Ambiente | Pestizide

Sensible Studie

Auf 29 von 71 untersuchten Spielplätzen sind Rückstände von Pestiziden gefunden worden. Natur- und Umweltschützer fordern nun “Null-Toleranz-Zonen”.
Kinderspielplatz
Foto: Südtirolfoto/Helmuth Rier

“Das kann es nicht sein!” Klauspeter Dissinger hat, gemeinsam mit Andreas Riedl und Koen Hertoge, soeben eine Studie präsentiert, die Kinderspielplätze auf Pestizidrückstände untersucht hat. “Wir haben jetzt eine Reihe an Forderungen an die Politik”, tönt Dissinger.
Der Präsident des Dachverbands für Natur und Umweltschutz sitzt am Freitag Vormittag zwischen Geschäftsführer Riedl und Hertoge vom Pesticide Action Network (PAN) Europe am Tisch. Gemeinsam stellen sie die “Studie zur Pestizid-Kontamination von Spielplätzen im Obstbaugebiet Südtirols” vor. Eigentlich hatte man das vor Wochen machen wollen, aber man wollte vermeiden, in die Pestizid-Polemiken zwischen München, Mals und Bozen hineingezogen zu werden. “Wir wollen weder uns noch die Ergebnisse der Studie nicht instrumentalisieren lassen, weder von der einen noch der anderen Seite”, heißt es am Freitag von den Umweltschützern.

Vorausgeschickt

Bevor die Ergebnisse auf den Tisch gelegt werden, will Andreas Riedl etwas klarstellen: “Wir wollten nicht ‘unbedingt etwas finden’. mit dem Finger auf jemanden zeigen oder Polemiken schüren, wie manch einer vielleicht denkt, sondern ein möglichst objektives, neutrales und transparentes Bild vermitteln.” Und zwar zur Frage “Sind auf Grasflächen von Kinderspielplätzen im Obstbaugebiet Südtirols während der Hauptspritzzeit Pestizide nachweisbar?” Die Antwort lautet: Ja.

Zwischen 16. und 23. Mai dieses Jahres haben Mitarbeiter des akkreditierten Unternehmens “BioProgramm” aus Padua Proben von Grasflächen auf insgesamt 71 Kinderspielplätzen entnommen. Diese wurden statistisch aus der Liste der VKE-Spielplätze ermittelt und befinden sich allesamt in Gebieten, wo Obst und/oder Wein angebaut wird: 21 im Vinschgau, 20 im Etschtal, 20 im Bezirk Überetsch-Unterland und 10 im Eisacktal. Die entnommenen Grasproben wurden ins Labor für Lebensmittelanalysen der Provinz Bozen geschickt, wo sie auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln untersucht wurden.

Die Ergebnisse

Insgesamt wurden 14 Wirkstoffe gefunden, davon 12 Pestizide, 1 Desinfektionsmittel und 1 Konservierungsmittel. Auf Proben von 29 der 71 Spielplätze (40 Prozent) konnten die Laboranten Rückstände von Pflanzenschutzmitteln nachweisen. “Die Pestizide müssen nicht unbedingt aus der Landwirtschaft stammen”, präzisiert Andreas Riedl. Allerdings liege die Vermutung nahe, fügt Koen Hertoge hinzu: “Auch, weil sieben der zwölf besagten Pestizide nur in der Landwirtschaft zugelassen und für den Privatgebrauch verboten sind.

Auf einigen Flächen, nämlich bei 17 der 29 mit Pestiziden kontaminierten Spielplätze wurden Mehrfachrückstände gefunden, an zwei Standorten – in Rabland und in Natz-Schabs – sogar vier Wirkstoffe. Bestimmte Wirkstoffe traten besonders häufig auf, insbesondere Fluazinam und Phosmet, die an jeweils 18 Standorten nachgewiesen wurden. Außerdem wurden “toxikologisch besonders bedenkliche Pestizide, d.h. reproduktionstoxische und hormonschädliche Wirkstoffe” gefunden, hält Peter Clausing – der deutsche Toxikologe hat die Studie verfasst – fest.

