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Echte Füchse und erfundene Liebe

Adrian Goigingers dritter Film, „Der Fuchs“ feierte gestern Abend im Filmclub Südtirolpremiere. Ein Blick auf die Leinwand und Einblicke hinter die Kulissen des Drehs.
Der Fuchs
Foto: Alamode Film
Er wollte „keinen Kriegsfilm und keinen politischen Film“ drehen, hält der Regisseur nach der Vorstellung fest. Aber was wird hier erzählt? „Nach einer wahren Begebenheit“ verspricht der Trailer und zur Quelle ebenjener hatte Goiginger besonderen Zugang: Die Geschichte ist ein Ausschnitt aus dem Leben seines Urgroßvaters, Franz Streitberger (Simon Morzé), der ab 1937 beim Österreichischen Bundesheer diente und in Folge, nach der Eingliederung Österreichs in das deutsche Reich, ’38, als Motorrad-Kurier an der Westfront im Einsatz stand. Wie im Debüt „Die beste aller Welten“ inspiriert sich der Geschichtenerzähler Goiginger im familiären Umfeld, diesmal ohne „direkten“ Zugang (er verarbeitete die eigene Kindheit in seinem ersten Spielfilm), sondern über Interviews, welche er seit seinem 17. Lebensjahr mit dem Urgroßvater führte und aufnahm.
An den Hauptteil gliedert sich ein Prolog aus der Kindheit als Bergbauernsohn an, den Vater spielt dabei ein auf den Pinzgauer-Dialekt gecoachter Karl Markovics, den jungen Franz spielt mit Maximilian Reinwald ein „Muttersprachler“. Ihm verdankt auch Morzé als junger Erwachsener die Narbe an der Wange, welche Reinwald von einem Rodelunfall hat und nicht aus Goigingers Familiengeschichte stammt. Markovics hat am eigentümlichen Dialekt mehr zu kauen als der Kinderdarsteller, besonders in einer langen, in einem Durch gedrehten Sagenerzählung für den kranken Franz, vom „Boandlkramer“, dem Tod der einem gewitzten Bauern auf den Leim geht.
 
 
Wir sehen ein Portrait einer ärmlichen Bauernfamilie, als jüngstes Kind ist Franz unterernährt, der Vater beschließt den 1927 Achtjährigen an einen anderen Bauer abzugeben, damit der Bub durch den Winter kommt. Vom Kindheitstrauma eines über die Schulter geworfenen Protagonisten der schreit und auf die Schultern eines grobschlächtigen Bauers eintrommelt schneiden wir zum Titel, dann nach Salzburg ins Jahr ’37. Aus dem Off Exposition in Form eines Empfehlungsschreibens des Bauers, der berichtet, dass Streitberger mit seiner Volljährigkeit um die Entlassung aus dem Dienst als Knecht bat, seine Arbeit zwar stets verrichtete, aber ihm nie den Respekt zollte, der ihm zustünde. Mit einem Zwischenstopp bei einer überlaufenen Suppenküche geht es direkt weiter zum Bundesheer, das mit warmen Mahlzeiten lockt.
Eine die Reserviertheit Streitbergers hervorstreichende Beobachtungsszene an der österreichisch-deutschen Grenze, die mit dem Bild eines brennenden Hakenkreuzes auf einem Berghang endet später überspringen wir das Geschichtskapitel der Eingliederung Österreichs und befinden uns im Jahr 1940. Bis auf anfängliche Vorurteile des Vorgesetzten gegenüber den jungen österreichischen Soldaten die von Polen (off-Screen) an die Westfront wechseln spielt die Frage der Nationalität innerhalb der Wehrmacht nur mehr eine subtextuelle Rolle. Mehr Mühe gibt man sich ein Gefühl von Kameradschaft im Trupp zu vermitteln, welcher sich der zurückgezogene Streitberger, wo es geht entzieht und die oberflächlich bleibt: Nach einem Streit läuft der  aufgelöste Urgroßvater in den Wald, wo er auf ein Fuchswelpen stößt, dessen Mutter in eine Falle geraten ist. Es wird zum Trost, Wegbegleiter und Spiegel des eigenen Kindheitstraumas; in Manteltaschen und Beiwägen versteckt, versteht sich.
Der Mensch Franz Streitberger interessiert den Regisseur dabei deutlich mehr als der Soldat und Motorradkurier des selben Namens: Wir sehen letzteren nur in einer Sequenz, die in fünf (größtenteils schlaf- und rastlosen) Tagen an die Nordküste Frankreichs führt, unter Einfluss der „Wunderpillen“ Pervitin. Für die Soldaten sind es „irgendwelche Vitamine“, wir kennen den Wirkstoff heute als Methamphetamin. Es geht mit Tunnelblick durch die Hölle, entstellte Leichen am Weg(rand) und Bombeneinschläge in kurzer Distanz sind die größte Nähe, welche der Film zum Tod zulässt. Gestorben wird, wenn die Kamera nicht hinsieht.
Bezeichnend dabei, dass was sich die Kuriere bei ihrem Wiedersehen, vier Wochen später in der Normandie, sagen und nicht sagen: Man spricht vom Meer, um nicht über anderes zu sprechen. Dem Urgroßvater wurde - unter Berücksichtigung anderer Zeitzeugen-Berichte - noch eine zarte Romanze mit der Französin Marie (Adriane Grzadziel) angedichtet. Es scheint, dass man „s’ Fichsl“ allein nicht für ausreichenden Ausgleich zu Wehrmachtskameradschaft hielt. Zwischen Marie und Franz wird hier eine Geschichte des Missverstehens und Nichtverstehens erzählt, es fiel die Regieentscheidung das von ihr auf Französisch gesagte - anders als bei Markovics Märchenstunde - nicht zu untertiteln. Dass diese Beziehungen zwischen Soldaten und Zivilistinnen oft mit sexualisierter Gewalt einhergingen und gehen spielt nur andeutungsweise eine Rolle, in den Zwischenmenschlichen Momenten von Marie und Franz geht es vielmehr darum ein fragil-friedliches Idyll zu schaffen, welches den Krieg weit wegschiebt.
Aufs Schlachtfeld wird kein weiterer Blick geworfen, es kommt der Film recht schnell zu einem Ende, mit kleinem Epilog nach dem Ende des Krieges. Am Ende erhält der reale Franz Streitberger das letzte Wort, er ist in einem Auszug aus Goigingers Interviews zu hören, hörbar gerührt, als er zum ersten mal vom Fuchs erzählt.
Adrian Goiginger hat die menschlich nachvollziehbare Entscheidung getroffen einem Portrait seines Urgroßvaters gegenüber einem Kriegsfilm den Vorzug zu geben. Dass er dabei großen Wert auf Motive der Kameradschaft legt und, entlang biographischer Linien, Soldaten folgt die keine oder wenig Wahl hatten und uns vollkommen unproblematisch präsentiert werden, bedingt beim Gang ins Kino hoffentlich einen kritischen Blick seitens des Publikums. Die - mit einer Ausnahme - kleinen Hakenkreuze, die Ellipsen und die relative Gewaltfreiheit des Films zeugen von dem Willen des Regisseurs „keinen Kriegsfilm und keinen politischen Film“, trotz des gewählten Settings drehen zu wollen.
 

