Società | Folgen von Corona

Armut. Was jetzt?

Die Pandemie drängt mehr Menschen in Südtirol an die Armutsgrenze. Öffentliche und Private bieten der Verarmung die Stirn. Doch reicht das?
Lebensmittelvergabe
Foto: Joel Muniz on Unsplash

In diesem Jahr werden besonders viele Gäste zur Feier erscheinen. Anlass zum Anstoßen ist das keiner: Bei der Jahresfeier des VinziMarkts, der für die Vinzenzgemeinschaft Lebensmittel an Bedürftige in Bozen verteilt, bedeuten mehr Gäste – mehr Familien, die auf Essensausgaben angewiesen sind. „Im März 2020 haben 146 Bedürftige mit uns gefeiert. Dieses Jahr sind bereits 207 Familien bei uns registriert", konstatiert die Leiterin des VinziMarkts, Sabine Eccel, trocken. Laut den Daten der ASTAT waren 2018 17,5 Prozent der in Südtirol ansässigen Personen armutsgefährdet. Aufgrund der anhaltenden Pandemie wird für 2020 (ohne Fördermaßnahmen) ein Anstieg von einem Prozentpunkt, also die zusätzliche Gefährdung von einer von 100 Personen in Südtirol, projiziert.

Diese Umstände geben den Anstoß zu einer zweiteiligen Salto-Recherche: Dieser erste Teil geht der Frage zu den Hilfsangeboten für finanziell Bedürftige nach. An wen können sich Familien und Menschen in Not in Südtirol wenden? Welche Hilfestellungen können sie erwarten? Öffentliche Maßnahmen und Anlaufstellen werden dabei genauso berücksichtigt wie die Arbeit der Caritas, des Vinzenzvereins und anderer gemeinnütziger Organisationen. Der zweite Teil der Recherche, der morgen auf Salto.bz erscheint, beleuchtet das Thema von einer anderen Seite: Wer sind die Menschen, die an die Armutsgrenze gedrängt werden? Wie drückt sich ihre Bedürftigkeit aus? Und erreichen die Hilfsangebote die in Armut geratenen Menschen, oder müssen private Bürger spontan #Zomholten, um ein strukturiertes Auffangnetz zu ersetzen?

 

Hilfe von öffentlicher Hand

 

“In den Medien wird immer wieder behauptet, es gäbe in Südtirol keine Hilfe für finanziell Bedürftige. Das ist schlicht und einfach falsch”, echauffiert sich der Leiter des Sozialsprengels Bruneck und Umgebung, Hans Mitterhofer. Diese gibt es nämlich sehr wohl. Nebst den gemeinnützigen Organisationen wie der Caritas oder dem Vinzenzverein, bietet Südtirol ein starkes soziales Netz in Form von öffentlichen Anlaufstellen. “Das öffentliche Netz könnte zwar an einigen Stellen verbessert und ausgebaut werden, aber auch in seiner jetzigen Form bietet es konkrete Hilfe für Bedürftige”, so Mitterhofer.

Vor allem im Zuge der Covid-19-Pandemie wird die finanzielle, organisatorische und psychologische Unterstützung der öffentlichen Anlaufstellen stark in Anspruch genommen. So können bedürftige in Südtirol lebende Familien und Einzelpersonen seit Dezember die Covid-19-Soforthilfe beantragen- zusätzlich zum Arbeitslosengeld. Die Soforthilfe beträgt monatliche 500 Euro für die Antragstellenden und zusätzliche 200 Euro pro Familienmitglied – wobei pro Familie nicht mehr als 900 Euro ausbezahlt werden. 

 

Ein Sonderbeitrag zur Deckung von Miete und Wohnnebenkosten soll außerdem in Not geratenen Familien zur Hand greifen. Nur im Raum Bruneck wurden seit Dezember für Covid-Soforthilfen und Sondermietbeiträge 1.700.000 Euro ausgeschüttet. Voraussichtlich können diese Gelder noch bis Ende März in Anspruch genommen werden.

Diese momentan verfügbare Unterstützung der öffentlichen Hand baut auf ähnlichen Maßnahmen, die von April bis Juli 2020 verfügbar waren, und der einmaligen Leistung des Covid-Kindergeldes – 400 Euro pro minderjähriges Kind für bedürftige Familien – auf. Wie Mitterhofer erklärt, bietet das öffentliche Netz – werden die Daten des Sozialsprengels Bruneck auf die gesamte Provinz hochgerechnet – rund 10.000 Antragstellern und ihren Familien konkrete finanzielle Hilfeleistungen. (Anmerkung: Salto.bz ist hier auf die Zahlen des Sozialsprengels Bruneck angewiesen, da weder die ASTAT noch das Sozialressort der Provinz diesbezüglich umfassende Daten liefern konnte).

 

Zusatzhilfen von Privaten 

 

Die öffentlichen Anlaufstellen vermitteln aber auch zwischen Bedürftigen und privaten Organisationen. Wie Mitterhofer erklärt, bringen öffentliche Einrichtungen Familien beispielsweise mit der Caritas oder dem Vinzenzverein in Verbindung, die sich darum kümmern, Familien und Einzelpersonen in konkreten Notsituationen aufzufangen.

