Books | Salto Afternoon

Who killed John Keats? 

Das fragte Lord Byron, als sein Dichtergefährte in Rom starb. Mit 25. Exakt 200 Jahre ist das her. Wer aber war wirklich schuld an Keats‘ Tod?
Bright Star
Foto: Bright Star

Als George Gordon Byron die Nachricht vom Tod des Freundes erhielt, griff er sofort zur Feder. Schmerz und Zorn führten ihm die Hand: Trauer über den tragischen Verlust des Gefährten, der die Welt mit 25 verlassen hatte; Wut auf diejenigen, denen er die Schuld am elenden Dahinsiechen seines Dichterkollegen gab. Byrons Gedicht begann wie folgt:

Who killed John Keats? 
“I,” says the Quarterly, 
“So savage and Tartarly; 
'Twas one of my feats.” 

 Versuchen wir mal eine Übersetzung:

Wie starb John Keats?
“Durch mich”, sprach das Schmierenblatt,
“Barbarisch wie tatarisch,
Es war meine Tat.”

Byron war aufgebracht. Das Londoner Schmierenblatt, welches, natürlich nur im Gedicht, seine Verantwortung eingestand, war die Quarterly Review. Deren Mitbegründer und Inhaber John Wilson Croker, ein ultrakonservativer Journalist und stramm rechter Tory-Politiker, hatte Keats‘ Versepos Endymion einst komplett verrissen. In seinem Artikel verglich Croker den armen Keats mit dem von ihm und sämtlichen britischen Reaktionären verachteten Leigh Hunt, Urheber einer Schmähschrift auf den damaligen Thronfolger und bald auch Inhaber Georg IV. Dies geschah keineswegs zu Keats‘ Vorteil: „Dieser Autor ist ein Kopist von Mr. Hunt“, geiferte Croker, „aber er ist noch unverständlicher, fast so schroff, doppelt so diffus und zehnmal ermüdender und absurder als sein Vorbild.“ 


Drei Jahre waren seitdem vergangen. Doch hielt Byron die Nachwirkungen für so gravierend, dass er Croker vorwarf, Keats auf dem Gewissen zu haben. Byron glaubte zu wissen, wovon er redete. Wurde er selber doch immer wieder zur Zielscheibe schlimmster Spotttiraden! 

Was hatten diese Federfuchser für schnöde Ansichten! Nur gut, dass sie längst widerlegt sind.

Das Konkurrenzblatt der Quarterly, die Edinburgh Review, fühlte sich berufen, Byron zu belehren, dass „das bloße Reimen der Endsilbe, selbst wenn sie eine gewisse Anzahl von Versfüßen aufweist, welche (was nicht immer der Fall ist) regelmäßig auftauchen und gewiss sorgfältig an den Fingern abgezählt wurden, nicht die ganze Kunst der Poesie ist.“ Was hatten diese Federfuchser für schnöde Ansichten! Nur gut, dass sie längst widerlegt sind. Die Literaturgeschichte hat die Dichter reingewaschen und ihre Kritiker auf den Müllhaufen geworfen. Wer kennt heute noch ihre Namen? Nur eins muss man ihnen lassen: Sie formulierten brillant. Gegenüber ihrer Spitzzüngigkeit verblasst selbst die mitunter bösartige Eloquenz eines Marcel Reich-Ranicki.  
Natürlich irrte Byron, was die Sterbeursache betraf. In Wahrheit war die Tuberkulose Schuld an Keats‘Tod. Die Seuche grassierte in der Familie und hatte auch schon andere Angehörige frühzeitig dahingerafft. Keats, 1795 geboren, starb am 23. Februar in Rom. Erst im Herbst zuvor war er dorthin gezogen, auf Anraten seines Arztes und Einladung eines weiteren Dichterkollegen: Percy Bysshe Shelley. Keats ist auf dem römischen protestantischen Friedhof begraben. Shelley, der im darauffolgenden Jahr bei einem Schiffunglück ums Leben kam, liegt ebenfalls dort, was der Ruhestätte ihren Beinamen cimitero degli inglesi  eintrug.


