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Die Faust

„Gittis Faust“, eine Komödie frei nach Goethe hat Dienstag Premiere. Stückautorin und Regisseurin Selma Mahlknecht über die Faust und die vielen Feminismen, die es gibt.
Gittis Faust Ensemble
Foto: Volksbühne Naturns
Frau Mahlknecht, was gibt der Faust heute her, wenn man ihn aus feministischer Perspektive liest? Der Text hat ja ein gewisses Alter.
 
Selma Mahlknecht: Der Faust ist aus einer anderen Zeit, aber es sind einige Passagen erstaunlich aktuell. Die Gretchen-Tragödie die Goethe aufgreift, enthält für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Gedanken. Ein Gedanke, der absolut nicht selbstverständlich war und es leider bis heute nicht ist, findet sich etwa als Faust das Gretchen schwängert und sie dann mit dem Kind allein lässt. Sie sagt dann zu ihm, als sie das Kind umgebracht hat: „Mein Kind hab ich ertränkt. / War es nicht dir und mir geschenkt? / Dir auch.“ Dass auch der Mann die Verantwortung hat für das Kind, das er gezeugt hat, ist eine Idee, die im Stück ist. Es wird nicht ausgeführt, welches die Implikationen davon sind. Es ist aber klar, dass die Verantwortung, die man der schwangeren Frau überlässt - du musst dein Kind austragen und du musst schauen, es durchzubringen und der Kindsvater ist zu nichts verpflichtet - dieser Gedanke wird im Faust stark kritisiert. So gesehen ist das ein Thema, das bis heute aktuell ist, wo Goethe schon den Finger in die Wunde gelegt hat.
 
 
Welche Passagen sind hingegen problematisch?
 
Dass sich ansonsten auch ein Frauenbild im Text findet, das sehr problematisch ist, da Faust als älterer Mann ein Mädchen, dass gerade mal 14 ist unbedingt ins Bett bekommen möchte, das ist natürlich wieder eine Thematik. Wobei auch Goethe hier klar zeigt, dass das Problem beim Mann liegt, in diesem Fall. Gretchen ist eine sehr unschuldige und naive Person. Da kann man dann diskutieren, ob diese Verherrlichung von naiven Frauen nicht in sich problematisch ist. Natürlich ist Gretchen nicht die Person, die studieren geht oder akademische Ambitionen hat und genau das wird positiv dargestellt: Weil sie nicht verkopft ist und mehr mit dem Herzen macht… Das kann man auch wieder als Klischee anprangern. Das sind Klischees, die wir heute noch haben und das greife ich auch in meinem Stück auf. Es geht um die Vorstellung, was Frauen sind und was sie besonders macht und wieso Frauen anders und vielleicht besser sind als Männer - das ist auch im Faust. Wir werden das bei mir zumindest ironisch thematisiert.
 
Ich sehe das auch als Konsumlogik, jede Frau begehren und haben zu wollen.
 
Problematisch ist aus meiner Sicht ist die Hexenküche, in der Faust von Mephisto einen Zaubertrank verabreicht bekommt, der ihn alle Frauen begehrenswert finden lässt. Ist diese Sexualisierung auch ein Thema, wird das aufgegriffen?
 
Oh ja, wir haben auch eine Hexenküchenszene. Der Original-Faust ist ja verkopft, alt und vertrocknet. Um wieder zurück ins Leben zu kommen - aus der diabolischen Logik des Mephisto, nicht aus der übergeordneten des Stückes - muss man ihn aus dem Kopf heraus holen und hin zum Triebhaften führen, wenn man es mit Freud analysieren will. Das passiert bei mir auch. Die Lösung dafür, dass man frustriert und in der Midlife-Crisis ist, das Gefühl hat zu nichts gekommen zu sein, ist, dass man aus den Vollen schöpft und sich auf Vordermann bringt. Bei uns wird Gitti ebenfalls in eine Hexenküche gebracht, dort herrscht ein diabolischen Konsumlogik. Ich sehe das auch als Konsumlogik, jede Frau begehren und haben zu wollen. Das ist auch kapitalistisch, dieses „Ich will das haben. Mir liegt die Welt zu Füßen und ich nehme mir, was ich will.“. Diese Problematik ist da. In unserer Hexenküche greifen wir aber auch auf, was unser Klischeebild einer Frau ist, wie verläuft die Verwirklichung als die perfekte Frau. Da kritisiere ich kapitalistische Tendenzen, aber auch gewisse Züge eines Konsumfeminismus, den es ja auch gibt. Feminismus der nur ein Mäntelchen für Konsum ist.
 
Sie haben vom „Original-Faust“ gesprochen. Von welcher Textfassung sind Sie ausgegangen, als Sie Ihr Stück geschrieben haben?
 
