Economia | Porträt

Der Formsucher

In der Gemeinschaftswerkstatt RU17 gedeiht am Bozner Boden neues Handwerk. Christian Mittendorfers Holzwerkstatt ist Teil davon.
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Foto: Christian Mittendorfer

Wer Christian Mittendorfer fragt, was er beruflich so macht, kann ihn schon ins Stottern bringen. „Tischler“ kommt ihm oft der Einfachheit halber über die Lippen, denn Künstler trifft es auch nicht und Design hat er nie gelernt. „Seitdem ich mich selbständig gemacht habe, plage ich mich mit dem Gedanken, was ich bin“, meint der gebürtige Oberösterreicher, „Denn du kannst ja nicht jedes Mal eine halbe Stunde darüber reden, was du machst, nur weil es keinen passenden Begriff dafür  gibt.“ Die kürzeste Definition für das, was in seiner Holzwerkstatt entsteht, lautet wohl: Es ist aus Holz – und homemade. Also meist vom ersten bis zum letzten Schritt seinem Kopf entsprungen und mit seinen Händen produziert. Das gilt genauso für Möbelstücke und Wohnungseinrichtungen wie Küchen und Badezimmer, die er gemeinsam mit den Auftraggebern plant und entwirft, wie für seine Design-Objekte. „Design autoprodotto“ nennt sich das, was Mittendorfer macht, in Italien. Design, das nicht für die großen Marken entworfen wird, sondern selbst produziert und vermarktet wird. Auf der Messe „Open Design Italia“ erhielt für sein erstes marktreifes Produkt, die Kleiderschiene binò, den Spezialpreis „chilometro zero“, weil es sein Atelier bis zum Verkauf nicht verlässt. Dasselbe gilt für das aus Zirbelhorz gedrechselte zylinderförmige Aufbewahrungsteil Max, das es mittlerweile auch als Lampe gibt, und den Bücher-und Zeitungsständer Leselotte. 

„Ich bin nicht gewinnorientiert, ich bin projektorientiert."

Die Produkte, die sich nun in seinem Büro mit Blick auf das Bozner Bahnhofsareal stapeln, kommen ziemlich nahe an das heran, wovon der  junge Oberösterreicher träumte, als er nach der Ausbildung in einer Holzfachschule in Hallstatt und seinen ersten Arbeitsjahren in verschiedenen Betrieben und Einrichtungsstudios wieder in seinen Heimatort Eferding zurückkehrte. Ein Freund von ihm hatte sich dort selbstständig gemacht und Mittendorfer stieg mit ein. Das Duo schmiedet große Pläne, holt sich beim Salone de Mobile in Mailand Ideen und macht „coole Sachen“.  „Wir hatten große Ambitionen und machten total reduzierte und geradlinige Stücke, während die Möbeltischler um uns noch überall Eckelen und Kugelen draufsetzen“, erinnert sich der leidenschaftliche Handwerker. Doch zum Bedauern der jungen Wilden waren die Eferdinger eher dem traditionellen Stil zugeneigt. „Die Zeit war noch nicht ganz reif“, lacht Christian Mittendorfer heute. Damals zog er seine Konsequenzen, suchte sich wieder Arbeit und landete schließlich als Projekttechniker bei Umdasch Shop Concept in Bozen.

Seit 2001 lebt Mittendorfer nun im Land, hat mittlerweile eine Familie gegründet und 2009 das zweite Mal seinen Traum von der Selbstständigkeit verwirklicht. Sein Name ist auch seine Marke, mit der Zeit gesellte sich der Zusatz Holzwerkstatt dazu. Ein Begriff, der nicht nur die Verbindung zwischen Gestaltung und Handwerk beschreiben soll, sondern auch viel über Mittendorfer selbst erzählt. Seit seiner Kindheit hat das Material Holz für ihn eine besondere Bedeutung. „Bei uns in Oberösterreich hatte jeder eine Werkstatt neben dem Haus, wo alles selber gemacht wurde, was man brauchte“, erzählt er. Schon als Bub verbrachte der junge Christian jede freie Minute in der Werkstatt, bastelte, experimentierte. Eine Freude, die er auch heute aufrechthalten hat, wo er von seiner Holzwerkstatt lebt. Im Moment hat er die Leidenschaft fürs Drechseln entdeckt. „Das ist ein wenig  wie mit Ton zu arbeiten“, schwärmt er. Sobald er ein wenig Zeit zwischen Auftragsarbeit und Familie findet, stellt er sich an die Drechselbank,  lässt sich treiben, schaut, was entsteht. Vor Weihnachten war es beispielsweise eine Kollektion von schlichten Holzschalen.

