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Über den Untergang

Das Theaterstück ist effektiv, aber trotzdem karg inszeniert. Und obwohl es um den Untergang des Einzelnen geht, das Ende ist weder vorhersehbar noch erdrückend.
Wenn der Musiker Teil des Stücks wird: Markus Westphal und Manuel Oberkalmsteiner interagieren während des Stücks immer wieder.
Foto: rhd
Wenn der Musiker Teil des Stücks wird: Markus Westphal und Manuel Oberkalmsteiner interagieren während des Stücks immer wieder.
Wenn der Musiker Teil des Stücks wird: Markus Westphal und Manuel Oberkalmsteiner interagieren während des Stücks immer wieder. Foto: rhd

 

„Strahlender Untergang” ist das Erstlingswerk des vielfach ausgezeichneten österreichischen Schriftstellers Christoph Ransmayr. Ransmayer schildert darin den Versuch einer Gruppe mit dem Namen „Neue Wissenschaft”, das anstehende Ende der Welt vorzuziehen, indem es den Menschen die vorgezogene selbstgewählte Selbstvernichtung in einem eigens errichteten Komplex mitten in der Wüste schmackhaft macht.

Der Prissianer Schauspieler Markus Westphal, der Bozner Musiker Manuel Oberkalmsteiner und die aus Dresden stammende Regisseurin Alexandra Wilke bringen dieses Stück erstmals auf die Bühne. Premiere ist heute, Samstag, 24. September 2022, 20 Uhr, in der Kunsthalle West in Lana (weitere Termine siehe weiter unten).

Mitte dieser Woche hatten wir die Gelegenheit die Proben zu dieser Inszenierung „Strahlender Untergang” zu besuchen und dabei, bevor das Stück einmal zur Gänze durchgespielt wurde, mit Wilke und Oberkalmsteiner kurz über das Stück zu sprechen.

 

salto.music: Wir haben den Krieg in der Ukraine, eine hohe Inflationsrate, Klima-Krise, Energie-Krise … und ihr macht in solchen Zeiten ein Stück über den Untergang. Gießt ihr damit nicht Öl ins Feuer?

Alexandra Wilke: Nein! Wir haben ja festgestellt, dass die Leute jetzt etwas zum Lachen brauchen. Deswegen haben wir dieses Stück von Ransmayr gewählt, das ja nicht nur eine Fiktion ist die düster ist, sondern auch eine die sehr satirisch geschrieben ist und mit der Möglichkeit spielt, dass sich der Mensch doch möglichst selbst abschafft.

salto.music: Das ist doch eine tragische, apokalyptische Denkweise…

Alexandra Wilke: Ja, natürlich ist es das. Aber ob es es die ganze Welt schafft auf einen Nenner zu kommen, das ist ja schon schwierig bei positiven Ansätzen einen Konsens für eine Lösung zu finden. Ist ja das schon nicht möglich.

Das ist ein Spiel würde ich sagen. Und in dieser Überspitzung regt es eigentlich mehr die Fantasie an darüber nachzudenken, dass es so extrem gar nicht kommen kann und darf, und was man in diesem Miteinander auf dem Planeten und mit dem Planeten voran setzen könnte.

Die Menschen wollen jemandem folgen, und sei es in den Tod.

salto.music: Bei diesen Personen, die sich für die Selbstauslöschung entscheiden, habe ich zuerst an Kamikaze gedacht, an Selbstmord-Soldaten, an bestimmte Sektenanhänger…

Alexandra Wilke: Es gibt viele Gemütszustände im Menschen, die sie dazu bringen könnten, diese Unterschrift vielleicht zu leisten… sterbenskranke Menschen, Depressionen…

Und es gab ja auch schon Sekten, wo Weltuntergangsszenarien beschrieben wurden und zum fröhlichen Selbstmord und Wiedersehen im Paradiese aufgerufen wurde. Es gab immer Anhänger, weil – und das kommt auch in diesem Text vor – die Menschen jemandem folgen wollen, und sei es in dem Tod.

Im Text wird das nicht als Sekte verhandelt, sondern als „Neue Wissenschaft”, was noch einmal einen Zacken schärfer ist. Es erinnert unweigerlich an historische Ereignisse, wo ja auch mit Wissenschaft argumentiert wurde.

