Società | Eiertreter*in

Urlaub von der Kinderstube

Für die schönste Zeit des Jahres wünsche ich mir neben einer Covid-Free-Zone vor allem eine Sauftyrolean-Free-Zone. Das hat Gründe.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Meerblick
Foto: Pixabay

Booking. Airbnb. NOVASOL. FeWo-direkt. Wenn Sie noch Portale kennen, wo ich nach einer Ferienwohnung suchen kann, schreiben Sie es einfach in die Kommentare.
Gott, ich bin so urlaubsreif! Kein Wunder, die Weinnachtsferien sind schon über einen Monat her und bis Ostern dauert es noch. Was? Winterferien? Zählen nicht, ist ja Lockdown.
Außerdem ist dieser Fernunterricht die volle Härte: Google Classroom, MS Teams, Zoom, Skype musste ich mir alleine aneignen, ohne einen einzigen Weiterbildungspunkt zu bekommen. Vom Unterricht ganz zu schweigen: Da wird nebenbei YouPorn geschaut oder ein Chat mit der Clique läuft parallel. Zudem hockt die halbe Elternschaft außerhalb des Blickwinkels der Webcams mit in der Klasse. Das ist Druck! Da darf frau ohne schlechtes Gewissen in Urlaubsgefühlen schwelgen. Auf jeden Fall suche ich was hübsches. Irgendwo am Meer.

Der Hotelier

Also mit den Plärrern vom HGV habe ich ja nicht viel gemein, aber in einem haben sie recht, wenn sich ihr Häuptling hinstellt und mit dem Brustton der Überzeugung dem „Boazner“ ins Mikrophon tönt: Das Wichtigste bei einem Beherbergungsbetrieb ist die Lage, zweitens die Lage und am allerwichtigsten die Lage. Natürlich schmückt der Ex-Senator das sprachlich nicht so aus. Unsere Touristiker sind eher schlichte Gemüter, die durch allerlei glückliche Umstände zu einem Hotel gekommen sind - oder unglücklicherweise als Erben hineingeboren wurden. Bei denen klingt das dann so: Das Wichtigste ist die Lage, die Lage, die Lage.
Kann sich nicht jeder aussuchen. Ich meine, wenn du als zweite Generation in einem Betrieb aufwächst, der - kruzitirggennomol - eingebaut im Dorfzentrum steht. Kacke. Hat nicht jeder einen Vize-Bürgermeister in der Sippschaft, der sich seit den 1960er Jahren im Südtiroler Bauernbund engagiert; so zumindest steht es auf Wikipedia. Der es später zum Bürgermeister, Landtagsabgeordneten und Landesobmann des SBB bringt und es schafft, dass du Ende der 70er deinen 12-Zimmer-Gasthof vorbei an der Alfons Benedikterschen No-Zersiedelung-Policy, in eine Fünf-Sterne-“Premiumlage“ mit Blick auf die Dolomiten mitten ins Grüne setzen kannst. So zumindest erzählt man es sich oben in Taisten. Wenn es derlogn ist, lüge ich es hier nach - falsch, nach postfaktischer, trumpeltierscher Diktion wären das „alternative Fakten“.
Die Zimmervermieter in Schenna bei denen ich aufgewachsen bin, haben weder eine gute Lage, noch über die Jahre ihre Kreditlinien qualitativ erweitert … quantitativ … wurscht, dafür sind sie jetzt nicht so überschuldet, wie der Hoteldorf-Krösus taleinwärts (unverschuldet verschuldet muss es natürlich heißen). Mehr kann ich zu meinen Leuten nicht sagen, da ich mich mit Vierzehn in einem pubertären Schub von meiner vorgezeichneten Karriere als Zimmermadl emanzipiert habe. Allerdings leide ich heute noch an den Langzeitschäden und begrüße meine Schüler morgens schon mal mit einem überschwänglichen „Hatten Sie eine gute Anreise mit dem Schülerbus“ oder „Schön, Sie wieder einmal in unserem Haus begrüßen zu dürfen“ - letzteres, wenn die Dauerschwänzer mal wieder in ihren Bänken lümmeln. Ansonsten versuche ich die mit der Muttermilch aufgesogenen Manierismen, (in pandemischen Zeiten sollte ich besser „eingeimpft“ sagen), diese überkandidelte Südtiroler Gastfreundschaft, diese haarscharf am Servilismus vorbeischrammende Geschäftigkeit, mir weit vom Leib zu halten. Das gipfelt darin, dass ich nie in Hotels nächtige. Gefahr zu laufen, mit einem Animateur, einer Rezeptionistin oder - Gott bewahre - einem Zimmermädchen zusammenzutreffen, wäre mir unerträglich.

