint“. Sie erklärt uns, wie aufgrund der intensiven Landwirtschaft der Einsatz chemischer Pestizide im umliegenden Lebensraum seit Jahren massiv angewachsen ist, und wie die breite Bevölkerung - allen voran die Frauen in den Gemeinden! - nicht länger zuschauen will, wie durch die wachsende Pestizidbelastung kleine Biobauern ihres Lebensunterhaltes, Tiere und Menschen einer gesunden Umwelt beraubt werden. Die BürgerInnen haben es sich zum Ziel gesetzt, ihr Recht auf eine gesunde Gemeinde einzufordern: auf gesunde Luft, gesundes Wasser und gesunden Boden. Ernst Bayer, Biolandwirt und Fotograf, zeigt uns anhand einiger konkreter Beispiele wie schwierig es ist, biologisch oder biodynamische Landwirtschaft zu betreiben, wenn die Nachbarbetriebe konventionelle Landwirtschaft - häufig Obstmonokulturen – mit intensiver Nutzung von chemischen Pflanzenschutzmitteln betreiben. Wir lernen wie falsche Sprühwinkel, Infiltrationen über den Boden, Windverwehungen dazu führen können, dass ein biologisch zertifizierter Betrieb einen unverschuldeten Ernteausfall tragen muss: Weil die eigene Produktion durch Pestizidbelastungen nicht mehr den Biozertifizierungen entsprechen kann. Es leuchtet ein, dass man Möglichkeiten finden und notfalls auch Rechte einklagen muss, damit die Biobauern der Region in ihren Produkten und auf ihrem Boden frei von Belastungen von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln spritzender Nachbarn sind. Die Menschen von „Hollawint“ arbeiten dabei intensiv auf verschiedenen Ebenen:

  1. Sie informieren, über die schädlichen Einflüsse der Pestizide, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden.
  2. Sie unterstützen eine Volksabstimmung für eine Pestizid-freie Gemeinde Mals.
  3. Sie gehen in den Dialog mit Bevölkerung, Landwirten und Verbänden, und wollen die Diskussion über die landwirtschaftliche Entwicklung des Oberen Vinschgaus weiterbringen.
  4. Und sie engagieren sich für eine Umkehr in der Landwirtschaftspolitik, mit weniger Monotonie, und mehr Vielfalt.

Was Klaus und mich besonders beeindruckt ist die besonnene Art, mit der die Frauen und Männer von „Hollawint“ an die Sache herangehen. Obwohl das Dorf mit Transparenten behangen ist, sind alle Belangbotschaften durchwegs positiv formuliert. Konfrontation wird vermieden, man sucht eine Diskussionsgrundlage auf Augenhöhe. Ein positives Beispiel, finden wir, an dem sich manch andere Situationen (Sexten?) durchaus ein Stück abschneiden könnten.

Regionales Wirtschaften, Gesundheit, Existenzsicherung und Vielfalt

Den Ansatz der befreundeten Initiative „Adam und Epfl“ erklärt uns Armin Bernhard. Die Initiative beobachtet nun seit Jahren die anstehenden Veränderungen im Oberen Vinschgau, die durch eine schleichende Verschiebung der angestammten Kulturlandschaft in Richtung „monokultivierte Obstwiesen“ einhergehen. „Adam und Epfl“ ist der Meinung, dass darüber in aller Offenheit geredet werden soll, weil diese Entwicklung den Obervinschgau nachhaltig verändern wird: und zwar nicht nur die Landwirtschaft, sondern alle, die im Tal hier leben oder urlauben. Die Bürgerinitiative möchte verhindern, dass die derzeit schleichende Entwicklung Überraschungen ans Tageslicht fördert, und sie möchte dazu beitragen, dass zu diesem sehr emotionalen Streitthema die Diskussion konstruktiv geführt wird. Feindbilder wirken allemal destruktiv! „Adam und Epfl“ hat sich mit der Sache intensiv auseinandergesetzt, hat Fachgruppen gebildet, die auch die Mitarbeit der konventionellen Landwirtschaft angeregt und unterstützt hat. „Ob das Ziel, einen nachhaltigen Veränderungsprozess umzusetzen, erreicht wurde“, frage ich Armin, um den Stand der Entwicklung einschätzen zu können. Die Antwort lautet bisher Nein, „Adam und Epfl“ versucht bereits einen neuen Schritt zu positionieren: über eine Veranstaltung „Paradies Obervinschgau“ aufzuzeigen – und eine Diskussion zu zünden – wie „sinnlich“ der Vinschgau sein kann. Das Symbol dabei sind Schlangen, Schlangen die zur Diskussion um die Zukunft des oberen Vinschgau ein laden. Auf Höfen und in Gaststätten wurden Produkte verkostet, in Gärten wird die Vielfalt bestaunt und am Morgen den Vögeln gelauscht. Dabei steht aber immer die zentrale Frage im Mittelpunkt: In welche Richtung soll sich der obere Vinschgau verändern?

