Cultura | Salto Gespräch

Die Gärten von Palermo

Das zeitgenössische Kunstprojekt Manifesta 12 in Palermo: Ein Gespräch mit der Manifesta-Mitarbeiterin Lisa Mazza über Gärten, Politik und Sprungbretter.
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Foto: Bildquelle: Manifesta

salto.bz. Sie haben für die aktuelle "Manifesta" in Palermo gearbeitet. Was war Ihr Aufgabenbereich?
Lisa Mazza: Ich habe von Januar bis zur Eröffnung am 16. Juni an der zwölften Ausgabe der europäischen, nomadischen Biennale gearbeitet und war im Publikationsdepartment für den Ausstellungsführer von “The Planetary Garden. Cultivating Coexistence” sowie für eine Anthologie von Texten, dem sogenannten Reader verantwortlich. Einerseits haben ich die Inhalte gemeinsam mit den KuratorInnen definiert und erarbeitet, aber auch mit Verlagen verhandelt, die Grafiker zum schwitzen gebracht und mit Autoren diskutiert.

Seit wann kennen Sie Manifesta, seit wann arbeiten Sie für Manifesta? 
Von der Manifesta gehört habe ich noch zu Studienzeiten. Leider hatte ich damals nicht genug Geld um nach San Sebastian zu fahren zur Manifesta 5. Das bereue ich heute noch. Fünf Jahre später, im Jahr 2007 hat sich dann die Möglichkeit ergeben selbst an der Manifesta 7 im Trentino Südtirol zu arbeiten und Teil des Teams zu werden. Auch die Ausgaben in Murcia und Cartagena in Spanien, in Genk in Belgien und Sankt Petersburg in Russland habe ich in Folge mit unterschiedlichen Aufgaben mitgestaltet. 
Ende letzten Jahres kam die Anfrage, ob ich nicht Interesse hätte für Manifesta 12 einzuspringen und das Publikationsdepartment zu koordinieren. Der Reiz wieder etwas internationale Kunstwelt-Luft zu schnuppern war groß und so habe ich dann auch zugesagt.

Die Manifesta ist gerade dabei sich von einer reinen Kunstveranstaltung hin zu einem Großprojekt zu verwandeln, welches auch andere Kulturformen miteinbinden will.

Wie hebt sich die aktuelle Manifesta von den vorhergehenden Ausgaben ab?
Jede Manifesta erfindet sich bis zu einem gewissen Punkt neu, da sie auf den Ort an dem sie stattfindet versucht einzugehen und von einem neuen Kurator oder Kuratorenteam inhaltlich gestaltet wird. Diese Ausgabe der Biennale hat mit dem Palermo Atlas, einer Studie zur Stadt, mit einem intensiven Rechercheprozess angefangen, der versucht die Stadt zu kartieren und zu erfassen und mit der Ausstellung und dem Programm von Diskussionen, Filmvorführungen und Workshops ein reiches Projekt zu schaffen, dass mit unterschiedlichen Formaten und Präsentationsformen Inhalte vermittelt und Diskussionen auslösen soll.

Auch war es für diese Manifesta sehr wichtig, einen transdisziplinären Ansatz zu verfolgen und die Stadt und damit verbundene Fragen der Gegenwart wie beispielsweise das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen und die Migration auch als Ausgangspunkt für das kuratorische Konzept zu nehmen. Ein Großteil der Projekte ist in Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen, ExpertInnen, AktivistInnen, privaten BürgerInnen entstanden.
Die Kuratoren werden Creative Mediators genannt und nur eine von ihnen ist Kunstkuratorin, Mirjam Varadinis vom Kunsthaus in Zürich. Bregtje van der Haak ist Journalistin und Dokumentarfilmemarcherin und Ippolito und Andrès Jacque kommen aus der Architektur. Die Manifesta ist gerade dabei sich von einer reinen Kunstveranstaltung hin zu einem Großprojekt zu verwandeln, welches auch andere Kulturformen miteinbinden will.

Hier kann der Garten als Metapher dafür gelesen werden, neue Formen des politischen Handelns zu erforschen, die auf Koexistenz und Vermischung basieren. 

Gibt es bei der aktuellen Manifesta Parallelen zur Manifesta 7 in Südtirol?
Es ist sehr schwer die Manifesta 7 im Trentino Südtirol mit der Manifesta 12 in Palermo zu vergleichen. Die Tatsache, dass sich die gegenwärtige Ausgabe der Manifesta auf eine Stadt konzentriert wohingegen sich die Manifesta 2008 auf eine gesamte Region - von Rovereto bis Franzenfeste - erstreckt hat, macht die Grundvoraussetzung schon sehr unterschiedlich, auch gibt es viele unterschiedlich große Ausstellungsorte auf Palermo verteilt, wohingegen sich die Manifesta 7 in den jeweiligen Orten sehr stark auf ein bis zwei Ausstellungsorte konzentriert hat. Mit Sicherheit haben auch in Palermo so wie in Südtirol die Collateral Events eine wichtige Rolle gespielt. Es wird ihnen auch berechtigterweise sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt.

