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In den Startlöchern

Die neue Europäische Kommission wartet weiterhin auf den offiziellen Beginn ihrer Amtszeit. Drei fehlende Kommissare wurden bestätigt, UK ist nun die letzte Hürde.
EU-Flagge
Foto: Europäische Kommission

Eigentlich hätte die neue EU-Kommission am 1. November ihre Arbeit aufnehmen sollen. Die alte Riege um Jean-Claude Juncker müsste längst von Ursula von der Leyen und ihrem Team abgelöst sein. Doch dank eigener Personalentscheidungen und Störenfried Großbritannien haben die Ambitionen des europäischen Exekutivorgans einen Dämpfer erlitten. Ob sich ein Ausweg abzeichnet, ist unklar.

 

Die Arbeit in Plenum und Ausschüssen im Europäischen Parlament haben seit der Wahl im Mai längst Fahrt aufgenommen. Zusammen mit dem Rat wurde – auf Vorschlag der noch amtierenden Kommission - unlängst der Haushalt für das kommende Jahr beschlossen. 2020 soll es mehr Geld für Klimaschutz, Forschung und die Jugend geben. Auf dem Programmpunkt der verschiedenen parlamentarischen Fachausschüsse standen aber auch die Anhörungen der designierten Kandidaten für die neue Kommission. Dort waren die Entwicklungen bis vor wenigen Tagen weit weniger erfreulich. Zumindest aus Sicht von Ursula von der Leyen, die ihrem offiziellen Arbeitsbeginn einen weiteren unfreiwilligen Aufschub gewähren muss.

Drei der vorgeschlagenen Kommissare rangen in den zuständigen Ausschüssen des europäischen Parlaments in den letzten Tagen noch um Unterstützung. Der ehemalige französische Finanzminister Thierry Breton wurde als zukünftiger Binnenmarktkommissar auserkoren, wo er unter anderem auch für digitale Wirtschaft zuständig sein sollte. Dies ist insofern brisant, als der 64-jährige zuvor an der Spitze eines der größten IT-Unternehmens Europas stand – namentlich Atos, welches auch Aufträge von der EU erhielt. Das Rechtskomitee bescheinigte Breton allerdings keine Interessenskonflikte.

 

Auch die zuständigen Ausschüsse für Industrie und Binnenmarkt bestätigten Bretons Eignung. Ebenso die parlamentarische Hürde gemeistert hat auch die Rumänin Adina-Ioana Vălean, zukünftig verantwortlich für die Generaldirektion Mobilität und Verkehr. Sowohl Vălean als auch Breton ist gemein, dass die zuvor bestimmten Kandidatinnen, Rovana Plumb für Rumänien und Sylvie Goulard für Frankreich, beide abgelehnt wurden.

 

Der dritte vorgeschlagene Kommissar im Bunde, der lange für den größten Widerstand sorgte, war Olivér Várhelyi aus Ungarn. Er war seit vier Jahren leitender Botschafter in Brüssel und stand im Dienst von Premierminister Viktor Orbán, der im Vorfeld der EU-Wahl sogar in den Reihen der Europäischen Volkspartei in Ungnade gefallen war und zeitweise von ihr suspendiert wurde. Sein autoritärer, den Rechtsstaat unterminierender Kurs veranlasste die Kommission bereits vor zwei Jahren zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens.

Es verwundert also nicht, dass Vertreter des Europäischen Parlaments mit Skepsis auf Várhelyis Nominierung zum Erweiterungskommissar reagierten. Er kam in seiner Anhörung - wenig überraschend - insbesondere auf Osteuropa zu sprechen; der Ukraine, Moldawien und Georgien. Auch die geplatzte Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Albanien und Nordmazedonien machte Várhelyi zum Thema und betonte nicht oft genug die Wichtigkeit des Rechtsstaatlichkeitsprinzips.

 

„Als Kommissar wird es meine Aufgabe sein, die Europäische Union zu vertreten, und genau das werde ich tun. Ich würde vom Tag meiner Wahl an völlig unabhängig handeln, keine Anweisungen von einer Regierung entgegennehmen und die EU-Linie, nur die EU-Linie verfolgen“, beteuerte Várhelyi vor den Parlamentariern. 

Am Dienstag erhielt auch nun auch Olivér Várhelyi grünes Licht vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten, nachdem er im Anschluss an seine Anhörung noch schriftliche Antwortschreiben nachreichen musste. Damit wäre das Kabinett von der Leyens komplett. Fast zumindest.

Mit Deutschlands Ex-Verteidigungsminister und zukünftigen Kommissionspräsidentin zählen wir bisher nur 27 Kommissare, die am 27. November offiziell vom Parlamentsplenum bestätigt werden sollen. Das Vereinigte Königreich, Europas Sorgenkind der letzten Monate, verabsäumte es nämlich bisher, seinerseits einen Mann bzw. eine Frau für die Kommission zu nominieren. Dabei ist dies vertraglich verpflichtend und - da Großbritannien mit 31. Oktober 2019 nun doch nicht aus der Europäischen Union ausgetreten ist - auch für die Briten bindend.

 

Dort stehen am 12. Dezember Neuwahlen an, die der konservative Premierminister Boris Johnson als Grund nannte für die ausbleibende Nominierung. Unwahrscheinlich, dass diese nun doch noch folgt, trotz eingeleitetem Vertragsverletzungsverfahren. In Großbritannien beruft man sich auf traditionelles Gewohnheitsrecht, das vorschreibt, kurz vor bedeutenden nationalen Wahlen keine höheren Ämter mehr zu besetzen.

Von Seiten der Kommission heißt es, dass „sich ein Mitgliedstaat gemäß der ständigen Rechtsprechung der EU nicht auf Bestimmungen seiner innerstaatlichen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung von Verpflichtungen aus dem Unionsrecht zu rechtfertigen.“  

Ob ein drohender Rechtsstreit jedoch zu einem Ausweg aus dieser Pattsituation führen wird, ist fraglich. Fraglich ist aber auch Großbritanniens nächster Austrittstermin Ende Jänner. Zumindest in der großen Fernsehdebatte mit Labour-Kontrahent Jeremy Corbyn gab sich Johnson - der laut letzten Umfragewerten klar vorne liegt - sicher: „Wir werden die EU am 31. Januar verlassen, wir haben einen Deal der startklar ist.“

Startklar ist auch von der Leyens Kommissionsteam, wäre da nicht „Bogeyman“ Brexit.