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"Journalisten sind nicht unfehlbar"

Der Politologe, Lehrer, Journalist und Blogger Harald Knoflach über Fake News, Algorithmen, soziale Medien, die Lügenpresse und die Verantwortung der Journalisten.
HaraldKnoflach
Foto: Privat

Salto.bz: Herr Knoflach, was sind Fake News?

Harald Knoflach: Eine genau Definition von Fake News wird man nicht finden. Die Definition für Fake News liegt bei dem, der jemanden der Fake News bezichtigt. Wenn man den Begriff wörtlich übersetzt sind das falsche Nachrichten. Das geht von frei erfundenen bis zu weit hergeholten Nachrichten mit geringem Wahrheitsgehalt. Das geht dann bis zur Verschwörungstheorie. In der generellen Diskussion kommt es aber immer darauf an, wer den Begriff verwendet und gegen wen er ihn verwendet.

Also ist Fake News ein ideologischer Begriff?

Könnte man so sagen. Auf alle Fälle hat er eine ideologische Komponente. Sonst könnte man ja die ganze Thematik sehr rational betrachten. Man könnte mit einem Factchecker die Nachricht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen und damit hätte die Geschichte ein Ende. Aber das ist ja nicht der Fall.

Wie ist es dann?

Die Diskussion zeichnet sich ja auch dadurch aus, dass es eine gewisse Faktenresistenz gibt. Diese wird teilweise sogar zelebriert, weil man für jeden vermeintlichen und tatsächlichen Beweis eine sogenannte Ummantelungserklärung hat. Das heißt, wenn man einem Verschwörungstheoretiker versucht mit Argumenten dagegen zu halten, dann kommt da die Ummantelungserklärung. Man wird zum Teil der Verschwörung erklärt. Gegen diese Erklärung ist man dann chancenlos, weil man darauf nicht mehr antworten kann. Denn der vermeintliche Beweis, dass das ganze nur eine Verschwörungstheorie ist, wird selbst Teil der Verschwörungstheorie.

Falschnachrichten, von absichtlich lancierten bis „gerade gebogenen“, hat es immer schon gegeben.

Woher kommt diese Faktenresistenz?

Ich glaube da gibt es mehrere Gründe. Hauptsächlich liegt es wohl an der Veränderung der Informationstechnologie. Grundsätzlich ist das aber kein neues Phänomen. Falschnachrichten, von absichtlich lancierten bis „gerade gebogenen“, hat es immer schon gegeben. Man erinnere sich zum Beispiel an den Tonking-Vorfall als Ursache für den Vietnamkrieg oder die Brutkastenlüge als Begründung für den Einmarsch US-amerikanischer Soldaten in den Irak, 1990. Was neu ist, ist meines Erachtens die Geschwindigikeit, mit der heute Medien Verbreitung finden. Das macht auch etablierte Medien anfälliger dafür, Falschnachrichten zu verbreiten.

Inwiefern?

In jüngerer Zeit gab es ja in Deutschland ein NPD-Verbotsverfahren, worüber natürlich viele Medien auch live berichteten. Sowie die Urteilsverkündung begonnen hat, haben ziemlich alle etablierten Medien im Internet die Eilmeldung verbreitet, dass die NPD verboten worden wäre. Letztendlich wurde aber nur die Anklageschrift verlesen und die Journalisten haben die Anklageschrift schon als Urteil verstanden. So wurde vorschnell ein falsches Urteil publiziert. Früher lag zwischen dem tatsächlichen Ereignis und der Publikation der Nachricht darüber eine größere Zeitspanne als heute.

Gibt es noch andere Gründe für Faktenresistenz?

Ja, ein weiterer Grund ist sicher, dass im Internet etablierte Medien, Privatblogs und andere Websites gleichwertig nebeneinander stehen. Es ist auch deswegen ein Problem, weil viele Menschen noch nicht gelernt haben, sich  bestimmte Filtermechanismen anzueignen, um die Qualität einer Nachricht zu überprüfen. Vor allem auch durch die Kommentarfunktion bei vielen Onlinemedien und Blogs können sich Meinungen rasant verbreiten. Wenn etwas stark verbreitet wird, ist es – nach der Logik des Internets – automatisch gut.

Sie meinen den berühmten Algorithmus von Google, Facebook und so weiter?

Der Algorithmus dieser Seiten basiert ja im Wesentlichen darauf, dass die Relevanz des Inhalts einer angezeigten Seite mit jedem Klick oder Like gesteigert wird. Ob der Inhalt der Seite nun wahr ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Daher ist das Potential, dass sich Falschnachrichten verbreiten, auch so hoch.

