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Politica | Der Neue

"Ich bin ein Anwalt des Volkes"

Besorgt blickt Europa auf Rom, wo der Sieg der Populisten das Scheitern der traditionellen Parteien offenbart. Der neue Premier versteht sich als Anwalt des Volkes

Bis zuletzt stand alles auf der Kippe, drohte zu scheitern an einem beschönigten Lebenslauf und an der Befürchtung, Giuseppe Conte könne seiner Aufgabe nicht gewachsen sein. Dann aber ging alles überraschend schnell. Der Staatspräsident bestellte den 54-jährigen Rechtsprofessor in den Quirinalspalast und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung.

Das Bild war symbolträchtig. Alleine und zu Fuß begab sich Conte zum Präsidenten, überquerte den historischen, von Bernini gestalteten Platz ohne dass sich ihm ein Journalist näherte und verschwand zwischen den Kürassieren im weiten Innenhof.  Fünf-Sterne-Bewegung und Lega kommentierten die Beauftragung mit rhetorischen Höhenflügen. "È una rivoluzione epocale", schwärmt Luigi di Maio und ernannte Conte flugs zum "avvocato del popolo e difensore degli italiani." Der Corriere bezeichnete den zukünftigen Regierungschef als "lo sconosciuto con il cuore di sinistra."  Kritisch der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Boccia: "Non si capisce dove troveranno le risorse, saranno a rischio molte infrastrutture, metteranno in discussione progetti già un corso di realizzazione." 

Was in Italien derzeit passiert, hat in Europa kaum seinesgleichen. Ein weitgehend unbekannter Jurist steigt kometenhaft zum Regierungschef auf und bringt eine Bewegung an die Macht, die bisher weitgehend von großspurigen Ankündigungen gelebt hat. Während die Lega eine längste etablierte Partei ist, die wichtige Regionen wie die Lombardei und Venetien regiert und die 15 Jahre lang mit Berlusconi in einer Regierungskoalition saß, beginnt für die Grillini die lang erträumte Premiere im römischen Chigi-Palast. Während Matteo Salvini seit einem Vierteljahrhundert in der Politik agiert, werden im zukünftigen Kabinett 30-jährige wie Luigi Di Maio oder Giulia Sarti wichtige Ministerämter bekleiden. Eine Revolution im Land politischer Langlebigkeit der Ära Berlusconi. Nun beginnt das sattsam bekannte totoministri. Mit der Vereidigung des neuen Premiers ist am Samstag zu rechnen

 

"Die Finanzmärkte reagieren nervös, doch Brüssel bemüht sich, kein Öl ins Feuer zu giessen. Das Unbehagen ist greifbar: mit einem Schuldenstand von 130 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung ist Italien eines der meistverschuldeten Länder der Welt. "

Für Unbehagen sorgt vor allem der zukünftige Wirtschaftsminister Paolo Savona, ein militanter Euro-Gegner, der davon überzeugt ist, dass sich "Deutschland seit der Nazi-Zeit nicht wesentlich geändert hat". In gewohnter Grossmäuligkeit tönt Salvini, Italien werde in Zukunft nicht mehr mit dem Hut in der Hand in Brüssel auftreten. Wie auch immer: wie vor dem Sturz Berlusconis 2011 werden die Blicke in Italie in den kommenden Wochen auf die Börsen und den Angst-Indikator spread gerichtet sein. Salvini drängt auf die rasche Verwirklichung der zwei für ihn wichtigsten, populistischen Reformen: flat tax und Abschaffung der legge Fornero : geschätzte Kosten 100 Milliarden pro Jahr.

Wie auch immer man den Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung beurteilt, kann eines nicht wegdiskutiert werden: ihr Sieg wäre unvorstellbar ohne das Versagen der traditionellen Parteien, das bei den jüngsten Regionalwahlen in Aosta mit unmissverständlicher Deutlichkeit demonstriert wurde:  Partito Democratico 5, Forza Italia 3 Prozent.

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alfred frei Gio, 05/24/2018 - 10:51

alfred frei - "Die Presse" - 21.05.18
Eine Frage stellt sich in Italien: wie geht man mit einer sogenannten populistischen Regierung verfassungsmäßig um, vor allem wenn ein “Vertragsprogramm” mit einem Vollzugspremierminister (!?) verbunden wird. Auch in anderen Staaten könnten sich ähnlich gelagerte Herausforderungen zeigen und die Regierbarkeit Europas mit einem großen Fragezeichen versehen. In Zeiten gesellschaftspolitischer Umwälzungen wären "kreative" Lösungsansätze angebracht.

Gio, 05/24/2018 - 10:51 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Gio, 05/24/2018 - 12:13

Brexit, Referendum in Katalonien, Referendum in Schottland, Wahlen in Österreich, Wahlen in Italien, Europa muss irgendwie immer sein Unbehagen über alles kundtun. Mal ehrlich: wen interessiert das?

Gio, 05/24/2018 - 12:13 Collegamento permanente