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Uni am Bildschirm

Auch die Uni Bozen muss sich auf die neue Corona-Realität einstellen. Wie E-learning funktioniert erzählt Prof. Toni Bernhart anhand seines Kurses „Deutsche Literatur“.
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Foto: Pexels

Der Kurs „Deutsche Literatur“ im Studiengang Musikologie findet seit Montag 9. März regulär zu den geplanten Zeiten statt. Einziger Unterschied: Der Professor sitzt in Berlin, die Studierenden hingegen an unterschiedlichen Orten in Südtirol. Was sie verbindet ist ein virtueller Bildschirm. Dort spielt sich die Lehre ab, und wird Wissen kommuniziert und ausgetauscht. Wie Professor Dr. Toni Bernhart und seine Studenten dieses neue Lehrformat erleben, was der Coronavirus mit Literaturwissenschaften zu tun hat, und wie diese Krise das Lehrformat an Universitäten nachhaltig verändern könnte, erzählt er im Interview.

 

salto.bz: Herr Bernhart, Sie sind derzeit Lehrbeauftragter an der Freien Universität Bozen und lassen sich vom Coronavirus Ihren Unterricht nicht vermiesen. Ihren Kurs halten Sie trotz der restriktiven Maßnahmen. Wie haben Sie das bewerkstelligt? Gab es alle nötigen technischen und organisatorischen Voraussetzungen?

Toni Bernhart: Ich staune immer noch, wie wir alle gemeinsam unter Mitwirkung von sehr vielen Menschen an der Freien Universität Bozen in der Lage waren, am Montag vergangener Woche innerhalb weniger Stunden den Kurs überhaupt starten zu können. Vor allem technisch gilt ein großes Kompliment Herrn Daniele Frusone! Jetzt sind wir mittendrin und die Uni Bozen wird, wie viele andere italienische Universitäten, bald Vorbild für Europa sein, wie man Lehre innerhalb kürzester Zeit in den virtuellen Raum verlagern kann.

 

Wie funktioniert der virtuelle Unterricht?

Er funktioniert erstaunlich gut. Wir können via Bild und Ton miteinander kommunizieren. Wir können uns gegenseitig die Texte und die Dinge zeigen, über die wir arbeiten. Nur muss das Material digital verfügbar sein. Das ist auch didaktisch eine große Herausforderung. Hier machen sich aber die Vorzüge der Digitalisierung der letzten Jahrzehnte bemerkbar. Es ist ein literaturwissenschaftlicher Kurs, den ich unterrichte. Die großen Bibliotheken Europas und der Welt haben in den letzten Jahren systematisch damit begonnen, ihre Bestände digital verfügbar zu machen. In der jetzigen Situation erweist sich das als großer Vorteil.

 

Wie fühlt es sich für Sie an, über einen Bildschirm zu unterrichten?

Eine Videokonferenz suggeriert eine größere physische Nähe, als man sie in einer realen Klasse erlebt. Jede Person ist jeder anderen gleich nahe. Das ist erst einmal sehr ungewohnt, gerade dann, wenn man sich vorher noch nie real begegnet ist. Man muss als Dozent auch viel genauer und präziser kommunizieren und agieren, weil die Wahrnehmung voneinander eingeschränkter ist als im realen Raum. Mich hat sehr positiv überrascht, dass sich durchaus Momente hoher Konzentration und intensiver Arbeitsatmosphäre einstellen können – wie im normalen Unterricht. Die fünf Stunden, die wir täglich in der virtuellen Aula verbringen und in denen wir uns mit den Inhalten des Studiums beschäftigen, machen die momentan sehr schwierigen Umstände erträglicher, weil es uns daran erinnert, dass es auch so etwas wie Normalität gibt.

 

Und wie reagieren die Studierenden darauf?

Ich habe bei den Studierenden von Anfang an eine große Bereitschaft gespürt, produktiv mit der Situation umzugehen. Man hat ja plötzlich ganz andere praktische Problem als sonst: Ist die Internetverbindung stabil? Funktioniert mein Mikrofon? Wo finde ich welche Datei? In den Diskussionen und den Fragen, die die Arbeit betreffen, sind die Unterschiede zum normalen Unterricht aber kaum anders. Das zeigt, dass telematischer Unterricht in einer Notsituation ein brauchbarer Kompromiss sein kann.