Apropos Algorithmus, welche Rolle spielen die Sozialen Medien bei der Verbreitung von Fake News?

Sie spielen eine große Rolle. Wobei ich hier ein extrem zweischneidiges Schwert sehe. Man möchte ja jetzt die Betreiber der Sozialen Medien stärker in die Pflicht nehmen, weil ja Hetze und Falschmeldungen viel über Soziale Medien verbreitet werden. Durch die Sozialen Medien werden nun Stimmen hörbar, die vorher zwar auch schon da waren, aber nicht laut genug. Heute kann jemand unter Umständen einige Tausend oder Millionen Menschen in den Sozialen Netzwerken erreichen. Wenn er sich hingegen auf den Brixner Domplatz stellt und seine Parolen schreit, dann ist seine Zuhörerschaft begrenzt.

Was wäre, wenn man die Betreiber der Sozialen Medien stärker in die Pflicht nehmen würde?

Wenn jetzt wirklich alle Nachrichten in Sozialen Medien einem ständigen Faktencheck obliegen würden, dann kann das die Dynamik durchbrechen. Im Prinzip ist es aber eine Symptombekämpfung. Die Ursachen werden ja nicht gelöst.

Es ist auch deswegen ein Problem weil viele Menschen noch nicht gelernt haben, sich da bestimmte Filtermechanismen anzueignen um die Qualität einer Nachricht zu überprüfen.

Ist es legitim, Soziale Medien stärker in die Verantwortung zu ziehen?

Ich bin auch ein großer Verfechter der individuellen Verantwortung. Wenn also jemand Hetzte betreibt ist er selbst dafür verantwortlich und nicht die Betreiber der Sozialen Medien, auf denen er sie betreibt. Nach derselben Logik könnte ich auch die Erbauer des Brixner Domplatzes verklagen, weil dort jemand Hetzparolen schreit. Das ist unsinnig.

Ist es in Ordnung wenn Soziale Medien Kommentare löschen und Fakten checken?

Facebook ist ein Privatunternehmen. Natürlich hat es eine große Verantwortung, weil viele Leute dort vernetzt sind. Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass sie die Spielregeln selbst vorgeben. Wenn Facebook jetzt hergeht und Factchecking betreibt, dann ist das völlig legitim. Deswegen ist es auch Quatsch, dort von Zensur zu sprechen.

Kann man Fake News vorbeugen?

Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit Fake News. Dafür ist die ganze heutige Informationstechnologie zu komplex. Deswegen geht es vor allem um Bewusstseinsschaffung und Bildung. Ich bin zwar der Letzte, der einen Internetführerschein fordert, aber eine gewisse Analogie zum Auto ist gegeben: Ich habe ein Instrument, mit dem ich unter Umständen viel Schaden anrichten kann.

Sie denken also daran, das Thema Internet stärker in den schulischen Alltag einzubauen? Vielleicht auch als Schulfach oder Teil davon?

Richtig. Genau das meine ich mit Bildung und Bewusstseinsschaffung. Das Internet ist ein sehr komplexes System. Es gibt auch kein 100-prozentiges Richtig und Falsch. Man muss einfach schauen, dass die Nutzer so viel Selbstvertrauen sowie die nötigen Fähigkeiten und Bildung haben, um mit der Informationswelle umgehen zu können. Damit man nicht so leicht auf Falschmeldungen hereinfällt.

Wie kann man Fake News enttarnen?

Indem man überprüft, wo die Meldung überall publiziert wurde. Man sollte aber auch nach der Quelle und dem Urheber suchen. Wichtig ist auch, ob der Urheber überhaupt die nötigen Kompetenzen für den Bereich hat.

Man muss einfach schauen, dass die Nutzer so viel Selbstvertrauen sowie die nötigen Fähigkeiten und Bildung haben um mit der Informationswelle umgehen zu können.

Wie kann man andere auf enttarnte Fake News hinweisen?

Es gibt Seiten wie mimikama.at oder PolitiFact, die Factchecking betreiben. Wenn man in Kommentaren immer wieder auf Beiträge dieser Seiten verweist, kann das schon helfen, diesen Teufelskreis ein wenig zu durchbrechen. Das ist ja im Prinzip wie die Gerüchteküche früher am Dorfplatz, nur dass sich die Geschwindigkeit deutlich erhöht hat.

Befeuert das mangelnde Vertrauen in die seriösen Medien die Verbreitung von Fake News?