Das Fazit

“Diese Studie ist eine Momentaufnahme. Wäre die Untersuchung zu einem anderen Zeitpunkt durchgeführt worden, hätte sich ein ganz anderes Bild bieten können”, erklärt Koen Hertoge. Doch zeige dieser “Schnappschuss” deutlich: “Sensible Zonen sind nicht ausreichend vor Pestiziden geschützt.” Darüber sind sich Hertoge, Riedl und Dissinger mehr als einig. Zu den sensiblen Zonen gehören laut Beschluss des Landes Südtirol öffentliche Parks und Gärten, Sportplätze und Erholungsflächen, Schulgelände, Kindergärten, -horte und -tagesstätten samt dazugehöriger Grünflächen, Flächen in unmittelbarer Nähe von Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen – und eben Kinderspielplätze. Überall dort halten sich besonders empfindliche Bevölkerungsgruppen auf, daher gelten für die angrenzenden Flächen zeitliche und räumliche Auflagen für die Ausbringung von Pestiziden. “Die aktuellen Ausbringungs- und Abstandsregelungen reichen nicht aus, um die sensiblen Zonen zu schützen”, hält Klauspeter Dissinger fest. Daher fordert man aufgrund der Erkenntnisse der Studie nun eine bessere Regelung und ein “funktionierendes Kontroll- und Monitoringprogramm”, das von der Politik in der laufenden Legislaturperiode abgelehnt worden sei. “Sensible Zonen sollten unbedingt als Null-Toleranz-Zonen beziehungsweise Null-Kontaminations-Zonen gesetzlich festgeschrieben werden”, pflichten Hertoge und Riedl bei. Auch spricht sich der Dachverband für eine bessere Förderung von Betrieben aus, die auf Bio umstellen wollen. “Mittelfristig”, betont Dissinger, “wird aber kein Weg an einem Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und einem pestizidfreien Südtirol vorbeiführen”.

Die Reaktionen

Bereits am Donnerstag war Andreas Riedl bei Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler, um mit ihm die Studienergebnisse zu besprechen. “Er hat natürlich seine eigene Position und Interpretation”, berichtet Riedl. Tatsächlich lässt sich Schuler in einer Presseaussendung, die am Freitag Nachmittag verschickt wird, folgendermaßen zitieren: “Die Ergebnisse bestätigen, dass die allermeisten Bauern die gesetzlichen Landesrichtlinien einhalten.” Denn die allermeisten der gefundenen Rückstandsmengen seien “sehr gering”. Im Gegensatz zu den Umweltschützern hält der Landesrat die geltenden Abstandsregelungen für ausreichend. Zudem müsse man sich fragen, ob von den gefundenen Rückstandsmengen überhaupt ein gesundheitliches Risiko ausgehen könne: “Denn abgesehen davon, dass Gras nicht zum menschlichen Verzehr vorgesehen ist, gelten auch keine gesetzlichen Grenzwerte.”

Andreas Riedl kontert: “Für uns gilt das Vorsorgeprinzip.” Zwar sei die Tragweite einer Kontamination von Gras auf Spielplätzen als solche schwer zu bewerten, “aber immerhin kann das Kind, indem es das Gras mit den Händen (mehrfach) berührt und anschließend die Hände in den Mund steckt, direkt mit den Pestiziden in Kontakt kommen, heißt es im schriftlichen Resümee des Dachverbands. Und weiter: “Um eine konkrete Gefahr der beobachteten Kontamination festzustellen, bietet es sich an, die gemessenen Pestizidmengen mit den erlaubten Grenzwerten für Pestizidrückstände in Gemüse, wie es in Privatgärten des Untersuchungsgebietes im Untersuchungszeitraum kultiviert wird, zu vergleichen. Aufgrund des Untersuchungsdesigns kann die festgestellte Kontamination auf den Spielplätzen schließlich auch stellvertretend für jene in Privatgärten des Untersuchungsgebietes stehen. Vergleicht man also den MRL (maximal zulässige Rückstandsmenge) für Salat, Spinat und Erdbeeren als stellvertretendes Gemüse, das zur Hauptspritzzeit in Privatgärten (und Äckern) kultiviert wird, dann ergibt sich folgende Situation: In den Grasproben wurden Fluazinam-Mengen festgestellt, die in 5 Fällen den MRL für Salat, Spinat und Erdbeeren um das Zweifache, in drei Fällen um das Dreifache, in einem Fall um das Fünffache und in einem Fall um das Sechsundzwanzigfache (!) überschreitet. Chlorpyrifos-methyl übersteigt in einer Probe den MRL für Salat und Spinat um das Fünffache, Cypermethrin in einer Probe den MRL für Erdbeeren um das 27fache, für Spinat um das Dreifache, Dodin in einer Probe den MRL für Salat, Spinat und Erdbeeren um das Neunfache, Penconazol in einer Probe den MRL für Salat und Spinat um mehr als das Einfache und Phosmet in zwei Proben den MRL für Salat, Spinat und Erdbeeren um mehr als das Einfache. ”