Ein Problem, den uns „Adam und Epfl“ meldet, ist die extreme Verteuerung von Kulturgrund in den letzten Jahren. Angezogen von günstigeren Grundstückspreisen sind Großproduzenten aus den gefestigten monotonen Obstanbauregionen nach Mals gekommen, um ihre Produktion weiter aufzustocken. Der Verkaufsdruck auf Grundstücke, der durch diese Nachfrage von außen entsteht, wird weiter verstärkt durch die Tatsache, dass die Realteilung im Erbwege viele Grundstücke an Nichtbauern vererbt hat, die diese nun zu hohen Preisen verkaufen. Biobauern aus der Region haben keine Chance, bei diesen Grundstückspreisen mitzuhalten. „Was könnte unternommen werden, um diesen Biobauern zu helfen“, fragt Klaus die Vertreter von „Adam und Epfl“? Sie schildern uns, wie nun versucht wird, mit BürgerInnenKapital Grundstücke zu kaufen, um diese dann der ökologischen oder extensiven Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Der Weg einer Genossenschaft scheint für dieses Vorhaben ideal zu sein.

Der integrierte Obstanbau in Südtirol

Von Peter Gasser, seit 30 Jahren Tierarzt und Mitglied der Umweltschutzgruppe, lernen wir welche Möglichkeiten für ein Nebeneinander der Obst- und Viehbauern bestehen. Diesbezüglich wurde 2008/2010 sogar eine Fibel erarbeitet. Wir diskutieren auch das Thema integrierter Obstanbau, und stellen fest, dass eigentlich mit dem von der „Arbeitsgruppe für den Integrierten Obstanbau in Südtirol“ erarbeiteten Agrios-Programm eine solide Arbeitsgrundlage vorhanden wäre. Leider, so die Wirklichkeit, erschöpft sich das Agrios-Programm in einer Menge von „kann“ Bestimmungen, und sehr wenig „muss“ Vorgaben.

Der Druck nach immer höheren Produktionen und immer einheitlicheren Monokulturen führt dazu, dass kaum eine dieser „kann“ Bestimmungen eingehalten werden. Das Ziel wurde nicht erreicht. Was bleibt nun übrig, als eine Volksbefragung zu initiieren, mit dem Ziel, Mals zu einer pestizidfreien Gemeinde zu führen? Peter ist überzeugt, dass sich die Obstwirtschaft – genau wie vor Jahrzehnten die Weinwirtschaft – von einem quantitativen Wachstum auf ein qualitatives Wachstum umstellen muss.

Dabei sind genau die gegenwärtigen Subventionierungen der Landwirtschaft nicht hilfreich, da sie immer auf produzierte Mengen schielen. Bauern werden damit stets dazu verleitet, „mehr“ und nicht „besser“ zu produzieren. Wir vertiefen uns in einer intensiven Diskussion über den großen Einkommensunterschied zwischen Bergbauern und Obstproduktion, und wie unsere gegenwärtige Subventionspolitik diesen Zustand weiter verschärft.