Das ist 1982 geschrieben worden und jetzt haben wir 2022, und man muss eigentlich zittern, dass wenn eine solche „neue Wissenschaft” formuliert werden würde, ob die nicht vielleicht sogar Anklang finden würde. Und, ob das nicht vielleicht wirklich gut für den Planeten wäre, der ja dann überbevölkert ist wenn unsere Kinder groß sind.

Also da sind viele Gedankenspiele im Text, die der Autor in Kombination mit der Performance, in der wir nach Bildern und Ausdruck suchen und auch viele Fragen stellen, hier bietet.

 

Lachen trotz Untergang? Yep, das geht.
Lachen trotz Untergang? Yep, das geht. Foto: rhd

 

salto.music: Welche Rolle spielt die Musik in diesem Stück?

Alexandra Wilke: Die Musik ist ein ganz großes Geschenk, was wir in diesem Stück entdecken durften. Mit Manuel haben wir uns gegenseitig auf ein Abenteuer eingelassen, weil wir vorher voneinander ja nicht viel wussten.

Die Musik gibt dem Ganzen eine Dimension, einen Klangraum. Und der Musiker geht in Verständigung mit dem Schauspieler. Der Schauspieler muss vor allem den Text greifen, ihn interpretieren. Manuel macht mit seiner Musik genau dasselbe. Der Text ist das Spielfeld, auf dem sich die beiden Akteure treffen.

Diese Art Begegnung und Dialog schafft für mich als Regie, als Kulturbegleiterin einen dritten Raum, in dem der Text für das Publikum, hoffentlich, sehr sinnlich erfahrbar wird.

Die Wüste kommt praktisch nach Prissian.

salto.music: Theater ist ja eigentlich nicht dein Metier. Wie bist du zu diesem „Job” gekommen?

Manuel Oberkalmsteiner: Der Kontakt ist über Philipp Kieser zustande gekommen. Ich habe einen Anruf erhalten mit der Anfrage, ob ich zwei, drei Songs und Geräusche zu einem Theaterstück spielen könnte. Der Aufwand wäre gering, zwei oder drei Proben und dann wäre es vorbei.

Ich bin an solchen Sachen immer interessiert, wir haben uns getroffen und dann ist es gewachsen und gewachsen und gewachsen… und jetzt sind wir hier.

salto.music: Du verwendest Fieldrecordings (Geräusche) und Musik (Melodien, Akkorde)...

Manuel Oberkalmsteiner: Genau. Ich arbeite prinzipiell viel mit Fieldrecordings und die passen hier wunderbar, weil sie, wie Alexandra gesagt hat, einen Raum schaffen. Die Wüste kommt praktisch nach Prissian. Ich finde das sehr spannend, es knistert und knarzt, und es macht wirklich etwas mit der Bühne. Mich versetzt es in einen völlig anderen Raum, das ist extrem spannend.

Dann gibt es ein musikalisches Hauptmotiv, das man auch im Trailer hören kann und „Strahlender Untergang” heißt, das am Anfang zum Einsatz kommt und am Ende wieder aufgegriffen wird.

Und dann gibt es noch ein drittes Element, das ist die Komponente Markus. Es gibt in dem Stück gewisse Szenen, in denen seine Stimme manipuliert wird, weil das Stück auch abdriftet. Irgendwann ist er im Universum zum Beispiel, und entsprechend wird seine Stimme manipuliert.

salto.music: Im Universum?!?

Alexandra Wilke: Ja! Das Tolle an dem Stück ist, dass viele Landschaften besprochen werden: die Wüstenlandschaft, die Seelenlandschaft, die Galaxien, der Kosmos, wie die Welt entstanden ist, Photosynthese … also wir gehen in die verschiedensten Bereiche, und natürlich hätten wir einfach eine Videoleinwand aufziehen können und darauf wird alles illustriert.

Das Tolle ist aber, hoffentlich schaffen wir es, im Kopf des Zuschauers die Bilder entstehen zu lassen. Da hat ja jeder seine eigenen Bilder.

Deshalb haben wir ja alle Vorgänge auf der Bühne transparent gelegt: Wie Manuel die Musik produziert, wie Markus die Lichtstimmungen einstellt, das ist ein Kopfkino.

Du hast hier zwei Mal homo ludens, also den spielenden Menschen, mit der Materie, dem Text, dem eigenen Dasein live hier vor Ort. Und dazu lädt man ein und hoffentlich steckt man dazu an.