 

Worum geht es in Ihrem Kurs?

In meinem Kurs geht es um deutschsprachige Literatur und um Methoden und Theorien der Literaturwissenschaft. Der Kurs ist Teil des Studiengangs „Musikologie“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus sehr unterschiedlichen musikalischen Bereichen. Manche sind Profimusiker, andere sind Musikwissenschaftler oder im Kulturmanagement tätig. In meinem Kurs geht es darum, Wechselwirkungen und Bezüge zwischen Literatur und Musik auszuloten. Da gibt es sehr viele Berührungspunkte, zum Beispiel die Thematisierung von Musik und Auditivität in Texten oder das weite Feld der sogenannten Volkslieder. Es gibt aber auch wissenschaftsgeschichtliche Verbindungen, etwa den Umgang mit Quellen, ihre Erforschung und Edition. Auch Theorien des Erzählens und die Unterscheidbarkeit zwischen Faktizität und Fiktionalität sind wichtige Bereiche. Auch mit dem Coronavirus haben wir uns ein paar Stunden beschäftigt.

 

Sie haben in Ihrem Literaturseminar das Coronavirus behandelt?

Nicht das Virus im medizinischen Sinn natürlich. Dafür sind Virologen und Ärzte die ausgewiesenen Experten. Aber mit dem Sprechen über das Coronavirus haben wir uns beschäftigt und mit medialen Texten, die sich darauf beziehen. Wir alle sprechen derzeit über dieses Virus, weil es überwältigende Auswirkungen auf unser Leben hat. Dabei bedienen wir uns der Sprache und stellen dadurch Wirklichkeit her. Das ist ein sehr komplexer Vorgang. Ich fand es wichtig, die Studierenden darauf aufmerksam zu machen, denn beim Sprechen und Schreiben über das Coronavirus kommen sehr viele sprachlogische und narratologische Mechanismen zum Tragen, für die die Literaturwissenschaft brauchbare Beschreibungs- und Analysewerkzeuge hat. Bewusstsein für Text und Sprache befähigt zum bewussteren Umgang mit existenziellen Belangen. Das ist letzten Endes Sinn und Zweck auch von Universität.

 

Glauben Sie, diese Krisensituation wird den Unterricht und die Studienorganisation (Stichwort e-learning) nachhaltig beeinflussen bzw. verändern?

Ganz bestimmt. Die derzeitigen Erfahrungen werden viele Bereiche unseres Lebens, darunter auch Formen des Unterrichts, nachhaltig beeinflussen. Was Schulen und Universitäten betrifft, sind die allermeisten sehr unvorbereitet betroffen. Man kann auch gar nicht vorbereitet sein, denn noch vor zwei Monaten war eine derzeitige Situation jenseits des Vorstellbaren. An der Universität Stuttgart, an der ich Dozent bin, diskutieren wir derzeit sehr angeregt darüber, wie wir den Unterricht beginnen können, wenn im April das Sommersemester beginnen soll. Zu meinen Kolleginnen und Kollegen habe ich auch schon gesagt: Orientiert euch an Italien, dort ist man in den Erfahrungen viele Wochen weiter. Leider führt uns die aktuelle Lage auch wieder schmerzhaft vor Augen, wie unterschiedlich die Bildungsvoraussetzungen durch finanzielle und soziale Ungleichheiten sind. Nur sehr reiche Länder, zu denen ich auch Südtirol zähle, werden in der Lage sein, Bildungsbrüche durch beherzte Maßnahmen einigermaßen abzufedern, wie etwa an der Uni Bozen durch die rasche Installation umfassender, aber auch teurer Softwarepakte für Lehrende und Studierende, oder wie in der Schweiz, wo öffentlich-rechtliche Medienanstalten Unterrichtsausfall durch Schulsendungen zu kompensieren begonnen haben. Man muss sich das einmal vorstellen: Hunderte Millionen Kinder, Jugendliche und Studierende erhalten derzeit keinen oder nur sehr reduzierten Unterricht. Kreative Lösungen und die Zusammenarbeit aller sind auch hier gefragt.