Schon von der bekannten, gängigen Fassung, also nicht vom Urfaust. Wir haben einige klassische Originalzitate im Stück, wobei es nicht darauf ankommt, diese zu erkennen. Man kann sie erkennen, mit einem gewissen Schmunzeln, sie in einen Kontext setzen, wenn man weiß, wo sie im Originalstück vorkommen und wo bei uns. Ein Beispiel sind die berühmten Worte „Heinrich, mir graut vor dir!“ Das kommt im Original ganz zu Ende des Stücks, bei uns sagt man es an anderer Stelle. Wenn man es weiß, hat man sicher einen kleinen Mehrwert, aber es ist nicht notwendig um unser Stück zu sehen.
 
Warum Gitti?
 
Das ist das Wortspiel mit Goethe. Goethe und Gitti, das war eigentlich nur das, die Faust. Ich habe das nett gefunden.
 
Feministin sein kann man sich auch kaufen: Das fängt, billig gesagt, mit einem T-Shirt an auf dem „Feministin“ steht und geht weiter zu irgendwelchen anderen Produkten, die die innere Weiblichkeit zum Strahlen bringen.
 
Sie haben Kapitalismus angesprochen, wie sehr ist das im Stück präsent?
 
Das ist schon sehr stark präsent. Die Gitti bekommt eine goldene Kreditkarte geschenkt, mit der sie ohne Ende Geld ausgeben kann. Dadurch entsteht schon fast eine Verpflichtung das auch zu tun. Sie wird da hineingezogen, in diesen Konsumfeminismus. Was muss man als Frau von Welt haben, was muss man sein? Das kann man sich ja kaufen, diese Art von Frausein. Man muss diese oder jene Kleider tragen, man muss sich stylen… Es gibt da eine Unmenge von Möglichkeiten, es ist eine ganze Konsumwelt um kaufkräftige Frauen herum aufgebaut worden. Immer mit dem Deckmantel eines gewissen Feminismus. Feministin sein kann man sich auch kaufen: Das fängt, billig gesagt, mit einem T-Shirt an auf dem „Feministin“ steht und geht weiter zu irgendwelchen anderen Produkten, die die innere Weiblichkeit zum Strahlen bringen. Das ist natürlich alles nur Rhetorik, hat nichts mit Feminismus zu tun und ist ein Weg, Geld zu machen.
 
Dieses Verhalten ist dann ein gutes Stück weit auch performativ. Woher kommt der Druck das zu tun und für wen tut man es?
 
Es gibt im Stück die Figur der Hexe, die Kapitalistin, die damit Geld macht, dass Sie Frauen irgendetwas andreht. Ihr rhetorischer Tricks sind „Wir müssen das Patriarchat zerschmettern!“, oder: „Wir müssen uns lösen vom Blick der Männer.“, „Wir müssen frei sein.“ und „Wir müssen das Göttliche aus uns hervorholen.“… Ich arbeite auch viel mit diesen Floskeln, die man schon kennt. Die Gitti sagt ihr dann auch ganz offen: „Entschuldige, wenn ich mich aufhübsche und mir die Falten machen lasse und mein Gesicht aufspritzen lasse, ist das nicht ein Einknicken vor dem Patriarchat?“ Da meint die Hexe: „Nur wenn du es für die Männer tust. Aber du tust es ja für dich selbst.“ Das ist der Trick. Sich einzureden, dass man das für sich selbst tut, für seine inneren Werte, damit man in der Gesellschaft mithalten kann. Das ist aber nur Rhetorik.
 
Wenn ich einem Mann ein Erotikprodukt verkaufe, dann sage ich nicht „Das bringt deinen inneren Gott zur Vibration.“ oder so einen Käse, ich sage: „Das ist ein Erotikprodukt für deine Befriedigung.“ Fertig.
 
Genau wie die Pink Tax nur Rhetorik ist? Wenn der Rasierer in Pink für Damen mehr kostet?
 
Im Original-Faust ist das so angelegt, dass wenn Faust in die Hexenküche geht, es um Sexualität geht. Als Lehrerin habe ich das meinen Schülern so erklärt, dass er eine Megadosis Viagra erhält und ihm gesagt wird, er sei ein neuer Mann, verjüngt. Bei uns ist es nicht das, bei uns sind das Angebot viele, frauenspezifische Erotikprodukte, die aber nicht vermarktet werden mit „Das ist für deine sexuelle Befriedigung.“, man schreibt dem Produkt immer eine höhere Wertigkeit zu. Obwohl es nur ein Verkaufstrick ist. Da wird dann gesagt „Du musst dir das einführen, um deine Hormone zum Schwingen zu bringen.“ Wenn man das behauptet, kann man nochmal mehr Geld verlangen. Wenn ich einem Mann ein Erotikprodukt verkaufe, dann sage ich nicht „Das bringt deinen inneren Gott zur Vibration.“ oder so einen Käse, ich sage: „Das ist ein Erotikprodukt für deine Befriedigung.“ Fertig. Bei Frauen kommt da immer noch eine Metaebene drauf, weil Frauen ja „magische Wesen“ sind. Ein Beispiel für mich war Gwyneth Paltrow mit ihrer Plattform Goop. Die verkauft ja den unfassbarsten Blödsinn, immer mit einem esoterischen Touch versehen. So kann man ein Jade-Ei zu einem Fantasiepreis verkaufen, weil sich dann manche Frauen weiß Gott was einbilden, damit. Bei Männern gibt es das Äquivalent überhaupt nicht.
 