Es war ein intensiver Gesprächsabend, den Klaus und ich genutzt haben, um die Probleme im Umfeld von intensiver und extensiver Landwirtschaft kennenzulernen. Probleme, die den Landwirt selbst, aber auch die in seiner Umgebung lebenden BürgerInnen betreffen. Wir sind uns sicher, dass dies nicht das letzte Treffen sein wird, dass wir mit den Frauen und Männer der Bürgerbewegungen im Oberen Vinschgau haben werden. Danke euch, „Hollawint“ und „Adam und Epfl“ für den spannenden Gedankenaustausch! Wir lassen den Abend ausklingen und gehen vor Mitternacht zur Ruhe, um am frühen Morgen beim Aufbau der Marktstände ordentlich mitarbeiten zu können.

Der Gollimarkt

Der Gollimarkt hat eine lange Tradition: Er wurde zusammen mit dem Georgimarkt 1642 anlässlich der Erhebung des Ortes zur Marktgemeinde durch Erzherzogin Claudia de’ Medici eingerichtet. Der Markt, der in den 1990er Jahren zu verschwinden drohte, wurde in den letzten Jahren durch ein sehr engagiertes Marktkomittee wiederbelebt. Die Ausweitung der gehandelten Waren auf landwirtschaftliche Produkte aus der gesamten Region um das Dreiländereck Vinschgau-Engadin-Landeck verhalf dabei dem Markt zum Durchbruch. Eine qualitative Aufwertung beim Wiederaufbau des „Gollimarktes“ liefert dabei Konrad Meßner vom Kulturverein „arcus raetiae“ seit Jahren. Sie haben richtig gelesen: Die Wiederbelebung eines traditionellen Marktes, die Aufwertung der regionalen Handwerkskunst und Landwirtschaft, als Kulturarbeit.

Wir treffen Konrad Meßner um 5 Uhr früh, bei Nieselregel und Dunkelheit, in der Fußgängerzone von Mals. Zusammen mit vielen anderen Helfern aus der Dorfgemeinschaft – darunter auch begeisterte SchülerInnen – bauen wir schnell und möglichst geräuscharm eine Unmenge an Marktständen auf. Faszinierend dabei zu beobachten, wie die gesamte Bevölkerung ehrenamtlich bei der Marktvorbereitung mithilft: Tischler haben an diesem Tag sogar offizielle Betriebsschließung, um die vielen Marktstände vorzubauen.

Zweieinhalbstunden später, ordentlich erschöpft aber mit dem Gefühl, sinnvoll mitgearbeitet zu haben, ziehen wir uns zum Frühstück zurück, und bereiten uns für den zweiten Teil unseres „Gollimarkt“ Engagements vor: ein Informationsstand für die Grünen Verdi Verc. Wir haben uns einen Stand im Dorfkern angemietet, um mit den BürgerInnen vor Ort ins Gespräch zu kommen!

Die Hofkäserei Englhorn in Schleis

Am frühen Nachmittag geht’s nun endlich los, zur Hofkäserei Englhorn in Schleis, ein kleiner von Alexander Agethle geführter Familienbetrieb. Der Hof ist überschaubar: ein Dutzend oder so Kühe, ein Lagerraum, ein Herstellungsraum und die Verkaufstheke. Mehr war bisher nicht notwendig, denn der vielmals prämierte Käse der Familie ist nicht für die Masse. Liebhaber aus der gesamten Region tingeln in das kleine Dorf im Obervinschgau – hier kommt her, wer davon weiß.

Alexander ist in seiner Arbeit vor allem eines wichtig: Nachhaltigkeit. Er studierte Landwirtschaft und reiste um die Welt, bevor er sich auf dem Hof seiner Eltern eine Existenz mit der Käserei aufbaute. Er arbeitete bereits als Kind im elterlichen Betrieb mit, übernahm damals die Buchhaltung, und hat heute erfolgreich einen Generationenübergang durchgeführt, und sich dabei auch die Freiheit erarbeitet, die Betriebsziele zu verändern. Das war natürlich nicht immer einfach: Die elterliche Skepsis zu den neuen Ideen war nicht von der Hand zu weisen. Aber heute leben die alte und die junge Generation unter einem Dach, und Alexander ist froh um den manchmal kritischen Blick der Eltern.

