Ambiente | Bartgeier

Das Comeback des Knochenbrechers

Der Bartgeier, im Volksmund auch „Beinbrecher“ oder „Knochenbrecher“ genannt, zieht seit einigen Jahren wieder im Alpenraum seine Kreise. Die Wiederansiedlung hat Erfolg.
Bartgeier
Foto: upi

Der Bartgeier, im Volksmund auch „Beinbrecher“ oder „Knochenbrecher“ genannt, zieht seit einigen Jahren wieder im Alpenraum seine Kreise. Der Grund dafür sind mehrere Wiederauswilderungsprojekte. „Die Hotspots dieser Projekte liegen jeweils zirka 200 Kilometer auseinander, weil die Bartgeier ein großes Revier haben", wie Hanspeter Gunsch, Direktor des Südtiroler Amtes für den Nationalpark Stilfser Joch, erklärt.
Eine genaue Eruierung der Lage der Bartgeier ist schwierig, da die Aasfresser ein sehr weites Einzugsgebiet haben. Im Grunde bewegen sich die Bartgeier im ganzen Alpenbogen, erzählt Gunsch. Die Jungvögel, die seit Juni flügge sind, erkunden zwar zunächst nur das Gebiet in der Umgebung des Horstes, später aber ständig neues Gebiet. Die ausgewachsenen Tiere sind hingegen ortsfest.

Der Bartgeier wurde zwischenzeitlich im Alpenraum ausgerottet, was vor allem dem Umstand zu verdanken ist, dass man ihm nachsagte, Schafe und sogar Kinder zu reißen. „Dabei wäre der Aasfresser dazu körperlich nicht einmal in der Lage. Aber mit der riesigen Flügelspannweite von bis zu 2,80 Metern und einer Körperlänge von bis zu 1,25 Metern sind die Tiere schon ziemlich beeindruckend. Wenn man sich dann vorstellt, dass ein Bauer ein abgestürztes Schaf findet, auf dessen Kadaver so ein Bartgeier sitzt, dann fällt es – ohne biologisches Wissen – leicht zu glauben, der Vogel hätte das Schaf gerissen", erläutert Hanspeter Gunsch. Um 1920 wurde dann das letzte Exemplar Italiens im Aostatal geschossen.

Heute weiß man, dass der Bartgeier, den man früher auch Lämmergeier nannte, ein Aasfresser ist und kein Raubvogel. Daher hat er auch kein Konfliktpotential.

Wiederansiedlung seit 1986

Die Wiederansiedlung des Bartgeiers begann im Jahr 1986. Man wilderte in Rauris (Salzburg) am Nationalpark Hohe Tauern die ersten Jungvögel in einem künstlichen Horst aus. Das Programm hatte Erfolg und wird bis heute fortgeführt. Parallel zu den Wiederansiedelungsprogrammen hat man auch die lokale Bevölkerung über die Lebensweise des Bartgeiers informiert, um die alten Vorurteile zu entkräften.

Ähnlich wie im Nationalpark Hohe Tauern wurden in den folgenden Jahren auch in anderen Nationalparks im Alpenraum die Bartgeier wieder angesiedelt - zwischen 2000 und 2008 auch im Nationalpark Stilfser Joch. „Wir haben damals elf Exemplare ausgewildert. Mittlerweile hat sich die Population stabilisiert, sodass sich das Projekt von selbst erhält“, so Gunsch. Am Projekt beteiligt war auch der Alpenzoo Innsbruck.

Der Nationalpark Stilfser Joch bietet dem Bartgeier ideale Lebensbedingungen, denn Bartgeier bevorzugen Hochplateaus oberhalb der Baumgrenze, in denen eine gute Thermik vorherrscht und viele Kadaver von Huftieren vorzufinden sind.

Die Paarungszeit der Bartgeier ist zwischen November und Dezember, anschließend werden von Dezember bis Februar die Eier gelegt. Die Jungen schlüpfen nach 52 bis 58 Tagen und werden 110 bis 130 Tage nach dem Schlupf flügge. In der Regel werden zwei Eier gelegt. Der zweit-geschlüpfte Jungvogel stirbt aber normalerweise nach wenigen Tagen, weil er es nicht schafft, sich im Futterkampf mit seinem Geschwister durchzusetzen. In Ausnahmefällen wird der jüngere Jungvogel auch von seinem älteren Geschwister getötet. Die Geschlechtsreife erreichen die Aasfresser mit fünf bis sieben Jahren. In Gefangenschaft haben Bartgeier eine Lebenserwartung von bis zu 50 Jahren.

Der ausgezeichnete Segler hat sich auf die Knochen der Kadaver spezialisiert. Dia ausgewachsenen Vögel ernähren sich fast ausschließlich von Knochen. Er lässt die Knochen so lange aus großer Höhe auf Geröllhalden fallen, bis sie in schnabelgerechte Stücke zerbrochen sind. Mit dieser besonderen Ernährungsweise hat der Bartgeier eine Nische besetzt und braucht deswegen keine Nahrungskonkurrenten zu fürchten.

Mittlerweile sind seit der ersten Brut im Nationalpark Stilfser Joch 27 Jungvögel geschlüpft. Zur Zeit sind dort vier Bartgeierpaare anzutreffen, die auch in diesem Jahr wieder Nachwuchs hatten.