Der Gast

Hab's mal versucht: Teneriffa, Playa de las Américas, H10 Conquistador. Gleich damals, als die Landesregierung die „Sharm-Woche“ erfunden hat - zum Leidwesen aller nichttouristischen Unselbständigen, die nicht wissen, wo sie zwischen der Friedhofsrally und der „Giornata dell'Unità Nazionale e delle Forze Armate“, der Kranzniederlegungsorgie unserer walschen Heldentruppen am 4. November, ihre Plagen parken sollen. Der Begriff „Sharm“ hat übrigens nichts mit dem aus dem Französischen entlehnten Charme zu tun, womit laut Duden eine liebenswürdig-gewinnende Wesensart beschrieben wird. Würde sich a priori schneiden, besser diametral entgegengesetzt sein: Der Südtiroler im Allgemeinen und der Südtiroler Gastwirt im Besonderen ist nicht charmant – eher das Gegenteil. „Sharm“ wird vom ägyptischen Tourismuszentrum am roten Meer Sharm El Sheikh abgeleitet, wohin sich unsere Hotelerie en masse am Saisonende zur Chill-out-Party vertschüsst.
Hinter dir im Flieger hörst du den „Buibe, mit kuigelete Schuiche, der läsn tuit wäns räggng“, vor dir „Maaamaaa, schaug wooos die Koootz in Keeeller fir a Gsteeel mooocht“, neben dir eine Kredner- oder Badiotenfamily (wer kann das schon auseinanderhalten) mit Oma, Opa und Tante Lucia. Kurz überkommt dich Panik: Hast du in geistiger Umnachtung jetzt bei der Charterlinie der Medienkrake gebucht?
Gut, den Touristikern sei auch mal ein Familienurlaub gegönnt - aber warum haben alle das ultramega All-Inclusive-Schnäppchen für 245,99 Euro ab München gebucht? Hoffentlich nicht alle in deinem Hotel! Pustekuchen. Schon beim Check-in packt der Südtiroler Hotelier das „Worst-of-the-worst“ aus. Da kommen in geballter Form die schlechtesten Eigenschaften seiner Gäste zum Vorschein. Ein Konzentrat des Horrorgastes, dem du sein Geld zurückgeben würdest und eine Woche Gratisurlaub bei der Konkurrenz gegenüber dazu (za Fleiß), wenn er heute noch abreisen würde: Das Zimmer hat nicht den gebuchten Sassongher-Blick … Moment … hab's gleich …  hat nicht den gebuchten Meer-Blick, der Weiswein zu kalt, der Pool zu blau, das Frühstücksbuffet hat nur dreizehn Sorten Müsli und es gibt kein Sterzinger Joghurt. Gleicht einer Entschlackungskur, als müssten sie sich in einem Akt der Katharsis, von den Erniedrigungen ihre eigenen Gäste befreien, indem sie sie auf Estella abladen - der Kellnerin aus Valladolid, die sich hinter ihrem Lächeln wünscht, sie hätte etwas Anständiges gelernt.
Laut einer globalen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov unter 29.000 Erwachsenen aus 26 Ländern wird die Liste der unbeliebtesten Touristen in Europa von den Russen angeführt, gefolgt von Briten und den Deutschen auf Platz 5 … aber nur weil Südtirol noch immer kein Freistaat ist. Natürlich wären wir, wie überall, auch auf der Unbeliebtheitsskala die Beschtigschten: Das Volk der Raunzer und Rearer.
Das perfide ist, dass sich der Hotelier bei Reklamationen, nicht erbrachter Leistungen oder Storno auskennt wie in seiner Westentasche. Ist wie Insider-Trading: Da schickst du den stopseleten Wein so lange zurück, bis das Abendessen vorbei und du vom Verkosten der ganzen Flaschen hübsch angeschickert bist. (Kannst du natürlich nur einmal machen, aber dann mit einem ordentlich teuren Tropfen). Das Frühstücksbuffet wird zum Broteschmieren missbraucht, um die Halbpension zu einer ordentlichen 3/4 Vollpension aufzufetten, wie es in deinem Haus Usus ist. Siebenundvierzig Bademäntel hat dich die letzte Saison gekostet – jetzt willst du auch den Kick so ein Teil mitgehen zu lassen. Und natürlich nimmst du das Badehandtuch mit in die Disco - kannst nach dem Rausschmeißer-Lento sofort die beste Liege am Pool reservieren: Du hast gelernt beim „Sunbed war“ zwischen Briten und Deutschen auf deiner Liegewiese. Was hast du nicht alles unternommen, um dem Handtuchkrieg Herr zu werden. Mahnkärtchen durch den Bademeister, so viele zusätzliche Liegen angeschafft, dass der Gartenarchitekt einen Herzkasper bekommen hat, als er wegen des Kinderbeckenumbaus zum Lokalaugenschein kam. Reservierung der attraktivsten Plätze gegen Gebühr; die Rasensprenger auf 7 Uhr 30 programmiert; am Pool nur die anonym, weißen Badetücher erlaubt - jeden Tag ab der Wassergymnastik ausgeteilt und Abends wieder eingesammelt. Sogar mit Soziologie hast du dich beschäftigt: Gefangenendilemma, Tragik der Allmende, Nash-Gleichgewicht. Ich schweife ab.