Heute ist er einer dieser Bauern mit den “glücklichen Kühen”, von denen oft gesprochen wird. Am Betrieb hängen noch die Prämienplaketten der elterlichen Herde: 5000, 6000, 7000, 8000 und noch mehr Liter Milch wurden zu früheren Zeiten prämiert. Heute führen hier die Vierbeiner ein noch beneidenswerteres Leben: Jede Kuh gibt nur so viel Milch wie sie kann – somit nimmt man sich Zeit für die Herstellung, setzt weder Mensch noch Tier unter Produktionsdruck. Die Milchleistung von Alexanders Kühe ist wieder auf dem Niveau der 80er Jahre, der Hof hat schon lange keine „Leistungsplakette“ mehr erhalten. 

Wer unsere bisherigen Betriebsbesuche verfolgt hat, weiß um den Sinn des Gemeinwohls in einem Betrieb. Das Wohl der Mitarbeiter, der Zulieferer, in diesem Fall auch der Tiere soll seinen berechtigten Platz im Unternehmensziel finden. Für Alexander macht das sowieso Sinn: für das Endprodukt Käse zählt bei ihm nur kompromisslose Qualität, und das beginnt bereits mit der Auswahl der richtigen Rasse, dem richtigen Füttern und natürlich auch mit einem geringeren Ertrag. Den ganzheitlichen Gedanken lebt Alexander auch bei der Tierzucht: er lässt den Kühen die Hörner wachsen: Dadurch ergibt sich auch ein völlig anderes Sozialverhalten der Tiere. „Warum werden Hörner überhaupt abgeschnitten?“, frage ich Alexander, um seine Entscheidung noch besser zu verstehen. „Das Abschneiden der Hörner ist eine reine Rationalisierung“, meint Alexander, ein typisches Beispiel dafür, wie in einem Betrieb, der nur auf Quantität ausgerichtet ist, kein angenehmer Platz für Vieh und Mensch sein kann. Fasziniert erfahren wir von Alexander, wie auch das „Hörner Richten“ eine Wissenschaft für sich ist.

Alexander hat sichtlich Spaß am Unternehmer sein, aber auch Spaß am Stall. Diese Arbeit kann und will er nicht wegdelegieren, sein ehrlicher Bezug zur Landwirtschaft, zur Stallarbeit, strahlt bis in sein Produkt aus. 

Er führt uns in den Stall, der nahezu leer ist. Der Grund ist einfach – Alexander schickt seine Tiere jeden Tag (bei Sommer, Wind, Regen oder Schnee) für Stunden ins Freie. Nur ein paar kleine Kälber liegen im Stroh, zwar etwas von den Fliegen gestört, aber sonst rundum glücklich. Die Fliegen kommen daher, dass Alexander alle Gifte aus dem Stall verbannt hat, auch Insektenfallen. Spätestens für den nächsten Sommer will er eine natürliche Lösung für das Fliegenproblem angehen. Die Leidenschaft des Züchters kommt auch zum Vorschein, als uns Alexander erklärt, wie er die Zuchtherde des Vaters aufgelassen hat, um die bedrohte Schweizer Rasse „Original Braunvieh“ (die bereits um 900 historisch erwähnt wird) wieder im Betrieb einzuführen. Der Stall ist schlicht und nicht hochtechnisiert, das einzige technische Element derzeit noch ein Gerät, an dem jede Kuh noch eine begrenzte Menge an Kraftfutter erhält. Nächstes Jahr wird auch diese Restmenge ausgesetzt.

„Werden Kühe auch krank?“, fragen wir, da wir den Vorabend in Gesellschaft eines Tierarztes verbracht haben. Sicher, meint Alexander, und zeigt uns aber auch gleich seinen Schrank für die kleinen Wehwehchen seiner Tiere: Homöopathische Arzneimittel, die jeder von uns auch daheim haben kann. Im Einsatz bei Tieren mit 600kg Lebendgewicht. Man müsste den Kopf schütteln, wenn man es nicht selbst gesehen hätte.