 

Die Inszenierung ist karg aber wirkungsvoll: Markus Westphal in einer nicht ganz unwichtigen Szene des Stücks „Strahlender Untergang”.
Die Inszenierung ist karg aber wirkungsvoll: Markus Westphal in einer nicht ganz unwichtigen Szene des Stücks „Strahlender Untergang”. Foto: rhd

 

salto.music: Was macht Ransmayr aus?

Alexandra Wilke: Ransmayr schreibt wunderbare Texte, wobei der Text den wir haben, kein Text für die Bühne ist, wobei mich wundert, warum der noch nicht aufgeführt worden ist, gerade jetzt auch und im performativen Rahmen, wo man sich assoziativ dazu verhalten kann und natürlich muss.

Ich finde in seinen Texten toll, dass er es mit seiner Sprache schafft, sowohl eine Landschaft, die Natur in ihrer Beschaffenheit und in ihrem Vergehen sichtbar zu machen, als auch den Menschen und was dieser als verwüstendes Vieh, wie er es nennt, angerichtet hat.

Ransmayr packt das stilistisch in eine sehr schöne Sprache. Er schreibt in das Rhythmische hinein und der Text spricht sich also sehr gut. Zudem hast du das Introspektive, das Innerliche des Menschen aber auch draußen, die Landschaften. Diesen Switch finde ich persönlich bei Ransmayr ganz toll gelungen.

Und für einen Schauspieler, der im performativen Rahmen arbeitet, ist das eine ganz tolle Herausforderung. Im Theater hängst du meist in einer Figur fest und sprichst nur aus der Perspektive. Ich finde es toll, dass man hier die Perspektive innerhalb eines Textes mehrfach wechselt.

salto.music: Ransmayr hat eine lyrische, Bilder erschaffende Sprache und – obwohl ich nur bisher wenig gehört habe von dem Stück –, hatte ich den Eindruck, dass du keine vom Drama überladene akustische Welt schaffst, was sich aber anbieten würde, nicht?

Manuel Oberkalmsteiner: Ja, mag sein, aber meine Art ist das nicht. Mein Zugang ist immer, dass ich versuche ein Bild zu erzeugen, eine Landschaft. Ich möchte die Leute irgendwohin versetzen.

Durch ein Spiel kannst du Kontexte versetzen und verändern. Das ist unsere Kunst.

salto.music: Du bist also von der Wüste ausgegangen und nicht von der Selbstmord-Geschichte.

Manuel Oberkalmsteiner: Absolut. Mein Zugang ist eher der Klang und nicht das geschriebene Wort. Ich lass Bilder in mir entstehen oder ich interagiere mit Markus, reagiere darauf, wie er einzelne Passagen spricht. Wir reagieren aufeinander, ein wenig wie in einer Band. Daraus entsteht dann die ganze Geschichte. Je nachdem wie er spielt, oder wie ich spiele passieren die Dinge unterschiedlich. Die Probe gestern war sicherlich anders als die heute.
Es gefällt uns zu experimentieren, uns auszutesten. Was wir nicht wollen ist uns bis auf das letzte Details festzulegen. Wir wollen uns inspirieren lassen, auch vom Publikum.

Alexandra Wilke: Der Text ist schon krass bitter auch. Aber wenn man dann, wie Manuel gerade eben beschrieben hat, miteinander interagiert, wenn man euch dabei zuschaut, wie ihr mit dem Text interagiert, dann ist das wieder etwas so Helles und Positives… die Reibung mag ich gern, wie man mit etwas umgehen kann und damit spielt und durch ein Spiel kannst du Kontexte versetzen und verändern. Das ist unsere Kunst.

