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Die Frauen in Rojava

Die Kurdin Dilar Dirik sprach am Freitag an der Eurac zum Thema: "Die Autonomie der Frauen und self-defense in Rojava/Nordsyrien" Ein Tagungs-Interview.
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Foto: Foto: Salto.bz

Im Rahmen der Veranstaltung Demokratischer Konföderalismus: Entwicklungen und Perspektiven der Autonomieerfahrungen in Rojava/Nordsyrien referierten Wissenschaftler an der Eurac in Bozen, zur Selbstverwaltungsform, die in der autonomen Föderation Nordsyrien – Rojava eingeführt wurde. Die Soziologin Dilar Dirik sprach zur kurdischen Frauenbewegung.

Wie kam es zur kurdischen Frauenbewegung?
Die kurdische Frauenbewegung ist schon seit Jahrzehnten aktiv. Frauen haben in verschiedenen Teilen der Türkei, vor allem bewaffnete Kämpfe gegen den Nationalstaat geführt. Zudem gab es auch immer zivilen, politischen und sozialen Widerstand, gegen patriarchalische Strukturen der Gesellschaft, im Staat und in der Wirtschaft.

Sie haben Ihre Doktorarbeit über die Frauenbewegung in Rojava geschrieben, auch ein paar Jahre in dieser Region gelebt. Wie hat sich dort die Situation für die Frauen entwickelt?
In den letzten Jahren haben sich vor allem im nordsyrischen Gebiet Rojava viele bemerkenswerte Entwicklungen zu Frauenfragen ergeben. Der Wunsch nach einer feministischen Gesellschaft ist spürbar. Nicht nur weil sich Frauen direkt im Kampf gegen den IS beteiligt haben, sondern weil sie gleichzeitig versuchen einen sozialen Wandel innerhalb der Gesellschaft aufzubauen. Zudem wollen sie eine Garantie für die Zukunft finden, für die Freiheit der Frauen in einem demokratiefreundlichen Syrien.

Was sich in Rojava abspielt, ist eine Weiterentwicklung dessen, was vor allem in der Türkei angefangen hat.
Die Frauenbewegung war zuvor innerhalb der Türkei sehr aktiv und hat lange Widerstand gegen die staatliche Unterdrückung geleistet. In dem Sinne geht der Kampf weiter, der jetzt nicht nur in dem Teil Kurdistans geführt wird, und auch nicht nur von kurdischen Frauen. Immer mehr arabische, turkmenische, armenische, christliche Frauen, schließen sich dem Kampf an und versuchen gemeinsam eine Frauenfront gegen die patriarchale Gewalt zu sein.

Das ist sicher ein schwerer Kampf…
Es ist natürlich schwierig, da die patriarchale Mentalität sehr dominant und als legitim betrachtet wird. Dagegen anzukämpfen ist nicht einfach. Es müssen notwendige Strategien entwickelt werden.

Wie funktioniert das "System Rojava"?
Auf allen Ebenen der Gesellschaft gibt es, von den kleinsten Kommunen bis zu der autonomen Verwaltung von Rojava, das System der Co-Vorsitzenden, wo Mann und Frau gemeinsam regieren, gemeinsam die Entscheidungen treffen. Die Gesellschaft organisiert sich in Räten, Kommunen und Kooperativen. Die Frauen haben aber immer auch ihre eigenen, autonomen Strukturen.
Ich mache ein Beispiel: Wenn eine Kommune, die alltäglichen Geschäfte im Dorf zu erledigen hat, versammeln sich die Frauen noch einmal extra und beraten sich. Sie haben das Recht, mit ihrer Entscheidung beim gemischten Votum, im Nachhinein ein Veto einzulegen.
Es wird versucht, eine allgemeine politische Kultur aufzubauen, in welcher der Widerstand der Frauen als legitim angesehen wird.

Wie öffentlich ist der Widerstand der Frauen?
Man muss sagen, die Gesellschaft dort hat sich schon seit Jahrzehnen im Underground organisiert. Weil das politische System, aber jegliche politische Aktivität kriminalisiert hat, arbeiteten Frauen in den 1980er und 1990er Jahren meist heimlich und unauffällig. Dennoch war ihre Arbeit sehr wirksam.
Nachdem das Regime die Region verlassen hat, wurde in fünf Jahren ein konföderales Frauensystem aufgebaut. Sicher waren am Anfang viele Männer davon nicht überzeugt, aber als viele Frauen sich am bewaffneten Kampf gegen den IS beteiligten, änderte sich das Bild. Am Anfang kämpften Hunderte, dann Tausende, heute – so glaub ich –  sind es an die 20.000 Frauen.

Sie erzählen von Räten, Kommunen und Kooperativen. Das klingt nach anarchistischen Ideen aus dem frühen 20. Jahrhundert…
Sehr viele machen diesen Vergleich, etwa mit dem spanischen Anarchismus beim Bürgerkrieg Mitte der 1930er Jahre oder auch vorher, bei der Pariser Kommune. Das basisdemokratische System von Rojava hat sehr viel vom Anarchismus, vom Sozialismus, von der Kritik am Realsozialismus, von den verschiedenen nationalen Befreiungsbewegungen, der Frauenbewegungen und der Umweltbewegung. Man hat sich einfach viel von verschiedenen Kontexten abgeschaut, aber auch versucht Garantien zu entwickeln, damit die Frauenfrage nach der Revolution nicht wieder vergessen wird.
Man findet in vielen Akademien in Rojava Schriften zum Anarchismus, etwa zur Frauenrechtlerin Emma Goldman und natürlich zu Bakunin. Aber trotzdem kommt immer wieder die Kritik am frühen Anarchismus, eben dass die Anarchisten einfach nicht gut organisiert waren.

Wie kann die nachhaltige Revolution gelingen?
Der Nationalstaat mit seinen monopolisierenden nationalen Gedanken – eine Heimat, eine Sprache… – das funktioniert nicht. In der Türkei hat das sogar dazu geführt, dass nach dem Zusammenfall des Osmanischen Reiches, eine Republik ausgerufen wurde. Vorab wurde noch der Genozid an den Armenieren verübt, danach wurden Kurden und Griechen umgebracht. Das hat alles mit der Idee Nationalstaat zu tun, die nur eine Identität für gültig erachtet.
Ich komme einfach zum Schluss, dass eine radikale Demokratie und Rätestrukturen, viel eindeutiger die gesellschaftliche Realität widerspiegeln, als das System des Nationalstaates.