Alexander war viele Jahre nicht in seiner Heimatgemeinde. Nach Unterrichtsjahren in der nahegelegenen Klosterschule und der Landwirtschaftsschule in Auer zog es den jungen angehenden Landwirt zum Studium nach Florenz, wo er dann aber auch für ein Jahr nach Kalifornien abhaut. An der california polytechnic state university bemüht er sich um einen Studienplatz. Ausgestattet nur mit einem Touristenvisum und dem Ehrgeiz eines jungen Studenten gelingt es Alexander, einen free mover Platz zu erhalten. So kann Alexander Gasthören, auch über Clonen, Embryotransfers, und High Tech in der Landwirtschaft. Da er wegen seines noch fehlenden Militärdienstes kein Visum für weitere Jahre in USA erhält, setzt sich sein Curriculum schließlich in Florenz fort, dann Zivildienst beim Weissen Kreuz, auch zwei Jahre im Alpenforschungsinstitut in Garmisch, und schließlich fünf Jahre mit der Caritas Luzern im Kosovo.

Als Alexander zurück nach Hause kommt, plant er die alte Dorfsennerei wieder in Betrieb zu nehmen. Das Gebäude wurde 1938 fertiggestellt, und blieb bis in die 70er Jahre aktiv. Bis zum Jahre 2000 war die alte Sennerei zur reinen Sammelstelle für die Milch des ganzen Tales degradiert worden, und seither eigentlich stillgestellt. Alexander beschließt, die Sennerei zu übernehmen und auszubauen, und seine Vision seines Betriebes weiter zu entwickeln. Der Business Plan dazu ist sauber auskalkuliert. Aus Eigenmittel, Beteiligungskapital in Form von „Käsevorverkauf“ und einen Ethical Banking Kredit ist das Finanzierungsmodell aufgebaut.

Die Gesamtinvestitionssumme (Kauf, Gebäudesanierung und Käsereieinrichtung) beläuft sich auf ca. 350.000 Euro. Ein Teil dieser Investition wird laut Business Plan über den Käsevorkauf gedeckt. Interessenten erwerben dabei heute Käsegutscheine, sogenannte Englhörner, die anschließend jährlich, über die kommenden 10 Jahre verteilt, zugeschickt werden. Die investierte Summe wird zum Käsepreis von heute umgerechnet und der Investor erhält für die nächsten 10 Jahre - unabhängig von Teuerung und Geldentwertung – immer dieselbe Menge besten biologischen Rohmilchkäse.

Klaus und ich lernen: Der Verkauf von Lebensmitteln in Form von Gutscheinen gilt laut dem italienischen Zivilgesetzbuch - codice civile ( art. 1472) als „ vendita di cosa futura - Kauf künftiger Sachen“ und ist eine anerkannte wie auch einfache Finanzierungsform. Entwickelt hat das Finanzierungsmodell dabei Alexander selbst, als er zusammen mit einem befreundeten Unternehmensberater aus Deutschland die Möglichkeiten der Einbindung von sogenanntem Bürgerkapital untersuchte, und im Austausch mit dem Bildungwissenschaftler Armin Bernhard von der Bürgerinitiative „Adam und Epfl“ vertiefte. Für ein „normales“ Unternehmen wäre es eine steuerliche Belastung, heute Einnahmen zu erwirtschaften, die anschließend Ausgabenverpflichtungen für die nächsten 10 Jahre bedeuten. Aber wir kombinieren: Für einen bäuerlichen Betrieb, der nur nach dem Katasterwert besteuert wird, ist diese Form der Finanzierung problemlos machbar. Und ein Stück weit ist diese Finanzierung auch eine Abkoppelung vom bestehenden Geldsystem. Chapeau, Alexander, für dein ethisches Finanzierungsmodell!

