Cronaca | Verwaltungsgericht

Meraner Verdunkelung

Am Bozner Verwaltungsgericht werden die Privacybestimmungen ad absurdum geführt. Das wird an einem konkreten Gerichtsfall mehr als deutlich.
Weihnachtsmarkt Meran
Foto: Othmar Seehauser
Das Verwaltungsgericht Bozen ist ein besonderer Fall. Allein das Berufungsverfahren der Richterinnen und Richter ist eine Einmaligkeit in der Republik Italien. Es ist ein System, das für Südtirol erfunden und politisch austariert wurde.
Im guten Willen geboren, zeigt sich in der Praxis aber immer deutlicher, dass das System längst an seine Grenzen gestoßen ist. Die politische Auswahl der Richterinnen und Richter führt zu einem latenten Interessenkonflikt und dieser wiederum gefährdet eine ordentliche Abwicklung der Verfahren. So gibt es Fälle in denen man es nicht schafft aus Befangenheitsgründen den gesetzlich vorgesehenen Richtersenat einzusetzen. Es fehlen dazu einfach die Richter.
Dass sich am Sitz des Verwaltungsgerichts in der Gerstburg aber eine besondere Welt auftut, zeigt sich auch in anderen Bereichen. Etwa beim Datenschutz. Immer öfter werden die Prozessparteien in den veröffentlichten Urteilen anonymisiert.
Die Praxis am Bozner Verwaltungsgericht ist völlig absurd“, kritisiert ein renommierter Südtiroler Verwaltungsjurist, der an vielen Gerichten in Italien tätig ist, „so etwas habe ich noch nie gesehen“.
 

Omissis gegen Omissis

 
Was der Jurist damit meint, lässt sich am Verwaltungsverfahren 188/2018 festmachen. Am 26. Juli 2019 fällt ein vierköpfiger Richtersenat einen Beschluss mit dem die Rangordnung einer Vergabe und alle damit verbundenen Maßnahmen vorläufig aufgehoben werden bis im Hauptrekurs eine Entscheidung fällt.
Laut den Transparenzbestimmungen sind alle Verfahren vor dem Verwaltungsgericht öffentlich und die Beschlüsse, Verordnungen und Urteile müssen in einem eigenen Bereich auf der Internetseite des Gerichts veröffentlicht werden.
Auch der Beschluss 188/2019 findet sich dort. Das Problem dabei: Aus dem veröffentlichten Beschluss geht weder hervor, wer Kläger und Beklagter ist, noch um was es geht und wo der Fall angesiedelt ist. 
 
 
Auf den vier publizierten Seiten finden sich insgesamt 43 Omissis. Nicht nur die Prozessparteien werden damit anonymisiert, auch die Verfahrengegenstand und sogar der Ort im dem sich der Gerichtsfall abspielt. Selbst die Nummer des Rekurses wurde verdunkelt. Damit niemand Rückschlüsse ziehen kann.
Der veröffentlichte Beschluss ist ein damit ein schlechter Witz. Denn hier wird weit mehr verborgen als offengelegt.
 

Die Bestimmungen

 
Die gesetzlichen Transparenzbestimmungen sehen vor, dass alle Beschlüsse und Urteile des Verwaltungsgerichts veröffentlicht werden müssen. Doch es gibt im italienischen Privacygesetz und analog in einer Verordnung der EU eine Ausnahmeregelung.
In Artikel 52 des italienischen Datenschutzdekretes heißt es:
 
1. Fermo restando quanto previsto dalle disposizioni concernenti la redazione e il contenuto di sentenze e di altri provvedimenti giurisdizionali dell'autorità giudiziaria di ogni ordine e grado, l'interessato può chiedere per motivi legittimi, con richiesta depositata nella cancelleria o segreteria dell'ufficio che procede prima che sia definito il relativo grado di giudizio, che sia apposta a cura della medesima cancelleria o segreteria, sull'originale della sentenza o del provvedimento, un'annotazione volta a precludere, in caso di riproduzione della sentenza o provvedimento in qualsiasi forma, l'indicazione delle generalità e di altri dati identificativi del medesimo interessato riportati sulla sentenza o provvedimento. 
2. Sulla richiesta di cui al comma 1 provvede in calce con decreto, senza ulteriori formalità, l'autorità che pronuncia la sentenza o adotta il provvedimento. La medesima autorità può disporre d'ufficio che sia apposta l'annotazione di cui al comma 1, a tutela dei diritti o della dignità degli interessati. 
3. Nei casi di cui ai commi 1 e 2, all'atto del deposito della sentenza o provvedimento, la cancelleria o segreteria vi appone e sottoscrive anche con timbro la seguente annotazione, recante l'indicazione degli estremi del presente articolo: 'In caso di diffusione omettere le generalità e gli altri dati identificativi di.....”. 
 
 
Auf diese Bestimmung beruft sich dann auch der Richtersenat im vorliegenden Fall. So heißt es im veröffentlichten Beschluss:
 

„Setzt das Verwaltungsgericht - Autonome Sektion für die Provinz Bozen das vorliegende Verfahren bis zur Entscheidung der -OMISSIS- aus. Erwogen, dass die Voraussetzungen laut Art. 52, Absätze 1 und 2, des gesetzesvertretenden Dekretes vom 30. Juni 2003, Nr. 196 und laut Art. 10 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des  Rates vom 27. April 2016 bestehen, wird das Sekretariat zum Schutz der Rechte oder der Menschenwürde der betroffenen Partei beauftragt, die Personalien und alle zur Identifizierung nützlichen Angaben zu verdunkeln. So entschieden in Bozen in nichtöffentlicher Sitzung am -OMISSIS- mit der Beteiligung der Richter..“

 

Der Weihnachtsmarkt

 
Dass eine durchaus sinnhafte Bestimmung  durch die Südtiroler Anwendung aber ad absurdum geführt wird, zeigt sich, wenn man weiß, um was es im vorliegenden Gerichtsfall wirklich geht. 
Salto.bz hat den Fall nachrecherchiert.
Im Rekurs geht es um zwei Gastronomiestände auf dem Meraner Weihnachtsmarkt. Die Klägerin wollte sich am Weihnachtsmark beteiligen, wurde aber in der Rangordnung nicht berücksichtigt. Die Unternehmerin ficht jetzt die Punktevergabe und die Entscheidung der Bewertungskommission an. Die beklagte Partei ist dabei die Meraner Kurverwaltung. Eine öffentliche Einrichtung, deren Persönlichkeitsrechte wohl kaum zu schützen sind.
Es ist ein Fall, der eindeutig im öffentlichen Interesse steht. Dass es in diesem Fall um den „Schutz der Menschenwürde“ geht oder um besonders zu schützende Rechte der Klägerin oder der Beklagten, dürfte schwer erklärbar sein.
Dass man einen solchen Fall dennoch vor der Öffentlichkeit von Amtswegen verdunkelt, lässt viel Raum für Spekulationen. Vor allem aber drängt sich eine Schlussfolgerung auf:
Vor dem Verwaltungsgericht Bozen sind nicht alle gleich.