Politica | Polizeigewalt

Die Beförderung

Die SVP-Abgeordnete Renate Gebhard hat in einer Anfrage an die Innenministerin fast 20 Jahre nach den Exzessen beim G8-Gipfel in Genua auf einen Folgeskandal hingewiesen.
Genau 2001
Foto: upi
Die Regel heißt, dass sich die SVP-Parlamentarier in Rom ausschließlich um Südtirol-Angelegenheiten kümmern. Dass es manchmal bei diesem lokalpatriotischen Dienstauftrag auch Ausnahmen gibt, zeigt jetzt Renate Gebhard.
Die Eisacktaler SVP-Abgeordnete hat in der Verfassungskommission eine parlamentarische Initiative gestartet, die deutlich macht, dass sie auch über den eigenen Tellerrand hinausschauen kann. Die SVP-Gruppensprecherin hat zusammen mit ihren Fraktionskollegen Andrea Colletti, Raffale Trano und Pino Cabras der 5-Sterne-Dissidentengruppe „L’ alternativa c’è“ eine politisch durchaus brisante Frage an die Innenministerin Luciana Lamorgese gestellt. Die vier Abgeordneten wollten eine Erklärung für einen Vorgang, der in jedem westlichen Rechtsstaat als Skandal angesehen würde, in Italien aber anscheinend zur allgemeinen Verwaltungs- und Rechtskultur gehört.
 

Die Diaz Schule

 
Es geht um eine Geschichte, die fast genau 20 Jahre zurückliegt. Am 21. Juli 2001 endete der G8-Gipfel in Genua nach dreitägigen, meist friedlichen Demonstrationen in eine Gewaltorgie der Polizei. Es kommt nicht nur zu starken Spannungen und harten Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, sondern die Polizei stürmt in dieser Nacht auch die Armando-Diaz-Schule, wo Kundgebungsteilnehmer übernachten. Die Beamten gehen dabei mit offener und brutaler Gewalt vor: Das Ergebnis der Erstürmung, die ohne Genehmigung eines Richters erfolgt: 60 Verletzte, darunter werden 28 Menschen mit mehreren Frakturen ins Krankenhaus eingeliefert, davon 5 in lebensbedrohlichem Zustand.
 
 
 
 
Laut Amnesty International kam es bei der Polizeiaktion zu sehr schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg verurteilte Italien wegen des Verhaltens der Polizei während dieser gewaltsamen Razzia wegen Verstoßes gegen Artikel 3 der Menschenrechtskonvention über das „Verbot von Folter und unmenschlicher Behandlung oder Erniedrigung.
Jahre später wurden eine Reihe von Polizeibeamten rechtskräftig zu Haftstrafen verurteilt und damit auch vom Dienst suspendiert. Darunter auch Pietro Troiani und Salvatore Gava, die vom Kassationsgericht zu drei Jahren und fünf Monaten Haft und zum Ausschluss für fünf Jahre von allen öffentlichen Ämtern verurteilt wurden. Troiani hatte zwei Molotow-Cocktails in die Diaz-Schule gebracht, um sie dann zu „finden“ und Gava hatte den Fund öffentlich bestätigt, der als Erklärung für die Erstürmung der Diaz-Schule dienen sollte.
 

Die Beförderung

 
Pietro Troiani und Salvatore Gava wurden im Herbst 2020 per Dekret der Innenministerin und des Polizeichefs zum Vizequästor befördert. Die vier Parlamentsabgeordneten wollten jetzt von Innenministerin Luciana Lamorgese nicht nur wissen, wie es zu dieser skandalösen Beförderung kommen konnte, sondern sie fordern auch einen umgehenden Widerruf der Aktion.
 
 
 
Dazu wird es aber kaum kommen. Einen Tag später antwortet Lamorgese auf die dringende Anfrage in der Verfassungskommission.
Es ist eine Antwort, die sich ausschließlich auf formalistische Angaben beschränkt. Demnach waren beide Polizeibeamte nach ihrer Verurteilung von 2012 bis 2017 vom Dienst suspendiert. Salvatore Gava kehrt nach dieser Frist im Juli 2017 in den Polizeidienst zurück, Pietro Troiani bereits Anfang 2016. Polizeiintern wurde gegen beide Beamten im Mai 2015 auch ein fünfjähriges Beförderungsverbot verhängt. Diese Maßnahme lief im Mai 2020 aus. Wenig später wurden beide zum Vizequästor ernannt.
Die Innenministerin geht in ihrer schriftlichen Antwort mit keinem Wort auf die Tragweite dieser Personalentscheidung und die negative Signalwirkung ein, die diese Beförderung mit sich zieht. Lamorgese tut so, als wäre es die normale Praxis.
Die Frage wird jetzt sein, ob sich Renate Gebhard & Co mit dieser Nichtantwort zufriedengeben.

 

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Hartmuth Staffler Gio, 04/22/2021 - 21:41

Zu Vetternwirtschaft schweigen, so wie sie es empfehlen, ist ein schändliches Verhalten. Stattdessen sollte man solche Dinge anprangern, ganz gleich wo und von wem sie begangen werden.

Gio, 04/22/2021 - 21:41 Collegamento permanente
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Stefan Laner Gio, 04/22/2021 - 21:48

Hallo, ich schreib heut zum ersten Mal bei euch, obwohl ich schon öfter mal dran gedacht habe. Gleich vorweg, ich gehöre in die Kategorie "Besserwisser" oder "Nachtragend".
Ich kann mich noch gut erinnern an damals, an den Sommer 2001, in dem der G8-Gipfel in Genua stattfand. Es war eigentlich ein Großes Thema in meinem Umfeld. Eineinhalb Jahre zuvor war schon das Unglück beim Snowfestival am Bergisel... den Flaschenhals habe ich selber miterlebt, wie viele andere auch, und bin höchstens 10 Minuten vor der Panik an der Stelle vorbei. Die Situation war schon gefühlt absehbar, und viele Dinge sind gleichzeitig schiefgelaufen. Ein anderes Management hätte Fehler vorweg bedenken können.
2001 war in Bildern und Medien und Erzählungen von Freunden dem sehr ähnlich. Protest gegen G8 war logisch für uns. Konzerne und Logen der 8 Giganten der Welt, die die Wirtschaft bestimmen und den Markt für ihre Zwecke gestalten, das waren immer schon die "Bösen".
An den 20. Juli kann ich mich auch noch erinnern, der Tag vor dem Tag den dieser Artikel thematisiert. Ich kann mich an die Videos von damals erinnern, an das Polizeiauto mit den 2 Polizisten in der Menge von Demonstranten. An die Reaktion des Fahrers, der nicht stehen geblieben ist, sondern die Leute angefahren hat und einfach durch die blockierenden Demonstranten hindurch wollte.
Da gab es diesen einen Demonstranten. Mit einem Feuerlöscher oder so ähnlichem hat er die Rückscheibe eingeschlagen. Ich glaube ein Anderer hat sich auf die Motorhaube geschmissen, um den Fahrer aufzuhalten. Und der Eine wollte durch das Rückfenster.
Ein Polizist hat geschossen. Carlo Giuliani ist am 20. Juli 2001 gestorben.
Diese Geschichte ergänze ich Ihrer Aufarbeitung der Proteste 2001 in Genua zum G8-Gipfeltreffen.
Ich erzähle diese Erinnerung von mir und behaupte nicht, dass ich alles korrekt wiedergegeben habe.
Vielleicht kann sich ja aus meiner Generation noch jemand anderes etwas besser daran erinnern.

Gio, 04/22/2021 - 21:48 Collegamento permanente