Eine breite Kunden- bzw. Interessentenbasis ist nun notwendig, um das benötigte Bürgerkapital einzusammeln. Wobei, so sinniert Alexander, auch Unternehmen Multiplikatoren sein könnten: Würden nämlich Unternehmen seine Käsegutscheine erwerben, könnten hochwertige Weihnachtsgeschenke für die eigenen Mitarbeiter daraus entstehen.

Die Hofkäserei Englhorn hat noch viel vor, wie uns Alexander erläutert. Derzeit noch über die Hackschnitzelanlage eines Nachbarn mit Heizenergie versorgt, soll für den zukünftigen Betrieb eine eigene Heizanlage betrieben werden, um während der sensiblen Käseproduktion eine 100% verlässliche Energiequelle zu haben. Obwohl heute zum Beispiel nur jeden zweiten Tag gekäst wird, erwartet sich Alexander den nächsten Qualitätssprung, sobald an jeden Tag gekäst wird. Der Senn könnte sich dann hauptberuflich um die Produktion kümmern – und nach zehn Jahren seinen anderen Nebenjob an den Nagel hängen.

Den Perfektionismus, den Alexander in seinem Produkt steckt, findet man auch sonst im Betrieb. Mir fällt das Logo der Produkte auf, es ist stimmig mit der Botschaft, die Alexander transportiert. Wie ist das Logo entstanden, frage ich? Wir erfahren von einem über einem Jahr langen Prozess, bis Logo und visuelles Marketing abgestimmt waren.

Hochwertiges Produkt, stimmige Vermarktung, kein Wunder dass der Käse der Hofkäserei schon zahlreiche internationale Preise gewinnen konnte. Schön, dass auch „Slow Food“ diese feine Käserei entdeckt hat. Zu den internationalen Preisen zählen bereits:

  • Die Goldmedaille bei der Olympiade der Käse in Oberstdorf (D) 2007
  • Die Goldmedaille beim International organic cheese award in Thiene (I), 2008
  • Die Goldmedaille beim World Cheese award in Las Palmas (Gran Canaria), 2009
  • Die „Super Gold“ beim Wold Cheese award in Birmingham (GB), 2010

Die Betriebsbesichtigung schließen wir im Keller ab, wo nur noch wenig Käse vorliegt, obwohl die Menge ursprünglich bis Ostern reichen sollte. Da der neue Käse noch nicht fertig gereift ist, musste zwischenzeitlich der Wiederverkauf gestoppt werden. Viel Arbeit steckt in der Pflege der Käselaibe: jeden zweiten Tag werden diese in Salzlake gewaschen. Von Alexander erfahren wir noch die Herausforderungen, die ein Landwirtschaftlicher Betrieb auch bei der Vermarktung der eigenen Produkte hat: Handelsspannen müssen eingerechnet werden, und das eigene Produkt darf ab Hof nicht zu Konditionen verkauft werden, die das Geschäft der Wiederverkäufer beeinträchtigen würden. Eine klare Form von Handelskalkulation, die zwar allgemein bekannt ist, im bäuerlichen Kontext aber erst dann zum Tragen kommt, wenn Vertriebspartner eingebaut werden. Klaus und ich wissen Bescheid – mit dem Thema haben wir uns beim fünften Teil von „verdECOnomia mittendrin“ bereits auseinandergesetzt, damals noch mit Günther Hölzl und Ulrich Wallnöfer von PUR Südtirol.

Die Eindrücke dieser „verdECOnomia“ Tour werden uns noch lange begleiten. Bürgerinitiativen, die Wiederbelebung eines traditionellen Marktes als Kulturarbeit, und ein faszinierendes Gespräch mit einem Unternehmer, der unbeirrt von der „alten Wirtschaft“ seinen heutigen Betriebserfolg über Qualität und Regionalität definiert, sind unser Gepäck auf die Rückreise. Wir wissen, dass es diese Unternehmen sind, die uns zeigen können, was die regionale Wirtschaft sein kann.

Danke, Alexander, für das intensive Gespräch, und viel Erfolg bei den nächsten Unternehmensschritten!