Wie Byron betrauerte auch Shelley den Freund literarisch, in seiner Hymne Adonais. Keats, war er überzeugt, „hatte Gift getrunken“, verspritzt natürlich von der Quarterly Review; dessen Kritik Shelley als „unscheinbaren Fleck auf einem besungenen Namen“ abtat und dessen Kritiker er vor „Reue und Selbstverachtung“ zu vergehen wünschte, auf dass er fortan „zittere wie ein geschlagener Hund“.
Ob sich der Wunsch erfüllte? Zumindest die späteren Expertengenerationen gaben Shelley und Byron Recht. Die Encyclopedia Britannica entschuldigte (wenn es da überhaupt etwas zu entschuldigen gab) Keats als „Dichter, der so sinnlich und körperlich spezifisch war, dass seine frühen Werke, wie Endymion (1818), einen überschwänglichen, süßlichen Effekt erzeugen konnten.“ Zu früher Meisterschaft sei er bereits im Jahr darauf gelangt, in seinem annus mirabilis, mit dem epischen (nur 12 Strophen und 48 Zeilen umfassenden, minimalistischen) Gedicht The Eve of St. Agnes und „den großartigen Oden To a Nightingale, On a Grecian Urn und To Autumn.” 

An seine Eltern schreibt Keats, Napoléon Bonaparte „hat der Sache der Freiheit mehr geschadet als sonst irgendwer“...

„Die großen Oden des Jahres 1819“, urteilte Horst Höhne, Professor für englische Literaturgeschichte an der Universität Rostock, „bilden den Höhepunkt in Keats‘ Schaffen, und sie gehören zu den geschlossensten Leistungen der englischen Romantik überhaupt.“ Der Bonner Anglistikprofessor Rolf Lessenich bezeichnete Keats als „‘schönsten‘ aller englischen Dichter.“ Sein Mannheimer Kollegen Hermann Fischer sah in Keats gar „den Prototyp des Lyrikers“.
Fischer schrieb das kenntnisreiche Nachwort zum – auch in Ermangelung einer deutschsprachigen Keats-Biografie – Standardwerk über den Dichter im deutschen Sprachbereich. Darin geht er nicht nur ausführlich auf Keats‘ Bedeutung für die Nachwelt ein, sondern auch seinen Wurzeln nach. Als besonders groß empfindet Fischer den Einfluss Hunts auf Keats. Dieser habe sich, namentlich im Endymion, nicht nur in der Begeisterung für die Antike, sondern auch in mangelnder handwerklicher Sorgfalt niedergeschlagen – was die hämische Kritik an seinem Erzählgedicht zum Teil erklärte, aber bei weitem nicht rechtfertigte.


Der bereits 1995 im Reclam-Verlag publizierte Band enthält eine (teilweise zweisprachige) Auswahl aller wichtigen Werke Keats’, darunter die großen Oden, Sonette, Balladen und Versepen, ein Dramenfragment sowie einige seiner sehr poetischen und eindrucksvollen Briefe, für Fischer der „Schlüssel zu Keats‘ Gedankenwelt.“ Sie geben auch Zeugnis von der politischen Entwicklung des Dichters, der „seine geistige Reife in den Jahren nach dem Wiener Kongreß“ erworben hatte, angewidert von der anschließenden Restauration in ganz Europa. An seine Eltern schreibt Keats, Napoléon Bonaparte „hat der Sache der Freiheit mehr geschadet als sonst irgendwer“; von ihm hätten die aktuellen Machthaber, „diese Herren von Gottes Gnaden“, gelernt „und werden, ohne daß sie auch nur eine einzige seiner guten Seiten haben, all den Schaden stiften, den er auch weiter angerichtet hätte.“ Besorgt geht der Blick in die Zukunft, die Keats bestätigen wird: „Das Schlimmste, was er getan hat, ist, daß er sie gelehrt hat, wie man die ungeheuren Armeen aufstellt.“

Hat sich denn in den letzten beiden Jahrhunderten bei der Kritik gar nichts verändert? Doch, ein wenig.

Andreas Nohl maulte kurz nach Erscheinen in der ZEIT (Ausgabe 46/1995): „Das Nachwort von Hermann Fischer hat alle Chancen, in der Rubrik ‚Wie interessiere ich sowenig wie möglich für meinen Gegenstand‘ ins Buch der Rekorde aufgenommen zu werden. Die Briefe schließlich sind in sich gekürzt und selbst so streng ausgewählt, daß sich wohl alles theoretisch Bedeutsame hier versammelt findet, aber nichts von der eigentlichen Qualität des Briefschreibers spürbar wird, der in seiner Lebendigkeit dem Lyriker an Bedeutung kaum nachsteht.“ 
Hat sich denn in den letzten beiden Jahrhunderten bei der Kritik gar nichts verändert? Doch, ein wenig. Angesichts nicht vorhandener Alternativen zeigte sich der zuvor deutlich angefressene Rezensent am Ende gnädig: „Trotz dieser Mängel“, konzedierte Nohl, „ist das Reclam-Buch die verläßlichste Ausgabe von Keats, die wir haben.“