Journalisten sind nicht unfehlbar. Darüber sollten wir uns im Klaren sein. Diejenigen, die aber „Lügenpresse“ schreien, haben meist kein Problem damit, ungeprüfte Nachrichten von irgendwelchen Autoren zu teilen und als allgemeingültige Wahrheit hochzustilisieren. Nur weil im ersten Satz im Artikel ein Anspruch auf die absolute Wahrheit gestellt wird. Das ist wirklich bemerkenswert, dass man zwar auf der einen Seite den etablierten Medien vorwirft, unseriös zu berichten, sich selbst dann aber unseriösen Berichten hingibt. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Illusion der Objektivität.

Objektivität ist nur eine Illusion?

Bei Berichten und Reportagen gäbe es ja das Objektivitätsgebot. Das heißt, der Journalist ist dazu verpflichtet, die Meinung des Interviewpartners widerzugeben und seine eigene zurück zu halten. Wir müssen uns aber gleichzeitig bewusst sein, dass es keine Objektivität gibt. Es gibt einen schönen Spruch dazu: „Der einzige Ort, an dem man das Wort objektiv in den Mund nehmen sollte, ist das Fotofachgeschäft.“ Ich kann mich als Schreiber noch so sehr bemühen, es wird immer eine subjektive Komponente in meinen Text einfließen.

 „Der einzige Ort wo man das Wort Objektiv in den Mund nehmen sollte ist das Fotofachgeschäft.“

Wie kommt die subjektive Komponente in den Bericht?

Das findet auf drei Ebenen statt: An erster Stelle steht die Selektion. Der Journalist hat die Macht, vollkommen wahrheitsgetreu und neutral über etwas zu berichten. Er kann aber nicht über alles berichten. Deswegen muss er die Fakten selektieren, was ein subjektiver Vorgang ist. Ein journalistischer Bericht ist immer eine Reduzierung der Realität. Das ist ja auch nichts schlechtes, wir müssen uns nur bewusst sein, dass das eben so ist. An zweiter Stelle findet sich die Gewichtung. Der Journalist kann bei dem, was er berichtet, den Schwerpunkt setzen, wie er möchte. Entsprechend wird die Realität dann anders dargestellt. Das Dritte ist dann die Wort- und Bildwahl. Sprich: der Tonfall, die Sprache und die Bilder, die der Journalist verwendet.

… das heißt, ein Journalist trägt eine große Verantwortung in seinen Händen.

Ja, richtig. Und das mangelnde Vertrauen in die etablierten Medien liegt – meines Erachtens – auch darin begründet, dass viele Leute das nicht verstehen. Früher hatten die Zeitungen die Deutungshoheit, weil es keine anderen Medien gab. Dadurch, dass die meisten Leute eine Zeitung bevorzugt haben, war deren Berichterstattung dann meinungsbildend. Heute bekommt man durch das Internet Zugriff auf ein extrem breites Informationsspektrum. Wenn ich mehrere Schlagzeilen gegenüber lese, bekomme ich das Gefühl, dass eine falsch sein muss. Das summiert sich dann natürlich. Wie diese Schlagzeilen aber entstehen verstehen die wenigsten.

Wie können Medien meinungsbildend sein?

Abgesehen von öffentlich-rechtlichen Medien, die einem höheren Neutralitätsgebot obliegen, haben alle Medien eine Blattlinie und eine politische Ausrichtung. Die New York Times hat zum Beispiel eine Wahlempfehlung für Barack Obama abgegeben. Das finde ich auch nicht verwerflich. Private Medien können sich selbstverständlich positionieren. Das geht vor allem über den Meinungsjournalismus, also Glossen und Kommentare, und ist völlig okay.

Was muss ein Journalist machen, um vertrauenswürdig zu sein?

Ich bin mir nicht sicher, ob es die Aufgabe des Journalisten ist, so glaubwürdig wie möglich zu sein. Wir haben die Pressefreiheit und die Freiheit der Kunst. Es klingt komisch, aber Journalismus hat mit Kunst und Kreativität zu tun. Wenn der Künstler in jedem Moment seines Schaffens an die Folgen seiner Handlungen denkt, dann kommt nichts Gescheites heraus. Beim Journalisten ist es meiner Meinung nach ähnlich: Er muss einen Anspruch an sich selbst haben und wenn er diesen erfüllt, dann wird das, was er schreibt, schon in Ordnung sein. Diese Ansprüche sollten sich aber an eine Journalistenethik, sprich das Objektivitätsgebot anlehnen.