Politica | Parlamentswahlen

„Eine Aushöhlung der Demokratie“

Der ehemalige Senator Oskar Peterlini über die Verfassungswidrigkeit des aktuellen Wahlgesetzes und sein Entsetzen über die SVP und den Südtiroler PD.
Oskar Peterlini
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser
Salto.bz: Herr Peterlini, Sie kritisieren auf Facebook das aktuelle Wahlgesetz und auch Ihre Partei die SVP. Sie schreiben wörtlich: „Es ist ein Trauerspiel“.
 
Oskar Peterlini: Normalerweise halte ich mich ja immer zurück, um nicht als Berufskritiker in die Geschichte einzugehen. Aber dieses Wahlgesetz ist schon sehr bedauerlich. Zum einen gibt es in Zukunft keine Vorzugsstimmen mehr. Weder für die Abgeordnetenkammer noch für den Senat. Die Parteien habe sich das zurechtgelegt, damit allein die Parteispitzen entscheiden können, wer ins Rennen geht. Damit wird dem Wähler jede Möglichkeit genommen, die Personen auszuwählen, die für ihn aktiv werden sollen. Die Parteien glauben damit ein Geschäft zu machen und verstehen nicht, dass sie durch diesen Mechanismus langfristig nicht nur sich selbst schaden, sondern vor allem der Demokratie, die dadurch total ausgehöhlt wird.
 
Sie sehen die Demokratie wirklich in Gefahr?
 
Ja. Es gab auch ein Urteil des Verfassungsgerichts zum sogenannten Porcellum, das damals auch nur blockierte Listen vorsah. In diesem Urteil von 2014 wird ausdrücklich festgehalten, dass die Abschaffung der Vorzugsstimmen eine Einschränkung der Demokratie bedeutet und damit eine Verletzung der Verfassung. Trotzdem hat man mit dem neuen Wahlgesetz im Prinzip wieder genau das selben gemacht. Man wählt nur mehr das Listenzeichen und damit ist vorgedruckt, wer im Wahlkreis gewählt ist.
Die Parteien habe sich das zurechtgelegt, damit allein die Parteispitzen entscheiden können, wer ins Rennen geht. Damit wird dem Wähler jede Möglichkeit genommen, die Personen auszuwählen, die für ihn aktiv werden sollen.
Gleichzeitig aber wählt man mit dieser Stimme diesmal aber einen zweiten Kandidaten oder eine zweite Kandidatin im Verhältniswahlkreis?
 
Ganz genau und das ist noch schwerwiegender. Automatisch wählt man jene mit, die im regionalen Verhältniswahlkreis aufgestellt wurden. Das heißt der Wähler hat überhaupt keine Auswahl mehr. Die SVP war hier ja fast noch nobel, weil sie diesen undemokratischen Modus erkannt uns wenigsten Vorwahlen machen wollte. Dass diese Vorwahlen dann kläglich gescheitert sind, steht auf einem anderen Blatt Papier.
 

Sie kritisieren die Vorwahlen in Ihrer Partei?
 
Natürlich. Denn eine Vorwahl hat es höchstens in einem Wahlkreis zwischen Dieter Steger und den beiden anderen Kandidaten gegeben. Wobei das auch mehr oder weniger vorgegeben war. Das heißt: Was serviert wird, ist ein fertiges Menü. Und es heißt: Nehmen oder lassen. Das ist die Situation.
 
Die SVP wird bei den anstehenden Wahlen ein großes Problem haben. Nämlich die Leute zur Wahl zu bringen?
 
Genau das meine ich, wenn ich sage, damit schadet man der Demokratie. Die Menschen sind ja nicht dumm. Man sagt sich: Warum soll ich zur Wahl gehen wenn eh schon alles vorbestimmt ist. Das letzte Parlament wurde mit dem Porcellum gewählt, dem Wahlgesetz das Berlusconi und Calderoli durchgesetzt haben, und man kritisierte, dass das Parlament im Prinzip ernannt war. Ernannt, weil die Wähler keinerlei Möglichkeiten hatten die Abgeordneten auszuwählen. Genau das ist jetzt wieder der Fall. Man kann in Südtirol bei diesen Wahlen keinen einzigen Kandidaten wirklich wählen.
Was serviert wird, ist ein fertiges Menü. Und es heißt: Nehmen oder lassen. Das ist die Situation.
Es gibt am Verfassungsgericht bereits Rekurse gegen dieses Wahlgesetz. Sie gehen davon aus, dass diese Rekurse Chancen haben?
 

