Società | Kuhn-Affäre

Arschlöcher, Schwänze, Volltrottel

Fünf namhafte österreichische Musiker bezeugen wie Gustav Kuhn mit ihnen umgegangen ist und nicht nur sie fordern in einem offenen Brief die Aufklärung aller Vorwürfe.
kuhn_gustav.jpg
Foto: Haydn Orchester
Die ORF-Sendung „Seitenblicke“ ist ein Society-Magazin. Es geht dort um Stars, Sternchen und Prominente. Genau in dieses Schema passt auch Gustav Kuhn und die Welt, in der er sich bewegt.
Dennoch war der Bericht des Seitenblicke-Reporters Robert Reumann vorvergangene Woche eine Premiere. Es wurden zwar Bilder der Bussi-Bussi-Gesellschaft aus dem Kuhn-Kloster in der Nähe von Luca gezeigt, darunter auch prominente Südtiroler Gäste, inhaltlich ging es im Beitrag aber um eine aktuelle brisante Geschichte. Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen den langjährigen Dirigenten des Bozner Haydnorchesters und Leiter der Festspiele Erl Gustav Kuhn.
Es geht dabei um Lohndumping, schlechte Arbeitsbedingungen, respektloses Verhalten und vor allem um sexuelle Nötigung. Der Tiroler Blogger Markus Wilhelm hatte auf seinem Blog dietiwag.org anonymisierte Aussagen zahlreicher MusikerInnen und SängerInnen wiedergegeben. Kuhn und der finanzielle Kopf der Erler Festspiele, der Industrielle Hans Peter Haselsteiner haben daraufhin beim Landesgericht Innsbruck mehrere Strafanzeigen gegen Wilhelm eingebracht.
Welche Einfluss der Maestro in Österreich und darüber hinaus hat, macht der Seitenblicke-Bericht einmal mehr als deutlich. Während Gustav Kuhn sich bei den bisherigen Verhandlungen vor Gericht entschuldigen ließ, produzierte und strahlte der ORF einen Fernsehbericht aus, der wie ein Verteidigungsschriftsatz für den arg in der Bredouille geratenen Adabei anmutet.


Die Verleumdungsgesellschaft

 
Aufgeben für Dummheit oder für Bosheit oder für Gemeinheit oder für Hass, nein“, gibt sich Gustav Kuhn im Seitenblicke-Interview kämpferisch, „das finde ich völlig verkehrt rum“.
Dazu wird ein prominenter Kuhn-Freund interviewt. Der ehemalige österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer.Ja, es ist ein schreckliche Zeit, weil es kein Anstandsgefühl mehr gibt“, meint der SPÖ-Politiker, „jeder glaubt er kann über jeden alles behaupten und das wird noch meiner Meinung nach noch ganz schlimm enden, weil wir uns von einer Demokratie in Richtung einer Verleumdungsgesellschaft entwicklen.
 
Der ORF-BerichtVerteidigungsschriftsatz als Gesellschaftsmagazin.
Zu Wort kommt natürlich auch der Anwalt Kuhns in den Innsbrucker Prozessen. Michael Krüger, der für knapp einen Monat FPÖ-Justizminister war, meint: „Man kann nur versuchen durch Rechtsmittel den guten Ruf wieder herzustellen. Aber letztlich muss man sagen, dass ein bisschen was immer hängen bleiben wird, egal ob an der Sache was dran ist oder nichts dran ist. Das ist bedauerlich“.
Dabei hat Seitenblicke-Reporter Reumann bereits zu Beginn des Beitrages, der für ein Millionenpublikum konzipiert ist, in seiner Moderation den Freispruch für Kuhn dekretiert: „Anschuldigungen, die wie sich nun herausstellt haltlos waren.“
 