“Wir jedenfalls sind der Meinung, dass chemisch-synthetische Mittel in der Landwirtschaft nicht eingesetzt werden müssen”, unterstreicht Andreas Riedl, “und dass wir uns gemeinsam auf den Weg Richtung pestizidfreie Landwirtschaft machen sollten.”
Rund 13.500 Euro hat die Studie gekostet, finanziert vom Dachverband, den Umweltgruppen Kaltern, Terlan, Etschtal und Eisacktal sowie der Umweltstiftung Greenpeace, “und wir sind offen für jede Anregung und Kritik”, meint Riedl. Dass es Skeptiker geben wird, davon geht der Geschäftsführer des Dachverbands aus – und hat auch schon eine Botschaft: “Die Kritiker lade ich ein, eine bessere Studie zu machen, wofür auch mehr Geld in die Hand genommen werden müsste.”

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Sigmund Kripp Ven, 10/20/2017 - 16:48

Die Konsequenz aus dieser Studie? Bei der Ausweisung von neuen Wohnzonen oder Kindergärten, die ins Grüne hinein gebaut werden, muss die öffentliche Hand einen Sicherheitsstreifen von mindestens 30 Metern DAZU enteignen, um diese Zonen zu schützen. Denn der Bauer der auch akkurat nach Vorschriften und überkorrekt spritzt, selbst der biologische, kann ja nichts dafür, dass ihm eine solche sensible Zone plötzlich auf die Pelle rückt! Muss er deswegen seine Tätigkeit aufgeben? Und ich betone: Auch der biologische Bauer ist davon betroffen!!! (Und ich bin sehr wohl dafür, dass Südtirol biologischer wird!) Die Kosten für diese Sicherheitsstreifen muss natürlich die öffentliche Hand tragen....Vorteil dieser Anwendung wäre, dass wir wieder neue Dschungellandschaften bekommen, denn diese Sicherheitszonen dürften ja nicht betreten oder bearbeitet werden! Das wäre ein Vorteil im Sinne der FFH-Richtlinie! 30 Meter kann schon die gesamte Breite einer kleineren Apfelparzelle sein; d.h. die Enteignung wird richtig teuer! Aber das muss uns die Gesundheit wert sein! Wenn eine neue sensible Zone z.B. 150 Meter Grenze aufweist und 30 Meter Abstand mit enteignet werden, ergibt das 4.500 m² Grund. Bei ca. 400 €/m² (Landgemeinde) ergibt das zusätzliche Kosten in der Höhe von 1.800.000 €. Werden in dieser Zone z.B. 30 Wohnungen gebaut, trifft es jede Wohnung mit + 60.000 €.

Ven, 10/20/2017 - 16:48 Collegamento permanente
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Klaus Griesser Sab, 10/21/2017 - 11:51

Ich habe gestern noch zwei (!) widersprüchliche Pressemeldungen der Landespresseagentur gelesen und finde den Artikel von LM Gasser klärend und objektiv. Angesichts der offensichtlichen Verteidigung der herrschenden Obstbaurichtlinien durch den Landesrat und über die Landesämter gegenüber den gesundheitlich und ökologisch berechtigten Erfordernissen keimt in mir die Gewissheit, dass einschlägige Untersuchungen durch die Landesämter nicht objektiv sein können weil nicht dürfen. Kann es zudem demokratisch sein, dass ein Landesrat sich die Ideologie der Chemie-& Landwirtschaftslobbys zu eigen macht, wonach die Monokulturbetriebe auf Pestizide nicht verzichten können, obwohl der WELTagrarbericht dies als falschen, verhängnisvollen Weg nachweist?

Sab, 10/21/2017 - 11:51 Collegamento permanente