...ich finde feministische Kämpfe müssen anders aussehen und nicht darüber abgehandelt werden, ob man eine Vulva hat oder nicht. Das ist mir zu viel Unterleib.
 
Was mich vorab vorsichtig gegenüber dem Stück stimmt, sind Bühnenbild und Kostüm: Warum so pink?
 
Aus diesem Grund.
 
...es ist eine gewisse Überladung mit Pink und von Feminismus zu Pink ist es ein einfacher Griff.
 
Der Feminismus-Begriff ist ja auch ein sehr großer Begriff, dahinter steckt viel mehr als ein Feminismus. Es gibt mittlerweile viele Feminismen, muss man sagen. Ich selbst bin vielleicht eher eine Alt-Feministin und kann bei vielen Tendenzen gar nicht mitgehen. Mit diesem pinken Feminismus tue ich mich schwer, im Stück wird das auch ironisiert. Es geht um Konsumfeminismus und Unterleibsfeminismus. Das ist für mich problematisch eine Frau darauf zu reduzieren, ob sie gewisse reproduktive Organe hat oder nicht. Für mich ist das nicht so interessant, ich finde feministische Kämpfe müssen anders aussehen und nicht darüber abgehandelt werden, ob man eine Vulva hat oder nicht. Das ist mir zu viel Unterleib. Pink ist die Farbe der Hexe. Gitti selbst hat die Farbe Anfangs nicht, kommt in die Hexenküche und wird pink gemacht. Wir haben mit den Farben etwas gespielt. Auch das - unter fetten Anführungszeichen - „feministische Frauenklischee“ ist wiederum eine Rollenzuweisung, mit der sich viele Frauen schwer tun. So auch die Gitti, eine sehr bodenständige Figur. Auf den Plakaten haben wir deshalb die Farbe als Signalfarbe und ein wenig als Provokation verwendet.
 
Ich bin nicht so als „Mädchen“ aufgewachsen und extrem froh darüber.
 
Farben sind austauschbar: Gehen wir etwa 100 Jahre in der Geschichte zurück, sind Hellblau und Rosa als Kinderfarben vertauscht. Wie gehts Ihnen mit Jungen- oder Mädchenfarben?
 
Es ist eine Erfindung. Rosa war die Farbe der Prinzen, das kleine Rot quasi und ist jetzt zur süßen Mädchenfarbe geworden. Ich finde es problematisch, Babies und Kleinkinder geschlechtlich zu markieren: Man kann auf 100 Meter Entfernung erkennen, was im Kinderwagen auf einen zurollt. Es gibt Studien, die belegen, dass Kinder von Erwachsenen anders behandelt werden, wenn diese eine bestimmte Geschlechts-Erwartung haben. Mit dem rosaroten Kind spielen sie eher Puppen, mit dem blauen mit Autos. Das machen Sie gar nicht absichtlich oder bewusst. In dem Moment, in dem ein Kind also markiert wird, hat es eine gewisse Rolle und wird auf ein Schiene gestellt. Ich komme aus einer anderen Zeit, als ich aufgewachsen bin, war der Konsum in Südtirol noch nicht so weit. Viele konnten sich das nicht leisten und Geschwister haben die Kleider der älteren Schwestern und Brüder aufgetragen. Ob diese Bub oder Mädchen waren, war nicht primär. Wichtiger war ob die Hose passt oder nicht. Ich habe die Sachen meines Cousins aufgetragen und das hat mein Geschlechtsbild nicht geschädigt. Ich bin nicht so als „Mädchen“ aufgewachsen und extrem froh darüber. Heute wird man als Mädchen oder Junge aufgezogen und ich finde das eigentlich einen brutalen Rückschritt: Ich sehe auch da wieder den Konsum, die Möglichkeit, dass man Geschwistern ganz unterschiedliche Sachen verkaufen und doppelt Kasse machen kann. Jetzt kann natürlich der Bub nicht mehr die pinke Schultasche der Schwester nehmen, auch wenn sie noch gut wäre.