Im Zentrum der aktuellen Manifesta stehen die Gärten von Palermo. Welcher Garten sollte Ihrer Meinung nach unbedingt besucht werden?
Palermos Flora ist wirklich sehr beeindruckend. Den botanische Garten, der 1789 zu Forschung medizinischer Pflanzen gegründet wurde und heute über 12.000 Arten beherbergt ist einer der Hauptorte dieser Manifesta, da er historisch gewachsen ist, als ein Ort des Austauschen und Vermischens von Pflanzen und Samen. Hier kann der Garten als Metapher dafür gelesen werden, neue Formen des politischen Handelns zu erforschen, die auf Koexistenz und Vermischung basieren. Wenn man durch den Orto Botanico schlendert kann man einige sehr spannende Projekte entdecken, wie beispielsweise ein Herbarium künstlicher Pflanzen von Alberto Baraya in einem offenen Gewächshaus, oder zwischen riesengroßen Bambuspflanzen ein öko-queeres Video über die Liebe zwischen Menschen und Pflanze von Zheng Bo sehen, oder das Projekt von Leone Contini welches die Samen und ihre Herkunft thematisiert - kurzum man sollte diesen Ausstellungsort absolut nicht verpassen.

Manifesta kann als Teil einer politischen Vision für die Stadt Palermo betrachtet werden, die auf Kultur, Multikulturalismus und Integration aufbaut.

Die Manifesta hat mit dem Bürgermeister von Palermo Leoluca Orlando auch einen prominenten Fürsprecher für die europäische Vielfalt. Die Schau kommt also gerade richtig im Italien der rechten Einfalt?
Manifesta 12 hat drei Tage nachdem der italienische Innenminister Matteo Salvini dem ersten Schiff einer NGO den Zugang zu einem italienischen Hafen verwehrt hat eröffnet. Leoluca Orlando gehört zu jenen wenigen italienischen Bürgermeistern die dem nicht Gehör geschenkt haben. Er hat öffentlich verkündet, dass die Flüchtlinge in Palermo willkommen seien. Er hat sich bereit erklärt sie aufzunehmen.

Die Manifesta 12 beschäftigt sich sicherlich mit brennenden Fragen, die durch diesen extremen Rechtsrutsch in Italien an noch größerer Wichtigkeit gewonnen haben. Das Projekt vom Kollektiv Forensic Oceonography beschäftigt sich beispielsweise seit 2011 mit dem Mittelmeer und wie dieses sich zunehmend in eine militarisierte Grenzzone verwandelt, die zum Tod zahlreicher Migranten geführt hat und leider gegenwärtig auch noch dazu führt. Manifesta kann als Teil einer politischen Vision für die Stadt Palermo betrachtet werden, die auf Kultur, Multikulturalismus und Integration aufbaut.

Eine sehr politische Manifesta also...
Diese Manifesta 12 ist politisch ohne es immer auf eine sehr explizite Art und Weise zu sein. Tania Brugueras Beitrag zur Manifesta beispielsweise besteht aus einer Auswahl von Protestmaterialen der AktivistInnen von No Muos, die sich gegen die amerikanische Militärstation in Sizilien einsetzen, oder die Arbeit des irischen Künstlers John Gerrard, der in einer Videosimulation den Schauplatz der Auffindung des LKWs in der Nähe von Parndorf, in dem 2015 Migranten tot aufgefunden wurden, rekonstruiert. Dies sind nur zwei der vielen Beispiele.

Wie hat Sie die Kulturstadt Palermo geprägt?
Leider hatte ich viel zu wenig Zeit diese wunderbare Stadt zu erkunden, da ich bei meinen kurzen Aufenthalten in Palermo fast ausschließlich im Büro im Teatro Garibaldi saß. Jedes Mal wenn ich angekommen bin, habe ich jedoch aufs neue die besondere Atmosphäre der Stadt aufgesogen, die zwischen zusammenfallender Palazzi, der Präsenz unterschiedlicher Kulturen und Religionen und ja auch dem wunderbaren Essen nur so strotzt.  

Ist die Arbeit für Manifesta ein gutes Sprungbrett im zeitgenössischen Kunstbetrieb?
In einem internationalen Kontext zu arbeiten ist sicherlich eine gute Gelegenheit das eigene Netzwerk zu erweitern und mit spannenden KünstlerInnen und KuratorInnen aus aller Welt in Kontakt zu treten und daraus entstehen nicht nur Freundschaften sondern sehr oft auch Folgeprojekte.