Und jetzt faselt der Hoteldirektor - ein Piefke, was denn sonst - etwas vom Art. 460 des Código Civil und dass er dich rauswirft, wenn morgen dein Mila-Handtuch (ein Werbegeschenk der Gastrofresh), auch nur in der Nähe der Lagoon-Area auftaucht. Fertig machen wirst du den Arsch. Auf Tripadvisor, Holidaycheck und Booking sowieso. Dann darf sich die Stefanie, vom Bewertungs-Krisen-Management von H10, eine Entschuldigung aus den Fingern saugen. Alles haben sie ruiniert. Die schönsten neun Tage des Jahres versaut. Dilettanten. Stümper. Alle keine Ahnung, wie man ein Hotel richtig führt. Sollten mal zu dir kommen. Du würdest es ihnen schon aufdeitschen, den Tenerif…, den Tinerf…, den Spaniern!

Der Tourist

Ich weiß nicht wie Sie es handhaben, aber im Urlaub, unterhalte ich mich mit Evelin nur in Englisch. Zu peinlich, wenn du in Barcelona die Geburtsfassade der Sagrada Familia im Dialekt kommentierst und von hinten mit einem „Griaßt enk“ angepöbelt wirst, magari mit der Frage verbunden, aus welchem Kuhdorf frau kommt. Du kannst darauf wetten, im hintersten Winkel der Erde auf Südtiroler zu treffen. Als hätten sie 500 Jahre nach Kolumbus plötzlich entdeckt, dass die Erde keine Scheibe ist; man hinter all den Bergen nicht über den Rand fällt und von schrecklichen Ungeheuern gefressen wird, strömt das Bergvolk hinaus und beleidigt mit seinem guturalen Wörtergehacke die Ohren der Menschheit. Stimmt so natürlich nicht – nicht ganz. Schon immer sind Doige hinausgezogen in die Fremm und haben Zeugnis hinterlassen von unserer Hochkultur. Vorwitzige Weltenbummler. Anders lassen sich Kinderliedstrophen wie „Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh; sie verkaufen ihr Bettchen und schlafen auf Stroh“ gar nicht erklären. So ein genialer Jingle, der in einer Catchphrase das Wesen Südtirols als Sehnsuchtsziel und das seiner Gastgeber zusammenfasst, fällt den Werbefuzzies der IDM leider nicht ein. An anderer Stelle habe ich dazu noch aus Heinrich Heines Italienreise zitiert. Mehr ist zu uns Bergler auch nicht zu sagen. Außer vielleicht, dass ich mir wünsche, sie würde neben Verschwörungstheorien wie QAnon oder Querdenken auch den „Flat Earthers“ nachhängen: Überzeugt sein Dolomiten, Rieserferner- und Ortlergruppe seien Teil des Berg Qāf der iranischen Mythologie. Ein, die Welt umgebendes Ringgebirge, jenseits dessen das unendliche Nichts beginnt. Alle Dableiber: Reschenpass, Salurner Klause, Winnebach und Brenner nie überqueren. Denn was wiederholt Dorothy im Zauberer von Oz  ohne Unterlass, während sie die Hacken der magischen roten Halbschuhe zusammenschlägt: „Es ist nirgendwo so schön wie daheim“. Wenn das nicht überzeugt, erinnert euch an die Anti-Covid-Aktion der Südtiroler Sporthilfe vom letzten Frühjahr und den Hashtag #wirbleibenzuhause. Stärkt unsere Tourismusindustrie und macht Urlaub im eigenen Land, wo eine vierköpfige Regenbogenfamilie wie meine, für zwei Übernachtungen in einer Vier-Sterne-Bude einen halben Monatslohn hinblättern muss. Derweil buche ich meinen Urlaub weit weg; zertifiziert Südtirolerfrei. Boah! Das wäre ein Marketinggag für die Hotels, Pensionen und B&Bs außerhalb unserer Landesgrenzen. Statt „Zimmer frei“ prangt am Eingang das Schild „Südtiroler-frei“. Wird nicht passieren. Deshalb ...

Wenn Sie noch Portale kennen, wo ich nach einer Ferienwohnung mit Meerblick suchen kann - am besten mit Schlüsselsafe am Eingang, damit sich mein Leben nicht mit dem des Vermieters kreuzt - schreiben Sie es einfach unten in die Kommentare.

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Christian I Mar, 02/23/2021 - 17:43

Super Beitrag! :-) Kann mich echt damit identifizieren ;-) Wenn Deutsche neben uns stehen sprechen wir italienisch unter uns, bei Italiener sprechen wir deutsch... nur bei Südtiroler wird es schwierig... Zeit unsere Englischkenntnisse wieder aufzufrischen!

Mar, 02/23/2021 - 17:43 Collegamento permanente