Der Rückzieher

 
Pech für den ORF ist, dass zwei Tage später eher das Gegenteil geschieht. Denn Gustav Kuhn zieht vergangene Woche überraschend seine zwei Strafanzeigen gegen Markus Wilhelm zurück.
Am vergangenen Dienstag hätte Kuhn persönlich vor Gericht als Zeuge erscheinen müssen. Zudem sollte am selben Tag per Videokonferenz eine deutsche Mezzosopranistin einvernommen werden, die schwere Vorwürfe gegen den Maestro erhebt.
Gustav Kuhn scheint im letzten Moment aber kalte Füße bekommen zu haben. Mit dem Rückzug bleibt Kuhn auf den gesamten Prozesskosten sitzen. Es handelt sich um knapp 10.000 Euro. Gegenüber der Nachrichtenagentur APA und dem Wiener Standard begründete Kuhn den Rückzug seiner Entschädigungsforderungen mit einer noblen Geste seinerseits. Er habe den Blogger Markus Wilhelm nicht in den finanziellen Ruin treiben wollen. Kuhns Verteidiger, der ehemalige Justizminister Michael Krüger, sagt dazu, es sei ein Zeichen der Versöhnung gewesen. Weil Wilhelm dies aber nicht erkannt habe, werde es jetzt kein Pardon mehr geben. Krüger verweist auf die Zivilklage, die Kuhn gegen Wilhelm einbrachte. Diese bleibe aufrecht. Im Juni wird es vor dem Landesgericht Innsbruck dazu den ersten Verhandlungstag geben.
Sicher ist: Der strafrechtliche Rückzieher hat Kuhns Position im Zivilverfahren aber deutlich geschwächt.
 

Der offenen Brief

 
Jetzt aber drohen dem Maestro zusätzliche Troubles. Aus verständlichen Gründen waren die meisten Anschuldigungen gegen Kuhn von Markus Wilhelm anonym veröffentlicht worden. 
Damit ist es jetzt aber vorbei. Am Donnerstag haben fünf namhafte österreichische Spitzenmusiker einen offenen Brief verfasst und an die Presse geschickt.
In dem Schreiben heißt es:
 
Da im Zusammenhang mit der Diskussion um Gustav Kuhn und die Tiroler Festspiele Erl der Vorwurf im Raum steht, es wären nur Anschuldigungen anonymer Frustrierter, haben wir uns entschlossen öffentlich Stellung zu beziehen.
Wir haben in Erl gespielt und wurden von Gustav Kuhn als:
Arschlöcher
Schwänze
Volltrottel
und anderes mehr bezeichnet.
 
Er hat unser Spiel als „Scheiße“ abgekanzelt und uns das Prädikat „nicht festspieltauglich“ verliehen.
Wir fordern eine vollumfängliche Aufklärung aller gegen Gustav Kuhn und die Tiroler Festspiele ErI erhobenen Vorwürfe und wünschen uns, daß in Zukunft alle Sängerinnen und Musikerinnen bei den Tiroler Festspielen Erl fair bezahlt und menschenwürdig behandelt werden.“
 
Unterzeichnet haben den offenen Brief Marco Treyer, der am Tiroler Landeskonservatorium die Hornklassen unterrichtet und Lehrbeauftragter der Universität Mozarteum Salzburg ist. Treyer spielt regelmäßig als Solohornist bei Recreation Graz und den Vereinigten Bühnen Wien. Markus Obmann, Assistent an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien und als Hornist Mitglied bei den Wiener Symphonikern, sowie regelmäßiger Gast bei den Wiener Philharmonikern und in der Wiener Staatsoper. Der Hornist Josef Reif, der als Solist im Orchester der Volksoper Wien, als er erster Hornist im Staatsopernorchester Wien spielte und seit zwei Jahren Solohornist bei den Wiener Philharmonikern ist.
Dazu kommen die beiden Hornisten Nikolaus Dengg und Paul Brugger vom Tiroler Musikschulwerk, dem Zusammenschluss der Tiroler Musikschulen. Paul Brugger kommt aus Innichen und unterrichtet sein vielen Jahren in Innsbruck.
Am selben Tag wendet sich die bekannte österreichische Mezzosopranistin und Mitbegründerin der Interessengemeinschaft „Art but fair“, Elisabeth Kulman, mit einem Videoaufruf an alle aktuellen und ehemaligen KünstlerInnen bei den Tiroler Festspiele Erl und ruft dazu auf, sich als Zeugen zu melden. 
Es ist Zeit, den Mund aufzumachen gegen Machtmissbrauch und Übergriffe! Jetzt! Voice it! Für eine Kultur der Würde, des Respekts und der Gerechtigkeit“, meint Kulman.
Mit den Seitenblicken scheint es für Gustav Kuhn noch nicht getan.

 

Elisabeth Kulmans Aufruf