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Nicht wegschauen

Gerade denken viele junge Menschen über Suizid nach. Psychiater Roger Pycha erklärt, wie in solchen Situationen Hilfe geleistet werden kann.
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Foto: Andrea Piacquadio / Pexels
Wenn jemand schwer verunglückt, kann sein Leben in Gefahr sein. Dann helfen wir, indem wir die Atemwege des Betroffenen freihalten und den Kreislauf unterstützen – er soll überleben, bis die Retter*innen vom Dienst da sind. Wir nennen das „Erste Hilfe“. Der wissenschaftliche Leiter der Europäischen Allianz gegen Depression in Südtirol und Direktor des Psychiatrischen Dienstes in Brixen, Roger Pycha, erklärt in einer Mitteilung an die Öffentlichkeit, auf was es in Situationen mit akuter Suizidgefahr ankommt:
Es gibt neben körperlichen Leiden auch massives psychisches Unglück – so intensives, dass jemand glaubt, er muss den Tod suchen. Wenn wir in solchen Situationen helfen, betreiben wir Psychische Erste Hilfe. Die Grundregeln dafür kann jede*r lernen. Gut ausgebildet hierfür müssen aber laut Pycha Psycholog*innen und Ärzt*innen sein, die mit gefährdeten Menschen häufig zusammenkommen und günstig intervenieren sollen. In Kürze entsteht ein psychologisches Krisentelefon im Land. Dann müssen Psycholog*innen am Telefon psychische Erste Hilfe leisten können. Und ihre Kolleg*innen untertags in den Psychologischen Diensten auch Dringlichkeiten behandeln. Wie geht das?
 
 
Überlebenden von Suizidversuchen erzählen ihren Therapeut*innen Vieles darüber. Sie wollten in aller Regel allein sein beim Durchführen ihrer Tat. Deshalb die erste Grundregel zur Rettung eines anderen Lebens: Bleiben Sie da, legen Sie den Hörer nicht auf, gehen Sie nicht weg. Psychisch gesehen halten zweierlei Maßnahmen praktisch immer am Leben: In Beziehung zu stehen mit wichtigen, lieben Menschen, also sozial vernetzt zu sein. Und Vorhaben, Pläne und Entwürfe zu haben, die man realisieren will, also vernetzt zu sein mit der Zukunft. Beides kann man auch mit Verzweifelten versuchen.
 

Hilfe leisten

 
Wie kann ich schwer Erschütterten gegenübertreten? Sie dürsten vielleicht nach Beziehung und fühlen sich verlassen. Da bedeutet Kontakt: Blick in ihre Augen, Lächeln, vielleicht auch ganz sanfte, neutrale Berührung, an der Hand oder Schulter zum Beispiel. Der Hinterkopf geht auch. Der Rücken, zwischen den Schulterblättern, wo man selbst mit der Hand nicht hinkommt, ist besonders berührungssensibel. Das ist die Stelle für den Fall, dass er oder sie auf andere Berührungen nicht reagiert. Das ist der Ort, an dem das Gehirn des Betroffenen blitzartig weiß: Es ist jemand anderer, der mich jetzt berührt, und da bin ich verletzlich. Jetzt muss ich etwas tun. Sofort danach sollte der Therapeut oder die Helferin zu ihm sprechen. Radikal von dem ausgehen, was er selbst fühlt. Das ist der beste und ehrlichste Weg. „Sie kommen mir extrem bedrückt vor und ich mache mir Sorgen um Sie. Ist Ihr Leben in Gefahr?“ ist da eine der kürzesten Formeln, um etwas mehr Gewissheit zu erlangen. Lassen Sie als Helfer oder als Therapeutin bitte nicht locker. Wenn keine Antwort kommt, schildern Sie wieder Ihre eigene Lage: „Jetzt weiß ich gar nichts und bin noch alarmierter. Bitte sagen Sie mir genau, was mit Ihnen los ist.“
Eine Antwort ist nicht immer verbal. Auch zusammenkauern, zittern, weinen, Fäuste ballen, sich wegwenden können stumme Antworten des Körpers sein. Sie sind nicht ganz eindeutig, aber Helferinnen und Therapeuten können sie interpretieren. Sie fordern die Therapeut*innen dazu auf, zu vermuten, was geschieht: „Was bedeuten Ihre Tränen? Hat man Sie schwer verletzt?“
Wenn die Antwort bestätigend ausfällt, kann die helfende Person Vieles tun, je nachdem, wieviel Zeit und Energie sie zur Verfügung hat und ob sie bereits einen Psychischen Erste Hilfe-Kurs besucht hat. Dort lernt sie seine eigene Einstellung zum Suizid kennen, lernt Methoden der Suizidvorbeugung und der Krisenintervention.