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Mit Heranwachsenden die Krise durchleben

In einem Webinar am 2.März teilen Prof. Nentwig-Gesemann und Prof. Wallnöfer ihr pädagogisches Know-How und stehen für Fragen zur Verfügung.
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Kinderzeichnung Coronavirus
Foto: unibz

Die Professorin und der Professor für Allgemeine Pädagogik an der Fakultät für Bildungswissenschaften in Brixen halten gemeinsam ein Webinar zu Thema „Heranwachsen in Zeiten von Covid: Kinder und Jugendliche gut durch Krisen begleiten“. Sie werden darüber sprechen, was Kinder und Jugendliche brauchen, um sich in einer Ausnahmesituation, wie der Pandemie, emotional und kognitiv gut entwickeln zu können, was beim Fernunterricht zu kurz kommt, wie die Heranwachsenden begleitet und aufgefangen werden können und warum man nach der Pandemie nicht einfach da weitermachen kann, wo man vorher aufgehört hat.

 

Prof. Iris Nentwig-Gesemann ist Expertin für Frühpädagogik. Im Webinar wird sie sich auf ihr Fachgebiet, nämlich Kinder im Kindergarten und in der Grundschule, fokussieren.

Frau Nentwig-Gesemann, wie erleben Kinder diese Ausnahmesituation?

Prof. Nentwig-Gesemann: Kinder sind äußerst feinfühlig und nehmen Situationen so wahr, wie sie ihnen von Erwachsenen vorgelebt werden. Sie suchen dabei nach sozialen Referenzen und orientieren sich am Verhalten von Erwachsenen, denen sie vertrauen. Das Beste für Kinder ist, wenn man sich in Ruhe und sachlich über ernste Themen mit ihnen unterhält, sie informiert, ohne Panik zu verbreiten und Möglichkeiten zur aktiven Bewältigung aufzeigt.

20 bis 25% der Kinder und Jugendlichen leiden unter Ängsten und ernstzunehmenden Sorgen und weisen teilweise sogar depressive Symptome auf.

Welche langfristigen Folgen ergeben sich aus dieser Situation?

Die langfristigen Folgen können wir noch nicht abschätzen. Derzeit gibt es sicher einige Lücken hinsichtlich der Lernfortschritte. Ich bin davon überzeugt, dass diese aber schnell aufgeholt werden, da Kinder sehr schnell lernen und unsere pädagogischen Fachkräfte ausgezeichnet ausgebildet sind. Besorgniserregender sind die Ergebnisse internationaler Studien, die besagen, dass 20 bis 25% der Kinder und Jugendlichen unter Ängsten und ernstzunehmenden Sorgen leiden und teilweise sogar depressive Symptome aufweisen.

Langfristige Folgen können wir noch nicht abschätzen.

Was bedeutet das?

Das sind alarmierende Hinweise, auf die wir uns professionell einstellen müssen: Bevor in den Bildungseinrichtungen mit dem Lernstoff fortgefahren wird, müssen sich die Pädagog*innen mit den Erfahrungen, Sorgen und Ängsten der Kinder und Jugendlichen auseinandersetzen. Die pädagogischen Fachkräfte sollten versuchen, ein Gleichgewicht zwischen dem Fortfahren im Unterrichtsstoff, der Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der psychischen Gesundheit der Kinder zu finden. 

Bewegung ist ein sehr gutes Fundament für körperliche und geistige Gesundheit und damit auch für das Lernen.

Wie kann in der Pandemie die psychische Gesundheit der Kinder gestärkt werden?

Oft wird unterschätzt, wie sehr die psychische Gesundheit vom körperlichen Wohlbefinden abhängt. Für eine gute Entwicklung der Kinder sind tägliche und intensive Bewegungserfahrungen grundlegend. Daher mein Rat: Raus an die frische Luft und in die Natur. Bewegung ist ein sehr gutes Fundament für körperliche und geistige Gesundheit und damit auch für das Lernen.

 

 

Prof. Gerwald Wallnöfer ist Experte für Sozialpädagogik und beschäftigt sich hauptsächlich mit Jugendlichen.

Prof. Wallnöfer, was kommt beim Fernunterricht zu kurz?

Prof. Gerwald Wallnöfer: Lernen setzt sich aus kognitiven, emotionalen und sozialen Prozessen zusammen. Aufnahme- und Lernfähigkeit erfolgen nur, wenn ein gewisses Maß an psychischem, sozialem und körperlichem Wohlbefinden vorhanden ist. Im virtuellen Lernbereich sind emotionale und soziale Prozesse eingeschränkt. Deshalb gewinnt der Austausch zwischen Lehrenden, Lernenden und Lernenden in der Gruppe an neuer Bedeutung.

Im virtuellen Lernbereich sind emotionale und soziale Prozesse eingeschränkt.

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Ich glaube, dass pädagogische Fachkräfte personell und ressourcenmäßig unterstützt werden müssen, um differenzierter auf die individuellen Bedürfnisse eingehen zu können. Die Schere zwischen jenen, die mit dem virtuellen Unterricht gut zurechtkommen und jenen die Schwierigkeiten haben, geht mittlerweile weiter auseinander. Alle, an der Erziehung beteiligten, Personen stehen vor der Herausforderung, achtsam zu sein, dass sich Schüler*innen nicht in den virtuellen Raum zurückziehen. Dafür braucht es intensive Betreuung in kleinen Gruppen und ausreichend Zeit. Denn in dem Moment, wo Lernlücken entstehen, resignieren Betroffenen oft und verlieren in Folge den Anschluss, die Motivation, das Selbstvertrauen und die Zuversicht. Umso wichtiger ist es, dass die Lernenden lernen dürfen, sich selbst einzubringen und die Chance haben, den eigenen Lern-Rhythmus mitzubestimmen.

Einigen wird es bestimmt schwerfallen, den virtuellen Raum wieder zu verlassen.

Jugendliche und soziale Isolation, das passt doch nicht?

Den Jugendlichen ist vieles genommen worden: Bewegung, Begegnungen, Experimentieren. In der Jugend lernt man sich selbst kennen und entwickelt sich weiter. Diese Prozesse verlagern sich jetzt in den virtuellen Raum. Das bringt auch ein großes Gefahrenpotential mit sich, denn der Austausch findet oft anonym statt und Vertrauenssituationen können im Netz leicht missbraucht werden. Wir müssen uns jetzt schon überlegen, wie wir danach den Ausstieg aus der Isolationsphase schaffen. Einigen wird es bestimmt schwerfallen, den virtuellen Raum wieder zu verlassen.

Wie jedes Trauma muss auch dieses aufgearbeitet und bewältigt werden.

Was können wir aus der Krise mitnehmen?

An dem Punkt wieder zu beginnen, wo wir aufgehört haben, wird nicht gelingen. Die Isolation wird von vielen Kindern und Jugendlichen traumatisch erlebt. Was vorher selbstverständlich war, wurde von einem Tag auf den anderen in Frage gestellt. Erwachsenen wirkten auf einmal selbst ratlos, einige sahen und sehen ihre Existenz bedroht. Wie jedes Trauma muss auch dieses aufgearbeitet und bewältigt werden. Wir sollten bereits jetzt intensiv daran arbeiten und unterstützende Maßnahmen entwickeln. Vor allem in Krisenzeiten wird deutlich, dass der Mensch mit seinen Sorgen und Hoffnungen wichtiger ist als die Dinge, die ihn umgeben.