Società | Mystische Orte

St. Peter bei Tanas

Auf den Spuren mystischer Orte - in den kommenden Monaten werden wir jeweils einen Ort aus dem Buch „Mystische Orte in Südtirol“ vorstellen.
St. Peter
Foto: Martin Ruepp

Es gibt Orte, die jenseits unserer zivilisierten und aufgeklärten Welt liegen, Orte, die sich ihre Ursprünglichkeit trotz intensiver Besiedelung bewahrt haben. Das sind Plätze, denen wir uns weder rational, noch wissenschaftlich, sondern rein intuitiv und über Geschichten annähern können. In den kommenden Monaten werden wir jeweils einen Ort aus dem 2018 bei Edition Raetia erschienenen Buch „Mystische Orte in Südtirol“ vorstellen und beginnen dabei beim Vinschger Sonnenberg.

 

Dort, wo sich die Sonne im Winter golden an die steilen Berghänge schmiegt und mit ihrer lebensspendenden Kraft eine eigene Welt erschuf, die in dieser Höhenlage seinesgleichen sucht, dort liegt der Vinschger Sonnenberg. Die Erde, unsere Mutter, und der große helle Himmelsball, unser Vater, harmonieren hier beispiellos und erschufen eine unvergleichliche Szenerie – an Ausdruckskraft ist diese Landschaft nicht zu überbieten, sie lässt die Herzen jener, die mit offenen Augen in ihr wandeln, weiter werden und höher schlagen.

 

Ein wichtiger Punkt unserer mystischen Spurensuche am Vinschger Sonnenberg ist die kleine Kirche von St. Peter bei Tanas. Es ist ein einsam gelegenes Kirchlein auf einem schroffen und hoch aufragenden Felsturm über dem Tanaser Bach, nur ein paar Bauernhöfe liegen in der Nähe. Eng schmiegt es sich an den Felsenhorst, der nur von der Nordseite auf einem schmalen Weg betreten werden kann. Eine Mauer umgibt den Kirchenbau samt Friedhof und scheint den Ort vor allen Unbilden der Zeiten behüten zu wollen. Steht man vor der Kirche den gegenüberliegenden Bergen zugewandt, ergreift einen ein eigentümliches Gefühl und der Eindruck von Isoliertheit nimmt einen voll in Beschlag, so als befände man sich ganz abgeschieden und der Welt enthoben.

 

Dieser wortwörtlich atemberaubende Fleck zwischen Erde und Himmel war schon vor langer Zeit ein Kultort, darauf weisen im Umkreis der Kirche aufgefundene Scherben aus der Bronzezeit und nicht zuletzt auch das Patrozinium des hl. Peter. Doch diese Kirche war nicht die erste, die hier stand. Etwa fünfzig Meter unterhalb des Felsplateaus liegt auf einer schmalen Geländeterrasse die Ruine der Altkirche, und selbst diese hatte einen Vorgängerbau, von dem noch ein letztes Mauerstück übriggeblieben ist. Ständige Muren untergruben diese vor 1368 erbaute erste Kirche und ließen Mauern, Turm und Friedhof in den Lebewohlgraben stürzen. 1490 errichteten die Menschen eine neue Kirche an einer höheren, vermeintlich sichereren Stelle. Doch auch ihr war dasselbe Schicksal beschieden. Schließlich wurde 1769 die heutige St.-Peter-Kirche mit großem Aufwand am sicheren Standort hoch oben in den Fels gebaut. Es erscheint seltsam, weshalb die beiden Vorgängerkirchen nicht gleich an eine geschützte Stelle gebaut wurden, denn der wilde Lebewohlbach, der ungestüm talwärts rauscht und seinem Namen alle Ehre macht, hatte zusammen mit dem Tanaser Bach schon mehrmals das Dorf Eyrs überschwemmt und sogar gänzlich begraben, so dass es ebenfalls an neuer Stelle wieder aufgebaut werden musste.

 

Mit dem gefährdeten Standort der ersten beiden Kirchen muss es wohl eine besondere Bewandtnis haben. Und tatsächlich: hier liegen die Reste eines vorgeschichtlichen Friedhofs unter der Erde! Sicher war der Felsenplatz, an dem heute die St.-Peter-Kirche steht, ebenfalls ein alter Kultort, möglicherweise der Verbrennungsplatz und jener Ort, von dem aus sich die Menschen von ihren Angehörigen verabschiedeten. Er war gut gewählt, denn die Feuer, denen die Toten übergeben wurden, waren von weitem sichtbar, und auch der Sonnenlauf und der Blick auf die gegenüberliegende Bergwelt spielte eine wichtige Rolle. Die Berge des Ortlergebiets, welche in den Sagen als uralte heilige Landschaft bekannt sind, scheinen von St. Peter aus zum Greifen nahe, und der Sonnenlauf führt genau über sie hinweg. Am Tag der Wintersonnenwende entspricht die Strecke, welche die Sonne von St. Peter aus gesehen von ihrem Aufgang bis zum Untergang überwindet, der Ausdehnung dieser Berge, was dem Platz eine weitere mystische Dimension verleiht - er fügt sich bestens ins Bild eines besuchenswerten urgeschichtlichen Kultplatzes ein.