 

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Vor wenigen Tagen aufgenommen während der Proben zum Stück „Strahlender Untergang” von Christoph Ransmayr: Markus Westphal und Manuel Oberkalmsteiner in der Inszenierung von Alexandra Wilke. Foto: rhd

 

Die Aufführungstermine:

Samstag, 24.09.2022, 20 Uhr: Lana, Kunsthalle West
Sonntag, 25.09.2022, 20 Uhr: Prissian, Bürgersaal
Donnerstag, 29.09.2022, 20 Uhr: Verdins, Atelier Auer
Freitag, 30.09.2022, 20 Uhr: Prissian, Bürgersaal
Samstag, 01.10.2022, 20 Uhr: Prissian, Bürgersaal
Sonntag, 02.10.2022, 20 Uhr: Prissian, Bürgersaal
Sonntag, 09.11.2022, 20 Uhr: Meran, Kunst Meran Merano Arte
Montag, 10.11.2022, 20 Uhr: Bozen, Captain Kehl’s, Goethestraße

Infos zu Reservierungen: https://praxenknecht.com/project/strahlender-untergang/

 

Steuert dem Stück mit Behutsamkeit die Klangwelt bei: Manuel Oberkalmsteiner alias Zolf & Saturn.
Steuert dem Stück mit Behutsamkeit die Klangwelt bei: Manuel Oberkalmsteiner alias Zolf & Saturn. Foto: rhd

 

Die Beta-Version (mit eventuellem Spoileralarm)

Nach dem Interview wurde das Stück, das sich zu dem Zeitpunkt noch in der Entwicklung befindet, einmal ganz durchgespielt. Das Ensemble gestattete uns zu bleiben und so kamen wir in den seltenen Genuss einer Vor-Vor-Vor-Premiere. Ohne allzu viel zu spoilern und der eigentlichen Premiere heute, Samstag, 24. September 2022, in der Kunsthalle West in Lana vorzugreifen, einige Eindrücke.

Die Sprache von Christoph Ransmayr ist durchgehend poetisch und bilderschaffend und wenn man das Stück auch als dystopische Science Fiction-Story lesen kann, so holt diese lyrische Sprache in Verbindung mit der warmen, unaufdringlichen und überzeugenden Stimme von Markus Westphal einzelne Szenen immer wieder sehr nah an den Zuschauer heran. Die recht karge Inszenierung von Alexandra Wilke funktioniert, u.a. weil sie immer wieder unerwartete Brücken zum Text baut, ob dies nun die galaktischen Weiten sind oder der Todesmarsch der Lemminge.

Und Manuel Oberkalmsteiner, bzw. Zolf & Saturn, streut seine Musik mit Zurückhaltung und Bedacht ein. Oberkalmsteiner greift immer wieder in das Audio der Protagonisten ein, schafft mal Geräuschkulisse, mal Soundscapes, mal Soundtrack und unterstützt damit die Inszenierung wesentlich in ihrem – freilich nur von uns angenommenen Ziel – das Stück in der Zwischenwelt von Science Fiction und „realer” Theaterbühne zu halten. Ein sehr schöner, spannender Balance-Akt.

Und obwohl es im Stück eigentlich um nichts Geringeres als um den Untergang des Einzelnen geht, das Ende ist weder vorhersehbar noch erdrückend. Ist das ein Spoiler? Jein, beziehungsweise, es sollte ein Gegenpol zur Kurzfassung des Stücks sein, das man auf der Seite von Praxenknecht, sprich Markus Westphal, nachlesen kann. Denn dieser Text und die per Suchmaschine gefundene Inhaltsangabe – und übrigens auch der Trailer zum Stück – haben zumindest bei uns einen völlig anderen Film abgerufen, als das Stück selbst.

Was für die Inszenierung spricht und ein weiteres Mal die Wahrheit und das Glück von Oscar Wilde's Zeile „to expect the unexpected” unterstreicht. In dem Stück geht es weniger um den Tod, als mehr um das Leben, oder, noch konkreter, um das eigene Leben und wie man damit umgeht.

 

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Trotz apokalyptischem Setting, die Inszenierung von „Strahlender Untergang” atmet auch Hoffnung und Zuversicht: Markus Westphal und Manuel Oberkalmsteiner. Foto: rhd

 

Links:

Aufführungstermine und Infos zum Stück: https://praxenknecht.com/project/strahlender-untergang/
Homepage von Praxenknecht: https://praxenknecht.com/
Zolf & Saturn: https://www.zolfandsaturn.com/
Zolf & Saturn Bandcamp (Musik): https://zolfsaturn.bandcamp.com/
Alexandra Wilke: https://www.alexandrawilke.com/

 

Trailer zum Theaterstück „Strahlender Untergang”: Der Soundtrack dazu stammt von Manuel Oberkalmsteiner, alias Zolf & Saturn. Video: Martin Demetz