Absolut. Obwohl sich das Verfassungsgericht bereits eindeutig aussprach, hat man mit dem neuen Gesetz diese Entraubung der Vorzugstimmen wiederholt. Zudem hat der Verfassungsgerichtshof bereits zweimal eingegriffen. Denn er hat sowohl das Porcellum, wie auch das Italicum zu Fall gebracht, das von Renzi als Korrektur des Porcellums gedacht war. Auch das Italicum wurde in den wichtigsten Teilen als verfassungswidrig eingestuft und außer Kraft gesetzt. Mit dem Hinweis, dass damit die Grundregeln der Demokratie verletzt werden. Das sagt doch schon alles. Es ist wirklich bedauerlich, dass hier immer wieder das Gericht einschreiten muss, um die Parteien zu bremsen.
 
Sie kritisieren aber auch den Südtiroler PD?
 
Tatsache ist, dass die Partnerpartei der SVP und die Südtiroler Regierungspartei keinen einzigen Kandidaten aus dem Territorium in den sicheren Wahlkreisen aufstellen kann. Das ist unglaublich. Und das hat es auch noch nie gegeben.
 
Mit sicheren Wahlkreisen meinen sie die Wahlkreise Bozen-Unterland in Kammer uns Senat?
 
Ja, diese Wahlkreise wurden geschaffen, um Südtiroler Italiener ins Parlament zu bekommen. Beide Kandidaten werden jetzt aber mit auswärtigen Kandidaten und von Rom aus besetzt. Soweit es Giancarlo Bressa betrifft, so kann man hier noch eine gewisse Logik erkennen. Er hat viel für Südtirol getan. Aber, dass auch der zweite Sitz einfach so vergeben wird, das ist ein Skandal. Damit schwächt der römische PD die eigenen Vertreter im Lande.
Tatsache ist, dass der Südtiroler PD keinen einzigen Kandidaten aus dem Territorium in den sicheren Wahlkreisen aufstellen kann. Das ist unglaublich.
Ihre Partei die SVP spielt dieses Trauerspiel aber aktiv mit, indem man die nationalen PD-Kandidaten blind unterstützt?
 
Auch das hat es nach meiner Sicht noch nie gegeben. Als man 2001 erstmals ein Abkommen mit dem PD machte, damals hieß das Ganze noch Ulivo, hat man sich die Kandidaturen gerecht aufgeteilt. Bressa in der Kammer und ich habe mit Unterstützung der italienischen Parteien für den Senat kandidiert. Dieser Pakt ist vollkommen aufgegangen. Es war ein ausgewogenes Geben und Nehmen. Diesmal aber überlässt man beide Sitze ganz einfach dem PD. Das heißt: Der Bozner und der Unterlandler Wähler ist gezwungen, diese beiden aus Rom bestimmten Kandidaten zu wählen. Nicht nur im Unterland ärgert man sich und sagt: Warum tritt niemand aus den eigenen Reihen an? Man hat nicht einmal versucht, einen Kandidaten zu finden, der allen genehm ist. So wie es mein Nachfolger Francesco Palermo war. Deshalb kritisiere ich auch die SVP scharf.
 
Der Argumentation der SVP-Führung ist einfach. Mit dem neuen Wahlgesetz hat man sechs Parlamentarier sicher. Mehr braucht und will man nicht.
 
Wir hatten seit Karl Ferrari und dann mit mir bereits sechs Parlamentarier. Also vom einem großen Zugewinn für die SVP sehr ich hier nicht viel. Als SVP-Mitglied und auch als Unterlandler ärgere mich diese Vorgangsweise. Deshalb habe ich auf Facebook auch etwas Dampf abgelassen. Hier ist man eindeutig auf dem falschen Weg.

 

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Martin Daniel Mar, 01/23/2018 - 17:11

Es ist Vieles zu teilen, was Peterlini sagt. Eine Präzisierung ist dennoch vonnöten: Das Verfassungsgericht hat die mangelnde Möglichkeit der Vergabe von Vorzugsstimmen bei langen vorgedruckten Listen für verfassungswidrig erklärt, weil das angebotene Paket zu groß war und den Wählern nicht zumutbar wäre, bei allen Kandidaten zu wissen, um wen es sich handelt. Deswegen wurden bei diesem Rosatellum kleine Verhältniswahlkreise geschneidert, in denen die Listen nur zwischen 2 und 4 Kandidaten setzen können. Da diese kurzen Listen ob ihrer Möglichkeit der Kenntnisnahme seitens der Wähler als zumutbar erachtet werden, dürfte der Punkt diesmal einer Überprüfung standhalten.

Mar, 01/23/2018 - 17:11 Collegamento permanente