Behind the Scenes

 
Wie schon bei „Die beste aller Welten“ begann Drehbuchautor und Regisseur Goiginger mit der Arbeit am Film nach dem Tod der als Inspiration dienenden Person (im Falle des Debüts war es die Mutter). Der Regisseur hatte wohl recht, als er meinte, die mediale Aufmerksamkeit wäre dem Familien- und Tiermenschen, welcher der Urgroßvater war, nicht recht gewesen. Franz Streitberger wurde 100, hatte vier Kinder, zwölf Enkel, 23 Urenkel und erlebte noch drei Ururenkel. So wird das „Happy End“ im Austausch mit Renate Mumelter den letzten Bildern nachgeliefert.
Goiginger sprach auch offen über die Schwierigkeiten, die es im Dreh zu überwinden galt, wie etwa in der Besetzung eines Hauptdarstellers, Morzé, der Ähnlichkeit mit Franz Streitberge mitbrachte, aber Wiener (somit des Pinzgerschen nicht mächtig), wehruntauglich und ohne Führerschein war. Trotz lediglich 37 Drehtagen hatte der Film aber eine lange Vorlaufzeit von drei bis vier Jahren, die für Dialekt-Coaching, vier Monate Arbeit am Bergbauernhof und - am aufwändigsten - die Vorbereitung der Füchse von Nöten war. Man kommt hier mit sechs echten und keinerlei digitalen Füchsen aus, welche sich zwar nicht domestizieren lassen, aber über mehrere Jahre (im Falle der spät im Film ausgewachsenen Tiere) an die Schauspieler gewöhnt werden mussten. Damit begann die Arbeit am Film bereits während jener an „Märzengrund“, für welchen Goiginger den Hauptpreis des Bolzano Film Festival Bozen erhielt. Der Dreh mit den Tieren war stets am „Closed Set“, mit minimaler Besetzung erfolgt. Der Regisseur versteckte sich schon mal hinter einem Baum um die scheuen Tiere nicht zu verunsichern. Da ein Fuchs sich nicht abrichten lässt, hieß es für die Schauspieler im Zusammenspiel mit den Tieren zu improvisieren und deren Launen und Verhalten anzunehmen.
 
 
Schwierigkeit machte auch der Mangel an Kriegsaffinität junger Schauspieler, welche ein eigenes Coaching erhielten, da in Streitbergers Trupp zwei der Schauspieler wehruntauglich waren und vier zum Zivildienst gingen. Für den Kinderschauspieler Reinwald, selbst aufgewachsen im hochalpinen Gebiet, war die größte Schwierigkeit eine Essenszene, bei der es Kartoffeln zum Abend gibt. Der traurige Blick des Jungen im Blick gilt weniger dem fast leeren Teller und mehr dem Umstand, dass er diese nicht mag und die Szene wohl mehrere Male gedreht werden musste. Vom historischen 4:3 Bildformat überzeugte man die Produzenten des Films am Ende nicht durch geschichtliche Überlegungen, sondern durch den verschlossenen Charakter des Protagonisten.
Auch auf seinen nächsten Film, der bereits abgedreht ist, gab Adrian Goiginger einen Ausblick: der Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens spielt in der Komödie einen erfolglosen Wiener Liedermacher in einer Komödie in der er auf seinen Durchbruch hinarbeitet. Es wäre, nach den Literaturtagen Lana 2016, ein Wiedersehen für das Südtiroler Publikum, wenn es Goigingers nächster Film wieder über den Brenner schafft.