Unsere Spendenausgaben sind um rund 30 Prozent gestiegen.          

- Leiter der Caritas, Stefan Plaickner

Dass Öffentliche und Private das Netz zusammen stützen und in ihrer Arbeit aufeinander angewiesen sind, wird auch anhand der “Task-force Armut” deutlich. Die Task-force, die unter der Leitung des Sozialressorts der Provinz tagt, umfasst Vertreter der Caritas, der Südtiroler Vinzenzgemeinschaft, des Vereins Volontarius, der Verbraucherzentrale, des KVW, der Handelskammer, des KFS, des Dachverbandes Gesundheit und Soziales, der Sozialdienste sowie der zuständigen Landesämter.

Ohne die Unterstützung gemeinnützigen Organisationen könnte das soziale Netz also kaum standhalten. Eine wichtige Funktion übernimmt hier die Caritas Diözese Bozen-Brixen. Neben seelischem Beistand und Beratungen bietet die Einrichtung auch konkrete finanzielle Hilfe. Die dafür nötigen finanziellen Mittel stammen aus Spendengeldern, unter anderem jenen der Aktion “Südtirol Hilft”. Damit werden zum Beispiel sogenannte Familienpakete geschnürt–, also Geld für Miete, Strom, Lebensmittel oder Schulkosten der Kinder. “Wir haben im Jahr 2020 eindeutig mehr Spendengelder als in den vorherigen Jahren für existenzsichernde Kosten an Familien verteilt. Unsere Spendenausgaben sind um rund 30 Prozent gestiegen”, so der Leiter der Caritas Schuldnerberatung, Stefan Plaickner, welche finanzielle Anfragen dieser Art entgegennimmt.

 

Lebensmittel für alle?

 

Essenziell für die Unterstützung in Not geratener Familien sind Essensschenkungen. Vereine in ganz Südtirol helfen so, die Kühlschränke wieder zu füllen. Die Südtiroler Landestafel “Banco Alimentari” sammelt Lebensmittelspenden– sowohl von großen Supermarktketten als auch von privaten Konsumenten– und verteilt diese landesweit. Der Verein kooperiert mit lokalen Organisationen wie der Organisation Volontarius-Bröseljäger oder der Vinzenzgemeinschaft. Sabine Eccel vom VinziMarkt sieht die Ausgabe von Lebensmitteln insbesondere in der Hauptstadt Bozen durch das Netzwerk FoodNet effizient gedeckt: “Für jedes Viertel in Bozen übernimmt einer der Hilfsorganisationen, die mit Banco Alimentari kooperieren, die Lebensmittelausgabe. VinziMarkt ist etwa in Rentsch-Bozner Boden unterwegs. So wissen die Betroffenen, wo sie hingehen müssen, weil es für jedes Viertel eine konkrete Anlaufstelle gibt”, erklärt Eccel.

 

In kleineren Orten ist die Versorgung schwieriger: Tafeln für Bedürftige gibt es zwar landesweit, doch nicht jeder Ortskern ist abgedeckt. Es ist auch nicht immer einfach, bei den Leuten anzukommen, wie der Präsident der Südtiroler Landestafel Banco Alimentari Mario Deluca bedauert: “Nicht jeder kennt uns. Noch weniger natürlich die Familien, die erst seit Kurzem von Arbeitsverlust betroffen sind.”

Nicht jeder kennt uns. Noch weniger die Familien, die erst seit Kurzem von Arbeitsverlust betroffen sind.

- Mario Deluca. Präsident Banco Alimentari

Weil schnelle, direkte und unbürokratische Hilfe in Form von Lebensmittelschenkungen nicht überall vorhanden oder nicht immer sofort bei den Bedürftigen anzukommen scheint, haben sich viele Menschen in Südtirol der Gruppe #Zomholtn angeschlossen. Die Initiative hat landesweit Sammelstellen für Personen in Not eingerichtet–, alle Bürger können sich beteiligen, Hilfe soll schnell und unbürokratisch erfolgen. Nach anfänglichem Lob hat die Initiative aber viel Kritik auf sich gezogen.

Während #Zomholten vor allem auf schnelle und unbürokratische Hilfe abzielt, empfindet Eccel genau das Fehlen von Struktur als kritisch: “Zusätzliche Hilfe ist immer gut. Aber Hilfe allein reicht nicht. Hilfe muss auch organisiert und strukturiert werden.”

 

Es gibt Hilfe. Reicht das?

 

In Südtirol bieten also sowohl öffentliche als auch private Institutionen wichtige Anlaufstellen für in Armut geratene Personen. Diese werden nicht nur angeboten, sondern auch effektiv von bedürftigen Familien und Einzelpersonen genutzt. Aufgrund des Pandemie-bedingten Anstiegs der Nachfrage weiteten sowohl die öffentlichen als auch die privaten Einrichtungen finanzielle und materielle Hilfestellungen aus. Doch eine Frage bleibt: Kommen die Gelder und Lebensmittel auch wirklich bei jeder Familie an, die sie braucht? Der zweite Teil der Recherche, der am morgigen Donnerstag (25. Februar) auf Salto.bz erscheinen wird, versucht diese Frage zu beantworten.