Doch auch die Zusammenarbeit mit Künstlern und anderen Handwerkern bringt immer wieder Neues hervor.  Mit der Designerin Patrizia Bertolini versuchte sich Christian Mittendorfer erstmals an eigenen Designstücken und baute nebenbei mit ihr gemeinsam ihre Prototypen. Mit dem Künstler Tamás Kaszás produzierte er das Bauhaus Beehive. Dauerhaft ist mittlerweile die Zusammenarbeit mit dem Duo Lupo & Burtscher, für das er witzige Bänke namens Karl realisierte und bei Ausstellungen oder ihrem Lungomare Gasthaus mitbaute.

 

Seit Herbst hat sich für den Handwerker mit einem Umzug in ein gemeinsames Atelier am Bozner Boden noch einmal eine neue Form der Zusammenarbeit eröffnet. Gemeinsam mit dem Möbelbauer Alexander Demetz, Designer und Allrounder David Duzzi und Bildhauer Fabiano de Martin Topranin hat er eine ehemalige Werkstatt in ein kreatives Labor mit dem Namen RU17 verwandelt. Das direkt anschließende dreistöckige leerstehende Bürogebäude wollen Demetz und Duzzi in Zukunft zum Co-Working-Space umbauen. Noch beleben nur die vier Kreativen die geräumige Werkstatt und einige Büroräume. Ein Umzug, der für Christian Mittendorfer nach seinen bisherigen Arbeitsplätzen in einer alten Kegelbahn und seiner bisherigen Holzwerkstatt in der Bozner Trientnerstraße einen Qualitätssprung darstellt. Den Maschinenpark haben die vier Handwerker gemeinsam angekauft, jeder brachte eine Maschine ein. Dazu kommt ein Riesen-Magazin, das neuen Freiraum bringt. „Hier kann ich mich ganz anders bewegen, jeder hilft jedem, und wenn jemand was Größeres hat, kann man zusammenarbeiten“, sagt Mittendorfer. Seine neuen Vermieter arbeiten ohnehin unter der Marke  RuralUrban zusammen; doch auch er genießt die Nähe zu Gleichgesinnten. „Wir sind alle vier keine klassischen Handwerker, haben uns vieles autodidaktisch beigebracht und sind vielseitig unterwegs.“

Vor allem finanziell bringt das Zusammenspiel aber Vorteile. Hohe Mietkosten, aber auch die Vorfinanzierung seiner Projekte bringen Mittendorfer regelmäßig an die Grenzen der Belastbarkeit. „Ich habe es geschafft zu überleben, aber regelmäßig ein Gehalt auszuzahlen oder gar etwas zur Seite legen, ist bisher nicht drinnen“, meint er. Vielleicht auch, weil ihm das unternehmerische immer noch nicht ganz liegt. „Ich bin nicht gewinnorientiert, ich bin projektorientiert, also ich mache vor allem das, von dem ich überzeugt bin“, beschreibt er die Problematik vieler passionierter Freischaffender.  Doch Jahr für Jahr lernt er besser zu kalkulieren. Heuer steht das Erschließen neuer Vertriebskanäle für seine Designobjekte auf der To-do-Liste. „Wenn der finanzielle Druck nicht so groß wäre, wäre diese Arbeit einfach ein Traum“, meint er. Gäbe es ein  Grundeinkommen könnte er sich noch viel mehr verwirklichen, träumt der Oberösterreicher. „Dann könnte ich einfach nur ausprobieren, machen und Sachen entwickeln.“ An Ideen dafür fehlt es Christian Mittendorfer jedenfalls nicht. Solange er seine Brötchen zur Gänze selbst verdienen muss, wird es eben ein wenig länger dauern, dass sie umgesetzt werden. Doch folgen wird sicher noch einiges.